Thomas Riedel

Charles Finch: Die Karte des Todes


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       Charles Finch:

       Die Karte des Todes

      Kriminalroman

      Thomas Riedel

      Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar

       1. Auflage

       Covergestaltung:

      © 2018 Thomas Riedel

       Coverfoto:

      © 2018 @ ysbrand, Depositphotos, ID 54034965

       Impressum

      Copyright: © 2018 Thomas Riedel

      Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

      ISBN siehe letzte Seite des Buchblocks

      »Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben, wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann.«

      Mark Twain (1835-1910)

       »Wahres Unglück bringt der falsche Wahn.«

      Friedrich von Schiller

      (1759-1805)

       1

       Barking, England, 1889

      Mit Ausnahme von Duncan Cantrell hatte sich die gesamte Familie im Salon des kühlen dunklen Hauses in der ›Clockhouse Avenue‹ versammelt. Der Herr des Hauses war verhindert. Er lag eine Etage höher auf seinem Bett und war tot. Er war ermordet worden. Eine Tatsache, die seine Familie noch verarbeiten musste. Dass er tot war, war schon an sich schwer zu glauben, obwohl seit einiger Zeit Todesdrohungen wie ein Damokles-Schwert über ihm hingen. Aber ermordet und obendrein von jemand, dem er selbst Gastfreundschaft gewährt hatte, war zu viel, um es auf einmal zu begreifen – und sie wussten, dass es einer von ihnen getan haben musste.

      Es war ein seltsamer Mord, denn es gab keine Spur von Gewalt, keine Waffe und auch kein Gift. Aber da es sich definitiv nicht um einen Unfall handelte, musste es Mord sein. Jedes der im Salon wartenden Familienmitglieder, dachte in diesem Augenblick wohl darüber, dass es vermutlich besser gewesen wäre, von all dem nichts zu wissen. Und obwohl es nicht zu begreifen war, hatte sich die Annahme eines Tötungsdeliktes in sie eingeschlichen – hatte sie wie eine Schlange umwunden und ließ sie nicht mehr los.

      Der Unfall, der den Mordfall aufgedeckt hatte, war buchstäblich zu sehen. Ein kleiner Junge, der auf der anderen Straßenseite wohnte, warf seinen Ball gegen eine Seite des Hauses. Anschließend konnte er den Ball nicht fangen und musste zusehen, wie dieser auf die Straße rollte. Er lief ihm nach und wurde von einem vorbeifahrenden ›Hansom Cab‹, einer einspännigen Droschke, erwischt. Man hatte den Jungen ins Haus getragen und nach einem Arzt gerufen. Wie der Zufall es wollte, war es Dr. Charles Finch, der zugleich auch Duncan Cantrells Arzt war.

      Der Junge mit dem Ball war nicht schlimm verletzt worden und hatte nur einige Prellungen und einen Schock davongetragen.

      Als Dr. Finch den Jungen verließ, blickte er über die Straße hinüber auf das rötliche Backsteingebäude von Duncan Cantrell. Eigentlich lag für den heutigen Tag kein Hausbesuch an, aber da er nun schon einmal in der Nachbarschaft war, beschloss er kurz vorbeizuschauen. Freudig wurde er von der Haushälterin empfangen. Er kannte sich gut im Haus aus und schritt die breite geschwungene Treppe zum zweiten Stock hinauf, da er dem erst vor wenigen Monaten eingebauten Aufzug nicht vertraute. Er hatte ohnehin nicht verstanden wozu dieser nütze sein sollte.

      Finch klopfte an Duncan Cantrells Schlafzimmertür. Ohne eine Antwort zu bekommen, öffnete er und ging auf Zehenspitzen hinein, um seinen Patienten nicht unnötig zu wecken.

      Aber Duncan Cantrell war nicht am schlafen. Er kämpfte in einem letzten gewaltigen Kampf mit dem Tod – allein und in stiller Qual. Sein weißes verschwitztes Haar klebte an seiner Stirn und seine knochigen Hände klammerten sich verzweifelten an die Bettdecke. Seine Augen standen weit offen und rollten wie wild hin und her.

