Nicole Seidel

Besessen


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Brust hinein. Die Hand des Lords umschloss das Herz und das magisch grüne Feuer breitete sich von innen im Körper des Räubers aus. Mit weit aufgerissenem Mund und Augen sank der leblose Leib zu Boden. Das letzte, was Mandigo gesehen hatte, war der todgierende Wahnsinn in Jucons fliederfarbenen Augen.

      Vhez wollte die Gelegenheit nutzen und sich an dem Mädchen vergehen, das er bewachte. Er strich ihre schmutzigen Schenkel hinauf und küsste ihre Brüste. Sie wehrte sich schon lange nicht mehr. Plötzlich hielt Vhez inne, er hörte Schreie. Doch keine die um Hilfe riefen, sonder solche die den Tod ankündigten. Der Räuber erhob sich und lauschte.

      Petrarca, das in Benevenx geraubte Bauernmädchen, nutzte die Ablenkung und kroch auf allen Vieren in die Schatten unter der Galerie des Empfangssaals. Weitere Todesschreie kamen aus unergreifbarer Ferne. Für sie wäre es Musik, hätte sie noch ein Gefühl besessen. Die mehrfach vergewaltigte junge Frau war gebrochen. Ihre Seele hatte sich an einen winzigen unerreichbaren Ort begeben, von wo sie nun begann wieder hervorzudringen. Sie erreichte eine Wand und dort entdeckte sie ihre Rettung in Form von drei geladenen Armbrüsten, die zwischen zwei Türen eine Mauerwand dekorierten. Petrarca stemmte sich abstützend auf die Beine und griff nach der äußersten und kleinsten der Waffen. Das Gewicht der Armbrust bestärkte sie, obgleich sie sie kaum waagrecht halten konnte. Mit dem Rücken stützte sie sich an der Wand ab und zielte auf den Räuber.

      Vhez suchte verwirrt nach seiner Gefangenen, als die Schreie verklungen waren. Als er sie im Schatten entdeckte, zielte sie bereits auf ihn.

      Der Bolzen löste sich nur widerwillig von der faserigen Sehne und fand sein Ziel in der Brust des Valdivianers. Vhez stürzte schwergetroffen auf die schmutzigen Steinfließen. Die Frau ließ die Waffe fallen und stolperte davon.

      Der Mann hob den verletzten Wolf auf seine Arme und das Tierblut lief ihm die Arme und den nackten Körper hinab. Jucon trug Wolof bis zu seinem Schlafgemach und legte ihn auf das ungemachte Bett. Laken, Decke und Kissen sogen das Blut auf und färbten sich unansehnlich dunkelrot.

      Eine einsame Träne kullerte über die Wange des Lords. Er fühlte sich leer und ausgehöhlt und untersuchte die unzähligen Stichwunden. Seine eigenen Schmerzen von den Tritten übersah er in seiner Trauer, obwohl sich die getroffenen Stellen schon rotblau färbten. Die Stiche im Nacken waren sehr tief und bluteten arg. Er sammelte seine dämonische Kraft und stoppte die Blutungen. Warmes grünes Licht drang aus seinen Händen und beschleunigte die Heilung. Doch das Raubtier hatte bereits viel Blut verloren und Jucon konnte nur hoffend beten, dass Wolof überlebte.

      Durch das Fenster von unter herauf erklang das hohe Wiehern eines Pferdes. Hel, sein schwarzer Hengst, rief ungeduldig nach ihm.

      Das Schlafzimmer des Lords lag nach hinten hinaus in den Garten. Dort zwischen den Schatten alter, knorriger, blattloser Bäume war ein sich tänzelnder, noch dunklerer Schatten auszumachen. Der Hengst. Er hatte den Kopf erhoben, sah zu ihm hinauf und wieherte abermals.

      Der ständige Nebel dämpfte etwas die Laute des Pferdes und Jucons Stimme, der ihm hinunterrief: "Ich komme gleich hinunter, Hel. Aber auf die Jagd gehen wir heute nicht." Der weißblonde Jüngling kraulte durchs blutverkrustete Wolfsfell. "Du wirst wieder gesund, mein Freund." Und alle erdenkliche Traurigkeit lag in diesen Worten.

      Dann ging Jucon Alde'Atair hinunter. Er kürzte, um in den Garten zu kommen, durch die Küche ab und hörte schon von weitem etwas scheppern. Ein Topf musste heruntergefallen sein. Und nun erinnerte er sich daran, unter den Räubern eine Gefangene gesehen zu haben. Langsam und absolut lautlos schlich er sich heran.

      Ohne ein Geräusch zu verursachen betrat Jucon den warmen Raum. Er blickte sich um und entdeckte die Frau im äußersten Winkel. Dort hatte sie sich zusammengekauert und aß die letzten Reste des nun kalten Pilzgerichts.

      Zwischen sich und ihr lagen die drei Leichen der Räuber. Der Lord beachtete die übel zugerichteten Körper nicht und schritt ungerührt zwischen ihnen hindurch. Doch Petrarca vermied in ihre Richtung zu sehen, so bemerkte sie den Lord zunächst nicht.

