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Jan Paul
Paul und der Biss des Drachen
Teil 1
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Inhaltsverzeichnis
Die Kiste
Über den Dächern einer kleinen Stadt, wo unsere Geschichte beginnt, erhob sich langsam die Sonne. Noch war alles still, nur von Weitem hörte man die Turmuhr schlagen. Ein Auto fuhr einsam die Viktoria-Straße hinunter, bog um die Ecke und verschwand. In den Vorgärten kündigte sich allmählich der Frühling an. Ein Zwitschern drang aufgeregt aus einem der Sträucher, und im nächsten Augenblick kam ein Schwalbenpärchen herausgeflogen. Mit emsigem Treiben flog es auf und ab, überquerte Hecken und Wiesen und steuerte zielstrebig auf eine Häuserreihe zu, die unweit vom Marktplatz entfernt lag. Es waren schöne Häuser mit gepflegten Gärten bis auf das letzte in der Reihe. Etwas abseits hob es sich von den anderen auffällig ab. Das Schwalbenpärchen schien ein reges Interesse an dem Haus zu haben und flog darauf zu. Doch nicht, weil es etwa das schönste und größte in der Straße war. Es sah im Gegenteil heruntergekommen und völlig verwahrlost aus. Von der Hauswand bröckelte der Putz, und der Vorgarten war von Unkraut übersät. Nein, das Schwalbenpärchen hatte unter dem Dach sein Nest gebaut. Jeden Morgen, fast um die gleiche Zeit, flog es an dem Fenster vom siebten Stock vorbei. Hin und wieder, warum auch immer, nahm es kurz Platz auf dem Fenstersims. Vielleicht beobachtete es auch nur den jungen Mann, der vor kurzem dort eingezogen war. Es sah, wie er hektisch in der Küche herumwirbelte, seinen Kaffee schlürfte, das Brot in sich hineinstopfte und sich irgendwie die Schuhe schnürte. Doch an diesem Morgen war es anders. Der junge Mann bewegte sich auffällig langsam zu seinem Küchentisch, setzte sich und frühstückte. Dem Schwalbenpärchen schien das ein Rätsel zu sein. Doch die Lösung war einfach: Es war Samstag. Aber davon wusste das Pärchen ja nichts. Der junge Mann schaute aus dem Fenster und nickte den Schwalben freundlich zu. Sein Name war Paul Meier. Er war dreiundzwanzig, hatte blaue Augen, blonde Haare und war 1,73 m groß. Er senkte wieder seinen Kopf und vertiefte sich in das Buch, das vor ihm lag. Es war eines seiner Studienbücher und handelte von Mumien und alten verlorenen Schätzen. Paul hatte seiner Heimatstadt den Rücken gekehrt, um die letzten zwei Jahre zu vergessen und um Archäologie zu studieren. Hier konnte er neu anfangen. Niemand, außer seinem besten und einzigen Freund, kannte ihn. Er fühlte sich wie ein Fremder, und es gefiel ihm. Er hob den Kopf und dachte an seine Freundin. Mitten in der Nacht hatte sein Handy geklingelt, und er hatte ihre SMS gelesen: "Tut mir leid, aber es ist aus, Sam". Sam war die Abkürzung für Samantha. Sein Blick wanderte wieder zum Fenster. Das Schwalbenpärchen saß immer noch da und beobachtete ihn. Er lächelte, setzte seine Brille zurecht und seufzte. Sam war seine große Liebe, und er war bis heute noch immer nicht darüber hinweg. Warum hatte sie nur Schluss gemacht? Wenn er wenigstens den Grund gekannt hätte. Gedankenverloren griff seine Hand wie zufällig nach seinem Salami-Käsebrot. Er öffnete den Mund und dachte dabei an die letzten Stunden mit ihr. "Klingeling", schrillte mit einem Mal das Telefon auf dem Flur, und Paul stieß einen schmerzhaften dumpfen Schrei aus. "Au - hm - verschammt!", fluchte er nuschelnd, denn er hatte sich vor Schreck auf die Zunge gebissen. Er schloss kurz die Augen und hielt sich den Mund, dann erhob er sich und eilte zum Telefon. Es war noch so ein altes mit Wählscheibe. Wütend riss er den Hörer von der Gabel. "Meier", fauchte er zähneknirschend in den Hörer.
"Hi Paul, hier ist Dein bester Freund. Wie geht’s Dir, Du Schlafmütze?" Sein Name war Tom, und er besaß die besondere Gabe, immer zu den unpassenden Zeiten anzurufen. Paul verdrehte die Augen, was er immer dann tat, wenn er genervt oder schlecht gelaunt war. "Hhm, schlescht." Er schluckte und schmeckte Blut.
