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Imprint
Tot im Wohnwagen. Kriminalroman
Elisa Scheer
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Copyright: © 2019 Elisa Scheer/R. John (85540 Haar)
www.elisa-scheer.de
ISBN 978-3-750253-23-0
1
Verdammt, schon fast acht Uhr! Nele eilte die Fontaneallee entlang, die immer noch wie eine Mondlandschaft wirkte. Kriegten die Bauträger die letzte Rate nicht erst, wenn die Außenanlagen fertig waren? Brauchten die das Geld nicht? Alles war voller Schutthaufen und schon wieder halb bewachsener Erdhügel, dazwischen standen Baumaschinen, die man anscheinend vergessen hatte. Weit und breit war kein Bauarbeiter zu sehen.
Na, vielleicht wurden die erst tätig, wenn sie selbst im Bürgerzentrum Selling saß, und hörten auf, bevor sie nach Hause kam.
Sie eilte weiter und ärgerte sich sofort wieder: Die Fontaneallee war immer noch komplett zugeparkt und zwar mit ältlichen Wohnwagen. Konnten die Besitzer die blöden rostigen Dinger nicht auf ihrem eigenen Grundstück bunkern? Oder noch besser gleich auf den Schrottplatz bringen, wo die meisten ja sowieso hingehörten? Jedenfalls sahen sie so aus.
Immerhin, da vorne war die Bushaltestelle – und der Siebener fuhr gerade weg, Mist! Bloß wegen dieser schrecklichen Straße!
Nein, das war dann doch unfair, sie hatte einfach getrödelt, obwohl sie heute doch vor acht noch die Unterlagen für den ersten Termin fertigmachen wollte. Gut, die Frau kam um halb neun, das schaffte sie noch locker, so lange fuhr der Bus auch wieder nicht zum Bürgerzentrum in der Kölner Straße.
Aber hier stank es, eindeutig. So ähnlich wie alter Leberkäse, fand sie. Wahrscheinlich hatte jemand seine Brotzeit schon vor Tagen in der Sonne vergessen und jetzt wurde sie zügig wieder lebendig.
Igitt… sie lief etwas schneller, denn der nächste Bus tauchte schon in der Ferne auf.
Immerhin fuhren die Busse hier im Fünfminutentakt, sehr lobenswert. Aber die Buslinie war auch die einzige Verbindung zur Stadt – über die Rabenbrücke, durch Henting und die MiniCity und dann nach Selling. Woanders wollten die Birkenrieder wahrscheinlich sowieso nicht hin – und in die City kam man von Selling aus mit praktisch jedem Bus.
Da konnte man sich eigentlich nicht beklagen, überlegte sie, durch die angelaufenen Scheiben nach draußen starrend, ohne viel wahrzunehmen.
Überhaupt, wenn man von den stinkenden und Platz raubenden Wohnwagen einmal absah, wohnte sie schön. Ihre neue Wohnung war zwar nicht ganz billig, aber sehr geschickt geschnitten und durch die Smart-Home-Elemente ausgesprochen praktisch.
Die doofe Urschel Rosa behauptete ja, elektronische Geräte seien Stromverschwendung… Als ob für Papierbücher nicht jede Menge Bäume sterben würden – und zu einer Buchhandlung kam man von Birkenried aus auch nicht ohne Verkehrsmittel, also kamen der Bus oder der Lieferwagen dazu. Digital – kein Gramm Sprit! Wenn man Rosa so etwas vorrechnete, fing sie regelmäßig zu heulen an und rannte dann aus dem Zimmer.
In Wahrheit konnte sie bloß nicht mit einem Computer umgehen – dieses Geächze und Geseufze, wenn sie einen Fallbericht tippen und Gott behüte an der richtigen Stelle abspeichern musste! Die arme Tanja, die mit ihr in einem Zimmer saß, musste dann meistens einspringen.
Als der Bus in die Kölner Straße einbog, schreckte sie nun doch aus ihren Gedanken hoch und schlängelte sich zur Tür durch. Puh! Busfahren war eigentlich kein Spaß, aber mit dem Rad war es von Birkenried aus einfach zu weit – und die Straßen auf diesem Weg hatten keine Radwege. Und mit dem Auto? Wo bitte sollte man hier in Selling parken? Vom Carbon Footprint ganz zu schweigen…
Immerhin war sie früh genug gekommen, um diesen Sanierungsplan noch einmal durchzugehen: Die hoch verschuldete Jenny Meusel war offenbar den online-Casinos verfallen und tröstete sich mit Shopping über ihre desolate Situation hinweg; sie mussten heute zusammentragen, wem alles sie wieviel schuldete, wieviel sie tilgen konnte und wie sie sich das Spielen und das Shoppen abgewöhnen konnte. Verdeckte das irgendwelche anderen Probleme? Partnerschaft? Beruf? Eltern oder Geschwister? War sie wohl schon so süchtig, dass sie eine echte Therapie brauchte?
