Friedrich Wilhelm Nietzsche

Dionysos-Dithyramben


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      LUNATA

Dionysos-Dithyramben

      Dionysos-Dithyramben

      © 1889 Friedrich Wilhelm Nietzsche

      Überarbeitete Neuauflage

      © Lunata Berlin 2020

      Inhalt

       Nur Narr! Nur Dichter!

       Die Wüste wächst: weh dem, der Wüsten birgt...

       Letzter Wille

       Zwischen Raubvögeln

       Das Feuerzeichen

       Die Sonne sinkt

       Klage der Ariadne

       Ruhm und Ewigkeit

       Von der Armut des Reichsten

       Über den Autor

      Indem ich der Menschheit eine unbegrenzte Wohltat erweisen will, gebe ich ihr meine Dithyramben.

      Ich lege sie in die Hände des Dichters der Isoline, des größten und ersten Satyr, der heute lebt – und nicht nur heute...

      Dionysos

      Nur Narr! Nur Dichter!

      Bei abgehellter Luft,

      wenn schon des Taus Tröstung

      zur Erde niederquillt,

      unsichtbar, auch ungehört

      – denn zartes Schuhwerk trägt

      der Tröster Tau gleich allen Trostmilden –

      gedenkst du da, gedenkst du, heißes Herz,

      wie einst du durstetest,

      nach himmlischen Tränen und Taugeträufel

      versengt und müde durstetest,

      dieweil auf gelben Graspfaden

      boshaft abendliche Sonnenblicke

      durch schwarze Bäume um dich liefen,

      blendende Sonnen-Glutblicke, schadenfrohe.

      »Der Wahrheit Freier – du?« so höhnten sie –

      »Nein! nur ein Dichter!

      ein Tier, ein listiges, raubendes, schleichendes,

      das lügen muß,

      das wissentlich, willentlich lügen muß,

      nach Beute lüstern,

      bunt verlarvt,

      sich selbst zur Larve,

      sich selbst zur Beute,

      das – der Wahrheit Freier?...

      Nur Narr! nur Dichter!

      Nur Buntes redend,

      aus Narrenlarven bunt herausredend,

      herumsteigend auf lügnerischen Wortbrücken,

      auf Lügen-Regenbogen

      zwischen falschen Himmeln

      herumschweifend, herumschleichend –

      nur Narr! nur Dichter!...

      Das – der Wahrheit Freier?...

      Nicht still, starr, glatt, kalt,

      zum Bilde worden,

      zur Gottes-Säule,

      nicht aufgestellt vor Tempeln,

      eines Gottes Türwart:

      nein! feindselig solchen Tugend-Standbildern,

      in jeder Wildnis heimischer als in Tempeln,

      voll Katzen-Mutwillens

      durch jedes Fenster springend

      husch! in jeden Zufall,

      jedem Urwalde zuschnüffelnd,

      daß du in Urwäldern

      unter buntzottigen Raubtieren

      sündlich gesund und schön und bunt liefest,

      mit lüsternen Lefzen,

      selig-höhnisch, selig-höllisch, selig-blutgierig,

      raubend, schleichend, lügend liefest...

      Oder dem Adler gleich, der lange,

      lange starr in Abgründe blickt,

      in seine Abgründe...

      – o wie sie sich hier hinab,

      hinunter, hinein,

      in immer tiefere Tiefen ringeln! –

      Dann,

      plötzlich,

      geraden Flugs,

      gezückten Zugs

      auf Lämmer stoßen,

      jach hinab, heißhungrig,

      nach Lämmern lüstern,

      gram allen Lamms-Seelen,

      grimmig gram allem, was blickt

      tugendhaft, schafmäßig, krauswollig,

      dumm, mit Lammsmilch-Wohlwollen...

      Also

      adlerhaft, pantherhaft

      sind des Dichters Sehnsüchte,

      sind deine Sehnsüchte unter tausend Larven,

      du Narr! du Dichter!...

      Der du den Menschen schautest

      so Gott als Schaf –,

      den Gott zerreißen im Menschen

      wie das Schaf im Menschen

      und zerreißend lachen

       das, das ist deine Seligkeit,

      eines Panthers und Adlers Seligkeit,

      eines Dichters und Narren Seligkeit!«...

      Bei abgehellter Luft,

      wenn schon des Monds Sichel

      grün zwischen Purpurröten

      und neidisch hinschleicht,

      – dem Tage feind,

      mit jedem Schritte heimlich

      an Rosen-Hängematten

      hinsichelnd, bis sie sinken,

      nachtabwärts blaß hinabsinken:

      so sank ich selber einstmals

      aus meinem Wahrheits-Wahnsinne,

      aus