      Bemitleidenswert, wie die Benevenxianerin dort in der schattigen Ecke kauerte und hungrig das bisschen Essen mit den Fingern vom Teller leckte. Erbärmlich ihr Zustand. Unzählige kleine Wunden von den Strapazen des weiten Weges durch die unbekannte Wildnis zierten ihren wohlproportionierten Körper. Ihr braunschwarzes Haar zerzaust und voll Schmutz und Ungeziefer. Leer und aussagelos ihr glasig grüner Blick. Verkrustete Blutreste waren an Oberlippe und dem etwas zu spitzen Kinn zu sehen. Bekleidet war sie nur mit einem Stück löchrigen braunen Tuches, das sie sich um die Blöße gebunden hatte.

      Jucon Alde'Atair war fast bei ihr angekommen, als sie ihn bemerkte. Der Teller flog ihm wie ein Wurfgeschoss entgegen. Geschickt fing er ihn auf und warf ihn achtlos von sich - ungeachtet dessen wo er letztendlich scheppernd landen würde.

      Petrarca kroch hastig aus der Ecke. Sie kreischte, als der Lord nach ihr griff und stieß ihn panisch fort. Humpelnd versuchte sie zu entkommen, wild um sich schlagend und blind jeder Hilfe, die er ihr anbot. Da half nur noch eines. Jucon holte mit der flachen Hand aus und schlug ihr mitten ins Gesicht. Der Schlag brachte sie zu Fall und wimmernd blieb sie im Dreck liegen.

      Ihr misshandelter Körper zitterte und war gezeichnet. Ihr Verstand befahl ihrem Geist zu einem Rückzug ins tiefste Innere, was dem Wahnsinn nahe kam. Jucon begriff.

      Er hob sie auf und trug sie zum unteren Waschraum. Dort setzte er die wimmernde Frau auf einen Stapel schimmliger Kleidung. Schluchzend und ohne jegliche Gegenwehr mehr, ließ sie es geschehen. So konnte er einige Eimer Wasser aus einer quietschenden Pumpe schöpfen und einen davon machte er auf dem ewigbrennenden Herd heiß. Der Lord bereitete ihr in einer messing-glas-beschlagenen Wanne ein warmes Bad. Sogar die verdickten Reste eines Aromas leerte er hinein. Alsbald roch die kleine Kammer nach schweren Rosen.

      Jucon entfernte das schmutzige, löchrige Tuch und setzte Petrarca behutsam in die mit dampfendem Wasser gefüllte Wanne. Er wusch ihr die Wunden aus, den Dreck und das Blut - eigenes oder fremde, wer wusste das? - herunter. Seinen eigenen schmutzigen Leib ignorierte er. Schließlich trocknete er sie ab und brachte sie in eines der unzähligen, ungenutzten, staubigen Zimmer. Dort legte er das Mädchen ins Bett und deckte sie sorgsam mit der muffigen Decke zu. Schnell schlummerte sie ein.

      Jucon ging nach unten und fand denn letzten Räuber. Vhez, der röchelnd in der Empfangshalle lag und langsam am Bolzen in seiner Lunge verblutete, beendete er mit einem gnadenlosen Schnitt durch die Kehle das jämmerliche Dasein.

      Der Lord begann die zehn valdivianischen Räuber zu entsorgen. Dazu schmiss er die teilweise verbrannten Körper einfach über den Müllaustritt hinter der Küche hinaus in einen tiefen Graben. Die Leichen landeten auf dem zu Kompost gewordenen Müllberg und schon bald würden sich Maden und Bakterien ihrer Wandlung annehmen.

      Als das erledigt war, sah er nach seinem verwundeten Wolf. Das Tier schleckte ihm dankbar die Hand ab, war aber immer noch zu schwach vom Blutverlust.

      Er wusch sich das Blut und den Dreck vom Körper und griff nach einem weißen Tuch, etwa drei Handlängen breit, und legte es sich um die Hüften. Damit es dort hielt, schnallte er sich seinen Gürtel nun um die Hüfte. Das verlorene Messer steckte wieder in der Scheide.

      Zwei Zimmer weiter lag Petrarca. Als der Lord ihre Ruhestätte betrat, schlief sie noch. Seit er sie dort hineingelegt hatte, mussten bereits drei Stunden vergangen sein. Jucon stand reglos an ihrem Bettende und betrachtete sie. Und doch sah er sie nicht. Seine Gedanken schweiften ab.

      Keinesfalls dachte er über den zurückliegenden Kampf nach. Was würde mit dieser Frau geschehen? Wenn sie dem Wahnsinn verfiel, würde er sie töten, denn eine Irre konnte er nun wahrlich nicht gebrauchen. Und wenn sie geistig genesen würde? - soweit das in ihrem grauenvollen Zustand geschehen konnte. War sie unantastbar der Schmach, die man ihr zu gedeihen ließ - noch irgendwie brauchbar? So oder so lief alles nur dahin hinaus, dass er sie wohl beseitigen würde. Töten. Ihr das Leben nehmen musste.

      Jucon Alde'Atair schüttelte den schönen Kopf. Nein. Das Töten musste endlich mal ein Ende haben. Wirklich?

      Es rankte sich nicht umsonst ein gruselige Legende um seine Person. Dem letzten