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Die zweite Frau
Eugenie Marlitt
Inhaltsverzeichnis
1.
Ueber dem Teich, hoch im blauen Frühlingshimmel, hing lange und unbeweglich ein dunkler Punkt. Das blanke Gewässer wimmelte von Fischen; es lag immer so einsam, und wehrlos da, und die alten, nahe an seinen Spiegel gerückten Baumriesen konnten auch nicht helfen, wenn der graugefiederte Dieb, jäh aus den Lüften herabstürzend, nach Herzenslust das silberschuppige Leben im Wasser würgte. Heute nun traute er sich nicht herab, denn es waren Menschen da, große und kleine, und die kleinen schrieen und jubelten so ungebärdig und warfen im kindischen Vermessen ihre bunten Bälle nach ihm; rastende Pferde wieherten und stampften das Ufergeröll, und durch die Baumwipfel quollen Rauchwolken und fuhren mit zuckenden Armen gen Himmel. Menschenlärm und Rauch – das war nichts für den heimtückisch hereinbrechenden Räuber, nichts für den Segler des kristallenen Aethers; mißmutig zog der Reiher immer weitere Kreise und verschwand zuletzt unter einem gellenden Kinderhurra so spurlos, als sei sein gewichtiger Körper zerblasen und zerstoben.
Am linken Ufer des Teiches lag ein Fischerdörfchen – acht zerstreut umherstehende Häuser, beschattet von vielhundertjährigen Linden, und so niedrig, daß die Strohdächer gerade zwischen den unteren Baumästen auftauchten. Mit ihren Hamen und Netzen an den Wänden, den schmalen Holzbänkchen neben der Thür, und an der Südseite flankiert von Weißdorn und Heckenrosen, hoben sie sich zierlich vom weißen Uferrande. An wuchtige ostfriesische Fischergestalten durfte man dabei freilich nicht denken; auch war es gut, daß der ungeheure Park mit seinen beträchtlichen Waldstrecken die dahinterliegende Residenz vollkommen verdeckte – man glaubte an ländliches Leben und Treiben, bis eine der schmalen Hausthüren aufging.
Hätte der deutsche Fürst gewußt, daß das harmlose Klein-Trianon der glänzenden Königin von Frankreich schließlich den Kopf kosten sollte, so wäre das Fischerdörfchen sicher nie gebaut worden; aber er war nicht prophetischen Geistes gewesen, und so stand die anmutige Nachbildung seit beinahe hundert Jahren am Parkteich – die primitivste Idylle von außen, und im Innern das verwöhnteste Menschenkind umschmeicheln. Der Fuß, an dem der Uferkies hing, trat direkt auf schwellende Teppiche; dicke Seidenstoffe glänzten auf den Polstermöbeln und drapierten die Wände, da und dort unter breiten Spiegelflächen verschwindend. Wenn draußen auch bis zur glücklichen Täuschung mit Armut und Einfachheit kokettiert wurde, an weißgescheuerten Tischen mochte man doch nicht essen, noch weniger aber auf harten Holzbänken vom süßen Spiel ausruhen.
Das Fürstenhaus, dessen einem Sproß das Fischerdörfchen sein Dasein verdankte, hielt seit alten Zeiten fest an dem Brauch, nach welchem jeder Thronerbe in seinem achten Lebensjahre eine Linde pflanzen mußte. Der Wiesengrund am linken Teichufer, das Maienfest genannt, war so zu einer historischen Merkwürdigkeit, zu einer Art Ahnentafel geworden. Selten war wohl einer der gefürsteten Bäume eingegangen – das Maienfest hatte wahre Prachtexemplare aufzuweisen; uralte Recken im eisgrauen Panzer, hielten sie den mächtigen grünen Schild himmelstürmend empor und schützten die Nachgekommenen und die Schwächlinge, denn die waren auch da, trotz der empfangenen Weihe – die Natur läßt sich eben kein Wappen aufnötigen.
Heute, im Monat Mai, war der wichtige Akt für den Erbprinzen Friedrich gekommen. Selbstverständlich feierten der Hof und die loyale Residenz den Tag in der durch das alte Hausgesetz vorgeschriebenen Weise. Sämtliche Kinder der Hoffähigen waren eingeladen; die minder Glücklichen aber, die über keine fünf- und siebenzinkige Krone zu verfügen hatten, fuhren mit ihren Eltern hinaus, zuzusehen, wie ein wirklicher Prinz den Spaten handhabe. Hinter der Wagenburg trieb sich eine Menge Volks auf Weg und Steg herum, und die wilde Jugend hockte auf den Bäumen, unbestritten den vorteilhaftesten Observationsposten.
Das Fest war auch ein zwiefaches. Vor achtzehn Monaten war der Vater des Erbprinzen, der Landesherr, gestorben, und mit dem heutigen Tage erst hatte die schöne Herzogin-Witwe die ungewöhnlich lange festgehaltene tiefe Trauer abgelegt.
Dort stand sie, neben dem bereits gepflanzten Lindenstämmchen. Nicht einen Augenblick blieb man im Zweifel, daß sie die Höchstgebietende sei. Sie war schneeweiß gekleidet; nur im Gürtel hing ihr eine blasse Heckenrose und von dem roten Futter des kleinen Sonnenschirms, mit welchem sie das unbedeckte Haupt beschattete, fiel ein leichter Rosaschein über das Gesicht, über ein feines, sehr kurzes Näschen und üppig geschwungene, wenn auch nur schwach gefärbte Lippen. Die auffallend unregelmäßigen Linien unter mähnenartig sich aufbäumenden schwarzem Haar, der Schatten, der sich zart bläulich um die Augen legte, und