Kurt Pachl

Die Engel der Madame Chantal


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Männer seien; so richtige Männer.

      Was blieb den armen Kerlen dann übrig, als dies unter Beweis zu stellen. Stunden später genoss sie es zu beobachten, wie die Ausgepumpten zu ihrem Fahrzeug schlurften, und mit zittrigen Fingern versuchten, den Schlüssel in das Wagenschloss zu bugsieren.

      Waren es Hunderte? In den Anfangsjahren, in Freiburg, Baden-Baden, Stuttgart oder Frankfurt, waren es mit Sicherheit mehr als über tausend heißblütige Männer - pro Jahr. In den letzten Jahren „begleitete“ sie zwei bis vier Männer in der Woche. Das Schicksal wollte es, dass auch Frauen ihre Dienste in Anspruch nehmen wollten.

      Inzwischen war sie wohlhabend geworden; sehr wohlhabend sogar. Den größten Teil ihres Vermögens hatte sie jedoch nur indirekt mit ihrem Körper „erarbeitet“.

      Kapitel 2

      Chantal Mauriac wurde 1963 in einem kleinen Städtchen im Elsass geboren.

      Ihr Vater, ein Weinbauer, starb früh, und ihre Mutter Jaqueline konnte das Weingut nicht mehr halten. Sie heiratete Hannes Vögele, den Inhaber einer weithin bekannten Gastwirtschaft in Freiburg.

      Die quirlige, und bereits schon in jungen Jahren gutaussehende Tochter, besuchte das Gymnasium und schloss das Abitur mit der Note 1,2 ab. Mama Jaqueline schäumte vor Wut, als ihre intelligente Tochter unbedingt Sängerin werden wollte.

      Stiefvater Hannes entpuppte sich jedoch als egoistischer Pragmatiker.

      In seiner Gastwirtschaft wurden vornehmlich wertvolle Weine kredenzt. Seine attraktive Stieftochter sollte die Gäste bedienen, und sie zwischendurch mit lustigen Weinliedern unterhalten. Dafür griff er sogar tief in die Tasche.

      Die heißblütige und extravertierte Chantal schlug ein wie eine Bombe. Seitdem strömten unzählige Gäste zur Weinwirtschaft am Schlehbusch.

      Es blieb nicht aus, dass diese lebenslustige Schönheit umschwärmt wurde. Als ein verheirateter Gast aus Baden-Baden seine Stieftochter schwängerte, war das Wohlwollen des Stiefvaters allerdings jäh aufgebraucht. Mama Jaqueline gelang es mit allergrößter Mühe, ihren Mann umzustimmen, „das arme Mädchen“ nicht auf die Straße zu setzen.

      Nach vielen Monaten der strengen Disharmonie entpuppte sich Opa Hannes sogar als der größte Fan des kleinen, schreienden Gerard.

      Doch dann, ein Jahr später, ereignete sich dieses Unglück. Ohne jegliche Vorwarnung starb der kleine Schreihals.

      Es folgten Monate der Hölle auf Erden. Hannes Vögele war der schlimmste Teufel in dieser Hölle.

      Er steigerte sich in den Vorwurf hinein, dass dieser Schicksalsschlag eine Quittung für das Lotterleben seiner Stieftochter war. Gott habe sie dafür bestraft.

      Mama Jaqueline, die einstmals wunderschöne Frau, verhüllte ihren Körper fortan in schwarzer Kleidung. Sie flüchtete in Gebete und Kirchenbesuche. Täglich wanderte sie zum Grab des kleinen Gerard. Niemals, auch in den vielen Jahren zuvor, hatte sie Chantal in die Arme genommen; niemals hatte sie offensichtlich darüber nachgedacht, wie es wohl in der Seele ihrer Tochter aussehen möge.

      Dass ihre Mutter sie in dieser schlimmen Phase allein ließ, fraß sich tief in Chantals Seele; war unzweifelhaft ausschlaggebend für ihr weiteres Leben geworden.

      Nach Wochen des Haderns, nach einer Phase der Entscheidung für oder gegen das Leben, entschied sich die damals Einundzwanzigjährige für das Vergessen und für das Leben. Dieses kleine Zimmerchen des kleinen Gerard, diese vielen liebgewordenen Utensilien und das Bewusstsein um das Grab des Kleinen, nur einen Kilometer vom Gasthaus und den angrenzenden Wohnräumen entfernt, waren unerträglich geworden.

      In Baden-Baden schlug sich Chantal zunächst als attraktive Bedienung, Sängerin und Unterhalterin durchs Leben. Sie genoss es, wieder umschwärmt und geliebt zu werden. Das Leben musste weitergehen. Irgendwie. Viele Liebschaften, die atemlosen Fluchten glichen, gingen nahtlos in ein Leben als Hure über; in einem vornehmen Etablissement.

