Vorwort des Herausgebers
JULES VERNE (1828–1905) wuchs in einer gutgestellten Rechtsanwaltsfamilie auf Île Feydeau in der französischen Stadt Nantes auf, er war das erste von fünf Kindern. Sein Vater Pierre Verne strebte für ihn eine Juristenkarriere an, doch schon der junge Jules fühlte sich unwiderstehlich zu zwei Leidenschaften hingezogen: dem Schreiben und dem wissenschaftlichen Erforschen von Zusammenhängen. Er wuchs in einer Zeit auf, in der viele bedeutende Erfindungen gemacht wurden – und sobald er von etwas Neuem erfuhr, zog es ihn in seinen Bann.
Am Beginn seiner schriftstellerischen Karriere – der Vater hatte inzwischen eingesehen, das aus dem Sohn kein Rechtsanwalt mehr werden würde – schrieb Verne jedoch viele »konventionelle« Stücke: Gedichte, Kurzgeschichten und sogar Bühnenstücke. Die meisten wurden in einem kleinen Magazin namens »Museé des familles« veröffentlicht – aber wirklich Geld und Ruhm brachten sie ihm nicht.
Doch dann, nach langer Zeit des schriftstellerischen Experimentierens, und nach einigen Reisen, die er mit Freunden nach England, Schottland und Skandinavien unternommen hatte, gelang ihm – er war jetzt 35 Jahre alt – der geniale Coup, der seinen Weltruhm begründete. Im Roman »Fünf Wochen im Ballon« verschmolz er seine Leidenschaften: die Lust am Schreiben, das ausserordentliche Interesse für Technik und Erfindungen, sowie das Reisen und die Geographie, zu einem neuen Genre der Literatur: Dem technik-basierten Abenteuerroman.
Eine Weile ging Verne in Paris mit dem Manuskript von Verleger zu Verleger – und wurde ein ums andere Mal abgewiesen. Keiner wollte riskieren, so etwas Neues ins Programm zu nehmen. Doch dann hatte er das Glück, mit Pierre-Jules Hetzel, einem der bekanntesten Verleger der damaligen Zeit, ins Gespräch zu kommen. Schon als Hetzel die erste Passage des Romans las, erkannte er das ungeheure Potenzial des Werkes. – Die Veröffentlichung wurde schließlich ein überwältigender Erfolg.
Nach zwei weiteren Abenteuerromanen, darunter die vorliegende »Reise zum Mittelpunkt der Erde«, die ebenso »einschlugen«, kam Hetzel auf die Idee, der Buchreihe einen übergeordneten Titel zu geben. Er nannte sie die »Voyages Extraordinaires« – Die Außergewöhnlichen Reisen. In dieser prächtig aufgemachten Serie erscheinen dann u.a. »Von der Erde zum Mond«, »20.000 Meilen unter dem Meer« und »Die Reise um die Welt in 80 Tagen«. Die »Reise zum Mittelpunkt der Erde« wurde in folgenden Ausgaben nachträglich in die Serie eingefügt.
Man schreibt gelegentlich Jules Verne viele technische Erfindungen zu, die er in seinen Bücher gemacht hätte. Etwa das Unterseeboot, den Ballonflug, den Helikopter, den Elektromotor, und sogar das Telefax. Wenn man genau hinsieht, erkennt man aber, dass Verne zwar all diese Dinge, und noch viele mehr, in seinen Büchern einbaut – aber es waren keine »Eigenkreationen«, sondern sie existierten bereits irgendwo auf der Welt, oder jemand hatte bereits darüber berichtet. Jules Verne war also einfach gut informiert und auf der Höhe der Zeit.
So verband Verne genial das Reale und technisch Mögliche mit dem Phantastischen, mit dem Unerhörten und tatsächlich Unerreichbaren (wie etwa dem Mittelpunkt der Erde).
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Die Originalausgabe der »Reise zum Mittelpunkt der Erde« erschien am 25. November 1864 unter dem Titel »Voyages au centre de la Terre« und war Vernes zweiter großer Erfolg.
Handlung: Der Hamburger Professor Lidenbrock hat in einem Buchladen einen unschätzbaren Fund gemacht, eine uralte isländische Fürstengeschichte. Während er es aufgeregt seinem Neffen Axel zeigt, fällt ein rätselhaftes Pergament aus dem Buch, bekritzelt mit Runen:
Aber die alt-isländischen Schriftzeichen lassen sich nicht so einfach übersetzen. Der Name »Arne Saknussemm« auf der Rückseite, der ein berühmter isländischer Gelehrter des 16. Jahrhunderts war, gibt einen Hinweis. Tagelang arbeitet der Professor an der Dechiffrierung. Schließlich zeigt sich der Inhalt der Botschaft:
Steig hinab in den Krater des Sneffels Yocul, welchen der Schatten des Skartaris vor dem ersten Juli liebkoset, kühner Wanderer, und Du wirst zum Mittelpunkt der Erde gelangen. Das habe ich vollbracht.