Das glaubte Nele eigentlich nicht. Sie fuhr ihren Rechner hoch und stellte gleichzeitig mit der anderen Hand ihre Tasche ab: Handy, Brotzeit, Trinkflasche, Taschentücher, Geld und Einkaufsbeutel.
Sonja, die sich gerade am Schreibtisch gegenüber ähnlich einrichtete, grinste ihr zu. „Morgen. Wieder die totale Selbstversorgerin?“
„Morgen. Klar. Schau, was soll ich hier denn sonst machen? In diesem fiesen Snackautomaten ist alles wer weiß wie alt und außerdem in Haufen von Plastik eingewickelt. Und auch Mehrwegflaschen“ – sie nickte in Richtung von Sonjas zwei Schorleflaschen – „verbrauchen Plastik und sind nicht unbegrenzt wiederverwendbar.“
„Hast ja Recht, du Ökotussi, aber ich mag kein Leitungswasser. Das schmeckt nach nix und trotzdem unangenehm.“
„Früchtetee? Oder grüner Tee? Der soll auch noch wahnsinnig gesund sein.“
Sonja schüttelte sich und setzte sich hin. „Schon gut. Ich hasse bloß Tee. In jeder Form. Kaffee mag ich auch nicht, aber irgendwas muss ich ja trinken.“
Nele winkte ab, diese Diskussion führten sie nicht zum ersten Mal.
„Wir haben beide um halb einen Termin - gehst du in den Ausweichraum oder soll ich?“, fragte sie also, statt weitere Getränkevorschläge zu machen.
„Ich geh schon, ich brauche keinen Rechnerzugriff. Wer kommt bei dir?“
„Junge Frau, überschuldet. Und bei dir?“
„Ratloser alleinerziehender Vater. Vielleicht hole ich jemanden von der Familientherapie dazu. Was meinst du, haben immer schon so viele Leute ihr Leben nicht in den Griff gekriegt – oder sind das die modernen Zeiten?“
„Moderne Zeiten“, vermutete Nele, während sie die Mappe mit den Klientendaten und ihren Vorschlägen kontrollierte, „ich glaube, die Leute werden mittlerweile zu nachsichtig erzogen. Keinerlei Stressresistenz, keinerlei Fähigkeit, Lustgewinn aufzuschieben.“
„Was?“
„Alles, was sie wollen, muss sofort geschehen – auch wenn sie es sich überhaupt nicht leisten können.“
„So geht´s mir aber auch“, bekannte Sonja.
Nele hatte schon den Mund geöffnet, um durchdachten Konsum zu predigen, als es klopfte und Jenny Meusel hereinschaute.
Sonja verzog sich und Nele richtete sich mit Frau Meusel in der Besprechungsecke ein, wo es gemütlicher war. Dort besprachen sie zuerst die Zahlen – ihr Gehalt, ihre Verpflichtungen, das Budget, das sie (quasi als Hausaufgabe) entworfen hatte, und analysierten dann die Diskrepanzen.
„Das muss alles ab jetzt anders werden!“, verkündete Frau Meusel pathetisch.
„Nein, bitte kein neues Leben von heute auf morgen!“, wandte Nele routiniert ein. „Das funktioniert nicht.“
„Ach, warum denn nicht? Ich meine, so kann ich doch auch nicht weitermachen? Ich meine, ich trau mich ja schon gar nicht mehr an den Geldautomaten!“
„Es ist besser, sich auf einzelne konkrete Aspekte zu konzentrieren. Haben Sie denn etwas, was Sie verkaufen könnten?“
Frau Meusel überlegte. „Naja, ich hab mal ein potthässliches Silberbesteck von meiner Patin bekommen. Ich meine, echt ist es und für sechs Personen, aber so grausig verschnörkelt.“
„Und natürlich schwarz angelaufen, wenn man es nicht benutzt? Das kommt mir bekannt vor. Besteht die Gefahr, dass ihre Patin sich nach dem Besteck erkundigt?“
„Keine Gefahr, sie war bei meiner Taufe schon steinalt und ist gestorben, als ich elf war.“
Nele empfahl einen anerkannt fairen Gold- und Silber-Ankauf.