fragte die Frau im Glaskasten nach.
„Er hat mir erst gestern gesagt, dass er eine Neue hat, das konnte ich doch vorher nicht wissen! Und an meiner Stelle wären Sie sicher auch nicht länger in der Wohnung geblieben, oder? Man hat ja schließlich seinen Stolz.“
„So ein Saukerl“, murmelte sie. „Passen Sie auf, ich schreib das Datum vom Montag darauf und leg es selbst in den Verteiler, dann geht das schneller.“
„Toll, vielen Dank!“
Draußen meinte Cora: „Du appellierst also an die schwesterliche Solidarität? Die Methode scheint zu klappen, jedenfalls besser als meine. Ich wollte gerade sagen, wie froh ich bin, keine Postaktien mehr zu haben, aber das hätte der Tussi nie so Beine gemacht wie deine Jeremiade.“ Ich musste lachen. Cora fuhr fort: „Angeblich soll es aber auch helfen, wenn man sich stumm Notizen macht, sobald die ungefällig werden, und sich weigert, zu sagen, was man notiert hat. Dann denken sie, man kommt von der Oberpostdirektion und sie sind beim nächsten Stellenabbau dran.“
„So, als würde man in der Kneipe Restauranttester spielen?“
„Genau. Sollten wir mal probieren! Was jetzt?“
„Rathaus. Ohne Lohnsteuerkarte bin ich doch total hilflos.“
Im Rathaus gab es keine Probleme, eine Zweitschrift der gelben Karte wurde kommentarlos ausgedruckt, man wies mich lediglich darauf hin, dass ich dem Finanzamt beide Karten einreichen musste. Ach was! Auf dem Weg zu JobTime, der schrägen, aber ziemlich erfolgreichen Zeitarbeitsagentur, bei der fast jeder während des Studiums schon mal in den Akten gestanden war, kamen wir an meiner Bank vorbei. Der junge Mann hinter dem Tresen schaute etwas verwirrt, als ich meine Daueraufträge mit sofortiger Wirkung stoppte und die Buchungen für diesen Monat zurückziehen ließ. „Ich glaube, das geht nicht.“
„Das geht“, antwortete ich geduldig, „aber ich warte gerne, während Sie Ihren Filialleiter fragen.“
Er trabte nach hinten, rührend in seinem Erwachsenenanzug, der in den Schultern noch zu weit war. „Der soll nicht so albern sein“, murmelte ich Cora zu, „ich hab so etwas fürs Büro schon öfter gemacht. Dass es sich mal gegen Christian richten würde, hätte ich allerdings auch nicht gedacht.“
Cora tätschelte mir mitfühlend den Arm. Das Bürschlein kam zurück. Daran, dass die Bankangestellten aussahen wie die Kinder, erkannte man als erstes, wie man selbst älter wurde! „Gut, es geht. Also, wir buchen die Beträge zurück. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“
Ich bat um Papier und Stift und rechnete den exakten Nebenkostenanteil bis einschließlich gestern Morgen aus, dann überwies ich diesen Anteil zurück, mit präziser Erklärung in der Rubrik Verwendungszweck. Jetzt war er völlig verwirrt; seine Restakne rötete sich hektisch. „Aber das ist doch die gleiche Kontonummer!“
„Aber ein geringerer Betrag“, erklärte ich.
„Ja, wollen Sie dann einen Dauerauftrag über den neuen Betrag einrichten?“
„Nein, will ich nicht. Das war die absolute Restzahlung. Jetzt gucken Sie nicht so, sollte der Empfänger sich beschweren, tut er das bei mir.“
„Und das traut er sich nie“, fügte Cora finster hinzu. Ich schenkte dem Schalterbeamten noch ein strahlendes Lächeln, obwohl mir eher nach Heulen zumute war, und wir schwebten wieder hinaus. Äh, jetzt musste ich bei JobTime zu Kreuze kriechen! Ich schilderte mein Problem so neutral wie möglich, und die Mitarbeiterin, Frau Daffek (laut Ansteckschildchen), seufzte kummervoll. „Kein Zeugnis? Das ist schlecht. Wissen Sie, Buchhaltung ist ein Vertrauensposten, da möchte ein Arbeitgeber auch bei einer Zeitkraft doch wissen, wie sie vorher gearbeitet hat.“
„Das Zeugnis kriege ich schon noch. Aber ich habe jetzt vier Jahre für meinen Lebensgefährten gearbeitet, und gestern hat er Schluss gemacht. Wenn er kapiert hat, dass er mich nicht privat abservieren und gleichzeitig erwarten kann, dass ich weiterhin sein Vorzimmer in Ordnung halte, wird er mit dem Zeugnis schon rüberkommen.“
„Und mit dem Hinweis auf die große Liebe hat er am Gehalt gespart, stimmt´s?“
„Woher wissen Sie das?“, fragte ich verblüfft.