Arne Saknussemm.
Lidenbrock und Axel sind elektrisiert. Sie packen in aller Eile Koffer und Ausrüstungsgegenstände, und brechen auf, nach Island. Ziel: Der Mittelpunkt der Erde, auf den Spuren von Arne Saknussemm. So beginnt die ungewöhnlichste Expedition der Abenteuerliteratur.
Redaktion eClassica
Erstes Kapitel – Professor Lidenbrock
AM 24. MAI 1863, eines Sonntags, kam mein Oheim, der Professor Lidenbrock, in hastiger Eile heim in sein kleines Haus, Königsstraße 19, eine der ältesten Straßen des alten Stadtviertels zu Hamburg.
Die gute Martha musste glauben sehr mit dem Mittagessen in Rückstand zu sein, denn es fing eben erst an auf dem Herde zu sieden.
»Schön, sagte ich, aber wenn mein Oheim Hunger hat, wird der ungeduldige Mann Zeter schreien.
– Da ist ja schon Herr Lidenbrock! rief die gute Martha in Bestürzung, indem sie die Tür des Speisezimmers ein wenig öffnete.
– Ja, Martha, aber das Essen darf schon noch etwas kochen, denn es hat eben erst auf der Michaeliskirche halb zwei geschlagen.
– Warum kommt aber Herr Lidenbrock schon heim?
– Er wird's uns vermutlich sagen.
– Da ist er! Ich flüchte mich, Herr Axel, Sie werden ihn zur Einsicht bringen.«
Und die gute Martha eilte wieder in ihre Küche.
Ich blieb allein. Aber einen zornigen Professor zur Einsicht zu bringen, war doch für meinen etwas schwankenden Charakter nicht möglich. Daher war ich im Begriff mich klüglich wieder in mein Zimmerchen hinauf zu begeben, als die Angeln der Haustür knarrten; des Hausherrn lange Beine schritten geräuschvoll über die hölzerne Treppe quer durch das Speisezimmer hastig in sein Arbeitskabinett.
Im Vorbeirennen warf er seinen Stock mit einem Nussknackerknopf in eine Ecke, seinen wider den Strich gebürsteten Hut auf einen Tisch, und rief laut seinem Neffen zu:
»Axel, komm' mir nach!«.
Ich hatte noch nicht Zeit, vom Fleck zu kommen, als der Professor mit lebhafter Ungeduld mir zurief:
»Nun! noch nicht hier?«
Ich eilte in's Zimmer meines fürchterlichen Oheims. Otto Lidenbrock war kein bösartiger Mensch, ich geb's gerne zu; aber wofern er nicht, was sehr unwahrscheinlich ist, sich ändert, so wird er als ein schrecklicher Sonderling sterben.
Otto Lidenbrock war ein großer, hagerer Mann
Er war Professor am Johanneum, und hielt Vorträge über Mineralogie, wobei er regelmäßig ein- oder auch zweimal in Zorn geriet. Es kam ihm durchaus nicht darauf an, dass seine Schüler fleißig die Lektionen besuchten, noch dass sie aufmerksam zuhörten, noch dass sie Fortschritte machten: diese Kleinigkeiten machten ihm wenig Sorge. Sein Vortrag war, wie die deutsche Philosophie sich ausdrückt, »subjektiv« für ihn, und nicht für andere. Er war ein egoistischer Gelehrter, ein Wissensbrunnen, dessen Rolle knarrte, wenn man etwas herausziehen wollte: mit einem Wort, ein Geizhals.
Es gibt in Deutschland manche Professoren der Art. Mein Oheim hatte leider keine leichte Aussprache, wenigstens wann er öffentlich sprach, ein bedauerlicher Mangel bei einem Redner. Bei seinen Vorträgen im Johanneum blieb der Professor oft plötzlich stecken; er rang mit einem störrigen Ausdruck, der nicht von seinen Lippen wollte, einem Ausdruck, der sich sträubt und aufbläht, bis er endlich in der unwissenschaftlichen Form eines Fluchs heraus kommt. Darüber arge Erzürnung.