      Nein, als Hure oder gar Nutte hatte sich Chantal zu keinem Zeitpunkt in ihrem Leben gesehen. Sie fühlte sich allenfalls als „Liebesdienerin“. So lange sie unliebsame Freier notfalls ablehnen durfte, und für angenehme Stunden Geld bekam, empfand sie es als eine gutgemeinte Fügung des Schicksals, Freude an sexuellen Erlebnissen zu haben.

      Sehr früh entwickelte sie ein Gespür, welcher Mann ganz normalen Sex haben wollte, welcher Bursche auf Brutalität stand, oder welchen Kerl sie als Abschaum einstufen musste.

      Was um alles in der Welt war falsch daran, dass sie ihren Körper liebte; mit dieser göttlichen Gabe zu spielen verstand, und obendrein Geld dafür bekam; zunehmend mehr Geld? Sie liebte guten oder gar hemmungslosen Sex.

      Der Liebespfad führte Chantal über eine Edelsauna in Stuttgart zu einem bekannten Sauna-Club und später einem Escort-Club in Frankfurt. Sie wusste damals, dass noch viele weitere Städte auf ihrer Lebensliste stehen würden.

      Ihr prickelnder Weg zog sie nach Paris. Es folgten zwei berauschende Jahre in London. An diese Jahre erinnerte sie sich später noch gerne.

      Chantal konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, warum sie damals nach Hamburg wollte.

      Diese zwei Jahre in der Hansestadt verflogen wie im Rausch.

      Ja, für diese Jahre in Hamburg war der Begriff „Rausch“ mehr als zutreffend.

      Es fing mit einigen Joints an. Danach wollte sie mehr; brauchte sie immer mehr. Zusätzlich begann sie zu trinken und stark zu rauchen.

      Von einem Tag auf den anderen, Chantal war 32 Jahre alt, überfiel sie eine unendliche Leere und Sinnlosigkeit. An einem schönen Frühlingstag erwachte sie in einer Hamburger Klinik. Sie hatte versucht, sich mit einer Überdosis Rauschgift das Leben zu nehmen. Drei Monate verbrachte sie in der psychiatrischen Abteilung dieser Klinik.

      War es Schicksal oder Vorhersehung? Wollte eine höhere Macht sie aufrütteln?

      Während des Aufenthaltes in der Klinik fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie hatte bislang wie ein schillernder Vogel das Leben genossen; ließ sich einfach treiben. Sie hatte das Geld mit vollen Händen ausgegeben, und keine Sekunde darüber nachgedacht, Rücklagen zu bilden oder über ihre Altersvorsorge nachzudenken.

      Lediglich in eine private Krankenversicherung hatte sie einbezahlt. Doch auch diese zeigte ihr nun die rote Karte.

      Sie hatte extrem gut verdient. Für damalige Verhältnisse waren siebentausend Euro pro Monat viel Geld gewesen; nach Steuern versteht sich.

      Mit den letzten fünfhundert Euro in der Tasche fuhr sie nach Frankfurt.

      Die Betreiber einer Edelsauna, unweit des Bahnhofsviertels, freuten sich, sie wieder begrüßen zu dürfen. In der Szene sprach es sich rasch herum: „Chantal ist zurück.“

      Doch sie war inzwischen verwöhnt. In Paris und London hatte man sie liebevoller für ihre Dienste entlohnt. Jetzt brauchte sie viele Freier. Sie brauchte Geld, viel Geld. Unabhängig davon wollte sie sich in Arbeit ersäufen; diese Schande in Hamburg ausradieren. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Pläne; große Pläne.

      Neun Monate später gründete sie zusammen mit ihren Freundinnen Iris und Manuela eine Escortagentur für gehobenere Ansprüche. Sie wurden von Nachfragen regelrecht überrollt.

      Das war 1996. Der Großraum Frankfurt explodierte wirtschaftlich gesehen. Allein der Bankensektor beschäftigte mit einem Umsatz von über 2,2 Billionen Euro 80 000 Seelen. Die Kommunikationswirtschaft, viele Versicherungen und Kanzleien, Universitäten, der Handel, verarbeitendes Gewerbe, das Baugewerbe und viele Dienstleistungsunternehmen wollten ihren Repräsentationswillen zeigen. Dies schlug sich in einer eindrucksvollen Hochhaussilhouette nieder. Unzählige große Hotels beherbergten ein Meer aus Finanzhaien, Touristen oder Besuchern von Messen und Ausstellungen.

      In diesem Meer ruderten atemberaubend viele und höchst unterschiedliche Individuen. Sie waren süchtig nach einer erlebnisreichen Auszeit vom Stress und Druck des Alltages.