"Was ist los?", fragte Tom, "Bist Du etwa krank?“ Paul holte tief Luft, bevor er antwortete: "Mmm – hasch – misch – scherade ..." "Was? Ich verstehe kein Wort", unterbrach ihn Tom. "Schunge gebischen", schnaufte Paul in den Hörer."Habe ich richtig verstanden? Du hast dir auf die Zunge gebissen? Wie ist das denn passiert?" "Dasch Telefon hasch geschlingelt." Kurze Stille am anderen Ende. "Echt? Weil ich Dich angerufen habe, hast Du Dir auf die Zunge gebissen?", flüsterte Tom fast mit schlechten Gewissen. Paul brummte und versuchte etwas deutlicher zu sprechen. "Schon gut. Wasch hascht Du aufm Herschen?" "Was ich auf dem Herschen – äh, Herzen habe?", wiederholte Tom. Paul brummte zu Bestätigung. "Kätzchen," hauchte er in den Hörer."Kätzchen?", klang Pauls Stimme mit einem Mal klar und deutlich, und seine Schmerzen schienen wie verflogen zu sein. "Ja, kleine …, süße …, knuddelige Kätzchen", alberte Tom am anderen Ende herum. "Wo?", fragte Paul mit überschäumender Neugier, und ein schallendes Lachen drang ihm entgegen. "Hey Alter, ich wusste doch, dass Dich das wieder in Laune bringt. Aber, sag mal", wurde er plötzlich ganz ernst, "sind denn Haustiere bei euch erlaubt?" "Nein, grunzte Paul, denn Tom wusste sehr wohl, dass bei ihm Haustiere verboten waren. "Aber", fuhr Paul wütend mit rebellischer Stimme fort, "es ist mir scheißegal. Ich will so ein kleines, süßes und knuddeliges Kätzchen haben, kapiert?" "Jau", stimmte ihm Tom vom anderen Ende zu, "was anderes habe ich auch nicht erwartet. Die Kätzchen befinden sich übrigens nur ein paar Häuserblocks von Dir entfernt." "Du meinst doch nicht etwa den Wochenmarkt gleich bei mir um die Ecke?" "Bingo, genau den, Alter. Frag mich jetzt aber bloß nicht, warum der Bauer sie ausgerechnet dort verkauft." Paul dachte nach. Wollte Tom ihm etwa einen Streich spielen? Zuzutrauen wäre es ihm, hatte er ihn doch in vergangener Zeit oft genug ... "Hey Alter, was ist? Oder glaubst Du, ich will Dich vera...?" "Nein", fiel Paul ihm ins Wort. "Also gut, ich werde gleich losziehen und mir die Kätzchen mal ansehen.""Na, dann solltest Du Dich aber wie verrückt beeilen, wenn Du noch eine abbekommen willst." "Ja, Du Nervensäge! Ich renne sofort los." "Und ich werde heute Abend auf einen Sprung vorbeikommen und mir das kleine Wollknäuel mal anschauen." "Ja, von mir aus." Paul legte auf, schnappte sich seinen Hausschlüssel und verließ die Wohnung. Doch hätte er geahnt, was ihn dort auf dem Markt erwarten würde, wäre er sicher zuhause geblieben. Der Markt war brechend voll, und so ließ er sich von einem Stand zum anderen treiben. Am Obst - und Gemüsestand vorbei und ... "Au!", stieß Paul plötzlich aus, denn jemand hatte ihm auf seinen Fuß getreten. Irgendeine Stimme brummte ein "tschuldigung." Doch Paul fühlte sich regelrecht unwohl in dem Meer von Menschen und bereute es schon, hier zu sein. Er trieb gerade am Blumenstand vorbei, als ihm plötzlich eine alte Frau gegenüberstand. Fast hätte er sie umgerannt, weil sie so klein war. "Entschuldigen Sie", sagte Paul, "aber können Sie mir vielleicht sagen, wo sich der Stand mit den Kätzchen befindet?" Doch die Alte, die merkwürdig aussah und unter ihrem weiten Umhang irgendetwas verbarg, blickte ihn nur verwirrt an. Dann, ohne ein Wort zu sagen, schüttelte sie den Kopf und war wieder in der Menge verschwunden. "Vielen Dank für gar nichts", brummte Paul, als ihm plötzlich jemand zurief: "SIE SUCHEN DIE KÄTZCHEN?“