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Arnulf Meyer-Piening
Ein rabenschwarzer Tag
Roman
Imprint
Ein rabenschwarzer Tag
Arnulf Meyer-Piening
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de Copyright: © 2015 Arnulf Meyer-Piening ISBN 978-3-7418-2764-8 E-Book-Konvertierung: Sabine Abels | www.e-book-erstellung.de
Inhalt
Die Verstoßene im goldenen Käfig
Begegnung am Abend
Wie eine Königin rauschte Frau Wohlgemuth in ihrem schwarzen Satinkleid die mit rotem Teppich belegten Stufen hinunter, ehrerbietig gegrüßt von vielen Konzertbesuchern, die ins Foyer des Konzertsaals drängten, um ihre Garderobe zu holen und noch eines der wenigen Taxis zu erwischen, denn es hatte zu regnen begonnen. Huldvoll erwiderte sie die Grüße mit freundlicher Gelassenheit, ohne dabei jedoch kalt oder gar abweisend zu sein. Vielmehr schien sie die Lobbezeugungen durchaus zu genießen.
Unten am Fuße der breit ausladenden Treppe wurde sie von einem Herrn im dunklen Anzug erwartet. Während er auf sie wartete hatte er sich überlegt, wie er das Gespräch eröffnen sollte: Meine Gnädigste, Sie waren wundervoll, oder hinreißend, oder grandios! Würde sie ihm die Hand zum Handkuss reichen, sollte er ihr einfach seine Hand zum Gruß reichen oder sollte er, wie es heute gang und gäbe ist, sie mit einem freundschaftlichen Kuss auf die Wange begrüßen? Die Sache schien nicht so einfach zu sein, weil er in der „Glocke“ kein Unbekannter war und als oberster Kriminalbeamter seiner Stadt auf seine Reputation achten musste. In der alten Hansestadt Bremen, vor allem in den konservativen Kreisen der Philharmonie, war er durchaus eine Respektsperson.
Sie aber war nicht von hier, hatte nur aushilfsweise die Sopran-Partie für die erkrankte Sopranistin übernommen. Unschlüssig wartete er auf ihre Begrüßung. Nichts dergleichen geschah, sie blickte ihn nur erstaunt an, als er ihr ein paar Stufen entgegenkam. Er war durchaus nicht der klassische Typ des germanischen Helden. Kein Regisseur hätte ihm die Rolle des Siegfried angeboten, ganz abgesehen von der Tatsache, dass er nicht singen konnte. Eher wäre er für die Rolle des belgischen Kommissars Hercule Poirot in Betracht gezogen worden, mit dem er sich in gewisser Weise zu identifizieren schien, denn er bewunderte den legendären Ermittler der Kriminalliteratur. Das ging so weit, dass er sich sogar einen Schnauzbart wachsen ließ.
Je näher sie kam, desto unsicherer fühlte er sich, denn sie hatte ziemlich üppige Formen, was ihm von seinem entfernten Sitzplatz auf einer der hinteren Reihen Rang-Mitte nicht so aufgefallen war. Jetzt aber empfand er das beachtliche Dekolletee für eine Sängerin in einem Requiem etwas unpassend, vielleicht einen Tick zu aufreizend. In einer anderen Rolle, beispielsweise als Walküre, hätte er es als angemessen gefunden. Dennoch musste er gestehen, dass das, was er nun aus der Nähe zu sehen bekam, ihm durchaus gefiel.
- Guten Abend, sagte sie ganz schlicht. Ich glaube, ich habe Sie kürzlich in der Abendschau gesehen.
- Schon möglich, sagte er und freute sich über diesen unkomplizierten Einstieg in das Gespräch.
- Ich erinnere mich an das Interview. Sie sind Chef der Kriminalpolizei. Habe ich etwas verbrochen?
- Nein, ganz im Gegenteil. Ich wollte Ihnen nur für diesen wundervollen Abend danken.
- Es freut mich, wenn es Ihnen gefallen hat.
- Ja, sehr sogar. Es passiert mir als alten Fahrensmann nicht häufig, dass mich Musik so stark berührt. Ich würde gerne noch etwas mit Ihnen plaudern. Darf ich Sie zu einem Glas Wein im Ratskeller einladen oder Sie zu Ihrem Hotel begleiten?
- Sehr gerne. Ich bin ja nicht von hier wie Sie wissen, da nehme ich Ihr Angebot gerne an, zumal Sie Kriminalinspektor sind. Da befinde ich mich in guter Obhut.
Er half ihr in ihren Mantel, sie gingen zur Straße, verharrten noch etwas im Eingang, denn es hatte zu nieseln begonnen.
- Wo wohnen Sie?
- Ich wohne Radisson Blu Hotel in der Böttcherstraße.
- Das Hotel liegt nur ein paar Schritte entfernt von hier. Ich kann Sie begleiten, wenn Sie wollen.
- Sehr gerne, aber vielleicht trinken wir vorher noch ein Glas Wein miteinander. Nach dem Konzert habe ich immer eine trockene Kehle und das dringende Bedürfnis, ein Glas Wein zu trinken, ich stamme nämlich aus einer alten Winzerfamilie. Meine Eltern sind auch heute noch Weingärtner.
- Das trifft sich gut. Dann schlage ich vor, wir gehen in den Schütting. In den Kellerräumen des ehrwürdigen Hauses der Bremer Kaufmannschaft gibt es einen gediegenen Club, in dem ich seit vielen Jahren Mitglied bin. Dort werden Sie zu dieser späten Stunde noch ein paar Honoratioren der Stadt treffen, was für Sie eines Tages von Vorteil sein könnte. Ich weiß ja nicht, welche Zukunftspläne Sie haben, und ob Sie bei uns in Bremen bleiben wollen.
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