„Ach, die Kerle sind doch alle gleich. Glauben Sie, ich habe immer hier gearbeitet?“
Ich lachte verächtlich. „Lange kommen die mit so etwas nicht mehr durch.“
„Noch scheint es aber zu funktionieren“, murmelte sie, den Blick auf ihren Bildschirm gerichtet. „Bei Buchhaltung hab ich eh nur eine Anfrage, gerade reingekommen. Das Steuerbüro Lichting sucht eine versierte - “
Sie brach ab, weil Cora und ich hysterisch kicherten. „Ach, ist er das?“
Wir nickten und wischten uns die Augen. „Soll ich hingehen?“
„Der kapiert den Witz nie! Er wird höchstens sagen, schön, dass du vernünftig geworden bist.“
„Stimmt. Nein, da gehe ich nicht hin.“
„Würden Sie auch Ablage und so was machen? Ich weiß, dafür sind Sie überqualifiziert, aber ohne Zeugnis...“
„Klar, mache ich. Wo und wann?“
„Ab dem zweiten April, bei Gerheim, dem Kosmetikgroßhandel, über denen ist die Ablage zusammengebrochen. Sie rechnen mit vier Wochen Aufräumarbeiten. Netto etwa zehn Euro die Stunde, also neun für Sie und einen für uns, wie immer. In Ordnung?“
„Wo ist das?“
„In Selling, Kölner Straße 43. Finden Sie das?“
„Logisch.“
Ich unterschrieb einen Zeitarbeitsvertrag, notierte mir die Daten und was ich an Vorkenntnissen mitbringen sollte – offenbar reichte es, wenn ich des Alphabets mächtig und nicht farbenblind war – und war mit diesem Vormittag zunächst sehr zufrieden.
Cora und ich klatschten draußen unsere Hände gegeneinander. „Das sind doch immerhin siebzig Euro am Tag, gar nicht so übel!“, fand Cora. „Und wenn du was Festes hast, kannst du dir eine Wohnung suchen, solange bleibst du bei mir. Ich finde es lustig, eine Mitbewohnerin zu haben, das ist wie im Studium. Und für neue Klamotten hast du damit auch genug Geld, komm, wir gehen ins Horizont hinter der Uni, da gibt es alles, was du brauchst!“
Ich folgte ihr brav. „Gehst du denn in Jeans und T-Shirt zur Arbeit?“
„Klar, in den meisten Betrieben wird das nicht so eng gesehen. Schau, du kannst ja auch deine Seidenblusen mit Jeans kombinieren, und deine Kostüme musst du schließlich nicht wegschmeißen, aber täglich in diesem unbequemen Kram... Was hat ein solches Kostüm eigentlich gekostet?“
„Um die dreihundert Euro herum. Diese Bluse war schon etwa mit hundertzwanzig dabei.“
„Wahnsinn!“, staunte Cora, „für den Preis der Bluse kleiden wir dich dort komplett ein. Oder wolltest du Designerjeans?“
„Christian hat welche, für Freizeitevents“, antwortete ich nachdenklich. „Ach, und wieso du nicht?“
„Bei diesen Events war ich meistens nicht dabei. Und wenn, dann als Assistentin, Köfferchen tragend und mitschreibend, dann war ein Kostüm gar nicht so daneben. Freizeit heißt für Christian, künftige Mandanten zu treffen, da bringt man doch seine Freundin nicht mit. Und außerdem schätzt er es nicht, wenn Frauen Hosen tragen. Das dunkle Leinenkleid war für lässigere Anlässe reserviert.“
„Leinen! Hast du dich nicht tot gebügelt?“
„Nein. Ich weiß, wie man Leinen richtig bügelt, Christian hat genug leinene Tischwäsche.“ Die Hausfrau aus den fünfziger Jahren! Wahrscheinlich konnte ich mir einen Job in der Bügeleisenwerbung schnappen oder beim Extreme Ironing mitmachen, darüber hatte ich heute Morgen einen spöttischen Radiobericht gehört. Wie das mit dem Bügeln unter Wasser funktionieren sollte, hatte ich allerdings nicht kapiert. „Wenn du eine Wohnung und einen festen Job hast, brauchst