      Noch bevor Finch das Krankenbett erreicht hatte, holte Duncan Cantrell noch einmal tief Luft – dann lag er still da.

      Als Finchs Finger keinen Puls fanden, wartete er nicht untätig ab, sondern verabreichte ihm sofort eine Injektion. Dann rief er um Hilfe.

      Es dauerte ein wenig, ehe Lucille Cantrell, Duncans Schwiegertochter, seinem Ruf folgte.

      Für Finch gab es jetzt nichts anderes zu tun, als auf eine Reaktion auf die Injektion zu warten, die aber nicht einsetzen wollte. Während er das tat, nahm er eine Medizinflasche vom Nachttisch.

      Sie war offen und ein Teil vom Inhalt auf der Tischplatte verschüttet worden.

      Finch hob die Flasche an und schnüffelte an der Öffnung. Er drehte seine Handfläche nach oben und goss etwas von der farblosen Flüssigkeit darauf. Dann testete er sie mit der Zungenspitze.

      »Seltsam«, merkte er an. »Keine Medizin. Das ist nichts anderes als normales Leitungswasser.«

      ***

       2

      Als Inspector Bradley von Scotland Yard dem kleinen unauffälligen Mann gegenüberstand, dachte er daran, dass der überall in der Menge untertauchen konnte und sich garantiert niemand an ihn erinnern würde. Aber was Finch an Äußerlichkeiten nicht mitbrachte, machte er mit seinen beruflichen Qualitäten wett – davon war Bradley bereits nach zwei Stunden seiner Zusammenarbeit mit ihm fest überzeugt.

      »Sind Sie bereits zu einem Schluss gekommen, Inspector?«, fragte Finch.

      »Ja.«

      »Es handelt sich also um Mord.«

      »Ja.«

      »Im rechtlichen Sinn?«

      »Definitiv«, bestätigte Bradley.

      »Was werden Sie nun unternehmen?«

      Bradley fuhr sich mit beiden Händen durch seine kurzgeschnittenen roten Haare. »Eine gute Frage, Doktor!«, erwiderte er mit einem Lächeln in den Mundwinkeln. Er legte zwei frische Holzscheite in den Kamin und Funken stoben auf.

      Das Feuer brachte eine gewisse Gemütlichkeit in den Raum und das gegenüberliegende Arbeitszimmer mit all seinen angefüllten Bücherregalen.

      »Sie müssen zugeben, dass ein toter Mann und eine Flasche voll Leitungswasser kein vielsprechender Ausgangspunkt sind, nicht wahr?«

      »Sie sollten aber nicht vergessen, dass dieses Leitungswasser ebenso tödlich für Mr. Cantrell war, als wenn jemand über ihm gestanden und ihm ein Messer zwischen die Rippen gestoßen hätte«, erwiderte Finch.

      »Ich verstehe«, lächelte Bradley. »Ich habe das nur zu gut verstanden, Doktor. Aber betrachten Sie das Problem einmal von meiner Seite aus. Wenn ein Mann durch ein stumpfes Instrument oder eine Handfeuerwaffe getötet wird, fange ich als Detektiv an, nach dem einen oder anderen zu suchen … Wenn er vergiftet wurde, dann suche ich nach Gift und versuche die Personen ausfindig zu machen, die Zugang zur Quelle hatten. Aber in diesem Fall war meine Untersuchung bereits nach fünf Minuten beendet. Mr. Cantrell wurde getötet indem jemand seine lebensrettende Medizin durch Leitungswasser ersetzt hat … Wasser, das vermutlich aus dem acht Fuß entfernt liegenden Badezimmer kam. Jeder hier im Haus hätte die Flasche entleeren und mit Wasser auffüllen können … Ein Vorgang, der absolut keine belastenden Spuren hinterlässt. Und selbst wenn wir Fingerabdrücke auf der Flasche finden, dann haben diese keinerlei Aussagekraft. Jeder im Haus kann die Flasche ohne Wissen des ausgetauschten Inhalts in gutem Glauben berührt haben. Dasselbe gilt für den Wasserhahn.«