Gitte Osburg

Tauben kennen ihren Weg


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      Gitte Osburg

      Tauben kennen ihren Weg

      Gute-Nacht-Geschichte für Erwachsene

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

       Impressum neobooks

      Kapitel 1

      Krach-bumm! Die Tür war zu. War er jetzt wirklich weg oder stand er noch im Flur? Wenn er noch im Flur stand, blieb es wie immer, aber wenn er wirklich gegangen war…

      Leise schlich Inga vom Wohnzimmer die Treppe hinunter. Er war weg. Für immer?

      „Mutti, Mutti es ist so laut“, weinte es aus dem Kinderzimmer. „Das ist der Fernseher, schlaf schön weiter“, flüsterte Inga an Tommys Bett und fügte hinzu: „Du weckst sonst Deine kleine Schwester auf und die hat doch morgen ihren ersten Tag im Kindergarten.“

      Tommy schaute die Mutti an: „Hast Du geweint?“.

      „Nein“, antwortete Inga, „ich bin nur müde.“

      Dabei gab sie Tommy auf jedes Auge ein Küsschen und dachte, wie wird er es verkraften, wenn er alles erfährt.

      „Mutti, kauft mir Papa wirklich einen Hund?“

      „Wie kommst Du denn darauf?“

      „Er hat es mir versprochen.“

      „Für einen Hund braucht man viel Zeit und die haben wir jetzt nicht mehr.“

      Am liebsten hätte Inga ihre Worte rückgängig gemacht. Sie wollte es den Kindern doch vorsichtig beibringen. Schnell antwortete sie: „Schau mal, Tommy, morgens musst Du zur Schule, ich gehe zur Arbeit, mittags bist Du bei Tante Emmi, dann spielst Du mit Deinen Freunden oder guckst Fernsehen. Und da soll noch Zeit für einen Hund bleiben?“

      Doch Tommy bettelte: „Bitte, bitte, bitte!“

      „Ach, hör auf, ich hab’ keine Lust mehr zu diskutieren, denk’ lieber an die Schule!“

      „Hm“, machte Tommy und nahm sich fest vor, nicht locker zu lassen. Immer wenn er mal was wollte, erinnerte Mutti ihn an die Schule. Aber er würde sie schon umstimmen. Und dass Papa jetzt weg war, wusste er genau. So klein war er nun auch wieder nicht, Augen und Ohren hatten inzwischen mehr gehört, als die Großen annahmen.

      „Was Papa verspricht, das hält er, sonst ist es gemein, sagt er immer“, quengelte der Kleine. Warum musste Tommy ausgerechnet jetzt damit anfangen? „Schlaf jetzt!“, entgegnete Inga forsch und verließ das Zimmer. Sie brauchte jetzt Zeit für sich. Ja, sie würde sich etwas beweisen. Was eigentlich? Kinder allein erziehen, Karriere machen, mit Freundinnen zum Fitnesstraining gehen? Die ganze Nacht lag Inga wach. Tommy war längst eingeschlafen und atmete ruhig. Sie wusste, um sechs Uhr würde sich der Wecker melden, aber diesmal störte sie der Gedanke daran nicht. Im Gegenteil, als der Wecker klingelte, war sie froh, dass die Nacht vorbei war. Der Tag würde viel Neues bringen und sie wollte es anpacken.

      Kapitel 2

      Die Zahnbürste im Bad, seine Zahnbürste, seine Kosmetik – ihre Erinnerung: Oft haben sie sich geneckt, wer zuerst ins Bad kann. Anschließend war da immer der frisch-herbe Duft des Rasierwassers – sein Duft. Mülleimer auf, alles rein, Mülleimer zu. Bloß nicht sentimental werden, ermahnte Inga sich.

      „Mutti, warum schmeißt Du das weg?“, Katja stand plötzlich neben ihr. Inga überlegte blitzschnell: „Papa hat sich was Besseres gekauft und ist verreist. Wenn er wieder kommt, ist das hier zu alt“, jetzt hatte Inga doch gelogen, obwohl sie sich in der Nacht vorgenommen hatte, gleich die Wahrheit zu sagen, auch der Kleinen. Katja fragte weiter, aber Inga lenkte sie ab und erzählte vom neuen Kindergarten. Da wollte Katja sofort losgehen und hatte noch nicht einmal Lust auf Frühstück.

      Tommy musste geweckt werden. Das tat Inga immer leid, denn morgens schlief er besonders fest und gestern war es spät geworden. Zwischendurch dachte Inga ans Büro. Keinen einzigen Schnitzer durfte sie sich leisten. Jetzt die Arbeit verlieren bedeutete, alles zu verlieren. Im Vorbeigehen schaute sie in den Spiegel. Schrecklich sah sie aus, übermüdet. Niemand durfte merken, was für Sorgen sie hatte. Was sollte sie anziehen? Am besten den neuen Dreiteiler. Darin fühlte sie sich selbstbewusst. Nach Feierabend könnte sie zum Frisör gehen. Sie schaltete das Radio ein, merkte plötzlich, dass sie laut pfiff.

      „Mutti, wann holst Du mich ab?“ Katja quengelte. „Gleich nach der Arbeit“, antwortete Inga und dachte, doch nichts mit Frisör. „Im Kindergarten wird es Dir bestimmt gefallen“, Katja trödelte beim Anziehen. „Komm, bei der Hose helfe ich Dir. Tommy ist schon fertig.“

      „Tschüss, Joschi ist da!“ Tommy knallte die Tür.

      „Du sollst doch was essen!“ Aber er hörte es nicht mehr. Katja schien vor Aufregung auch keinen Appetit zu haben und schob ihren Toast lustlos von einer Hand in die andere. Inga nahm ihn ihr ab, sie befürchtete, dass Katjas Sachen schmutzig werden, dann müsste sie nochmal umgezogen werden und so viel Zeit war nicht mehr. „Beiß ab!“ Aber Katja presste den Mund zusammen. Da steckte Inga sich das Brot selbst in den Mund und bereute es aber gleich wieder. Am liebsten würde sie es ausspucken, es schmeckte wie Sand. Ob ihr das mit Klaus doch auf den Magen geschlagen war? Tapfer schluckte Inga Katjas Frühstückstoast runter. Das Kind durfte nichts merken.

      Endlich verließen sie das Haus. Inga atmete tief durch. Die Luft war lau. Alle hofften auf einen besseren Sommer. Von der Theodor-Storm-Straße aus in die Lindenallee mussten sie durch die halbe Stadt. Aber in Heiligenstadt konnte man alle Ziele in zwanzig Minuten zu Fuß erreichen. Heiligenstadt lag im Eichsfeld in Nordthüringen in einem Tal umgeben von Wäldern, davon schwärmten schon Heinrich Heine und Theodor Storm. Das Einzige was fehlte, war ein See, dann wäre alles komplett. Inga liebte ihre kleine Stadt. Aber heute Morgen hatte Inga für das Vogelzwitschern kein Ohr. Sie zwitscherten ganz laut, als wollten sie sagen „Wir sind wieder da, hier bestimmen wir!“. Jetzt erst bemerkte Inga, dass Katja die ganze Zeit plapperte.

      „Was hast Du eben gesagt?“, fragte sie.

      „Wann kommt Papa wieder?“, wollte Katja wissen.

      „Weiß ich nicht, es dauert länger. Er will uns anrufen.“, sagte Inga.

      „Bringt er auch was Schönes mit?“

      „Jaaah“, antwortete Inga mechanisch in Gedanken versunken. Allein, allein, allein,