Gabriele Behrend

Das Dorf am Grunde des Sees


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      Gabriele Behrend

      Das Dorf am Grunde des Sees

      Außer der Reihe 67

      Gabriele Behrend

      DAS DORF AM GRUNDE DES SEES

      Außer der Reihe 67

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      © dieser Ausgabe: April 2022

      p.machinery Michael Haitel

      Titelbild & Illustration: Gabriele Behrend

      Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

      Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel

      Herstellung: global:epropaganda

      Verlag: p.machinery Michael Haitel

      Norderweg 31, 25887 Winnert

      www.pmachinery.de

      ISBN der Printversion: 978 3 95765 280 5

      ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 819 7

      1

      Giovanni freute sich. Heute war Markttag. Hoffentlich würde die fliegende Händlerin kommen, mit ihren Körben voller Allerlei. Buntes Geraffel, Plunder, Zeugs, das niemand brauchte, dass sich aber so gut anfühlte in der Hosentasche, auf dem Bettkasten, in der Vitrine. Kurzum, Gio hatte das Kauffieber gepackt und er fragte sich, welche Gefallen er zu erledigen hatte, um das eine oder andere Stück zu erhaschen. Holz hacken? Den Waschzuber einlassen? Den Ofen kehren? Man wusste nie, was die Händlerin wünschte, aber Gio kam es manchmal so vor, als ob sie immer etwas mehr forderte, als man zu geben bereit war. Und dennoch, er konnte es kaum erwarten. Denn in den letzten Wochen hatte sie durch Abwesenheit geglänzt, ihr Platz war verwaist, all das Bunte verschwunden.

      Giovanni pfiff vor sich hin. Er schob die Hände in die Hosentaschen der weiten Leinenhose und stieß mit seinen Schuhen Steinchen aus dem Weg.

      »Hey, Gio«, tönte es da über den Zaun zu ihm herüber. »Bist du auf dem Weg zu deiner Dealerin?«

      ›Wo hatte Erik denn dieses Wort her. Das klang so fremd, ungewohnt und unterschwellig aggressiv. Es kursierte nicht lange im Dorf, sodass es ein Außenseiter war in der dörfischen Alltagssprache.‹

      Er schüttelte den Kopf. »Sie ist eine Marketenderin wie die anderen auch. Beleidige sie nicht, sonst bekommst du es mit mir zu tun.«

      Erik stieß einen schrillen Pfiff aus. »Verliebt ist der Kerl, na sowas!« Er grinste dreckig.

      Gio zuckte mit den Schultern. Erik und er waren nie beste Freunde gewesen, aber er hatte für sich beschlossen, die alte Feindschaft, in den Schultagen gehegt und gepflegt, beiseitezutun. Sie waren keine Kinder mehr. Jetzt hieß es Verantwortung übernehmen auf den heimischen Gehöften, Werkstätten und Arbeitsplätzen. Giovanni war ein Zimmermann, einer, der sich aufs Fachwerk verstand, darauf, Häuser bauen, einer, der wusste, wie und wo man zupacken musste, um die Aufgaben geregelt zu bekommen. Doch fiel das kaum einem im Dorf auf.

      Er hatte an der Last, der dritte Bruder zu sein, der kleine Nachkömmling eben, der Dummerjan mit seinen seltsamen Gedanken, genug zu tragen. Dazu kamen seine wirren Ideen und das Interesse an dem Tand und den Geschichten der fliegenden Händlerin, sowie die allzu auffällige Neugier, die sich auf die Besucher bezog, und schon war er eben für alle anderen der »Spinnerte«, einer, dem man wenig zutraute. Einer, den man nicht ernst nahm.

      Giovanni zockelte weiter über die helle, sandfarbene, weißlich schimmernde Straße, die im flaschengrünen diesigen Licht gespenstisch leuchtete. Er zwang sich, sich sittsam durch das Dorf zu bewegen, obwohl er am liebsten wie ein übermütiges Füllen über die Wiese galoppiert wäre. Aber Männer verhielten sich nicht so. Und er war jetzt einer von ihnen.

      Er schmunzelte bei diesem Gedanken. Ein Erwachsener. Pah! Oder doch eher: gut so? Was ist, das ist. Da biss eine Maus keinen Faden ab.

      Gio tastete in seiner tiefen weiten Hosentasche nach den Knöpfen und Steinen, die die fliegende Händlerin verlangte. Er hatte sich Mühe gegeben, Tauschsteine zu finden, die andersartig waren, und bei zweien war er sich nicht sicher, ob er diese überhaupt abgeben wollte.

      »Hallo, Giovanni!« Ein helles Mädchenlachen flog ihm zu. »Was willst du heute mit nach Hause nehmen? Brauchst du vielleicht einen Krug süßen Honigs?« Laitinda hielt einen irdenen Topf in ihrer Hand. »Soll ich den auf deinem Namen zur Seite stellen?«

      Gio errötete heftig. »Wem sollte ich ihn denn geben?«

      »Ach, da ist nicht eine, der du den Honig schenken möchtest? Oder mag dich keine?« Laitinda steckte den Topf wieder in ihren Henkelkorb. Sie hob eine Braue und musterte Gio abschätzig. »Nun ja«, meinte sie dann und dehnte das ›Ja‹ unangenehm lang.

      Mehr sagte sie nicht, aber das reichte durchaus, um Giovanni zu verletzen. Er presste die Zähne aufeinander und ballte seine Hände zu Fäusten, was man in den Taschen seiner Leinenhose nicht sah. Dann zwang er sich, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Er rang sich ein Lächeln ab und nickte zu dem Korb hin. »Bewahre den Honig für mich auf. Ich werde ihn schon einzusetzen wissen.«

      Laitinda riss die Augen auf, mit so einer Antwort hatte sie nicht gerechnet. Auf einmal veränderte sich ihre Wahrnehmung des schlaksigen, groß gewachsenen, immer etwas verwirrten jungen Mannes ins Positive. Dann lächelte sie reizend, wandte sich ab und strebte dem Marktplatz und dem Stand ihrer Großmutter entgegen.

      Giovanni erreichte das bunte Treiben nur ein paar Schritte später. Die Buden waren um die kleine Kirche herum aufgebaut, nur die Rückseite blieb dem übersichtlichen Friedhof vorbehalten. Gio trat vor die Kapelle hin und reckte den Hals, um sich besser umzusehen. Er fand das bunte Zelt der fliegenden Händlerin an der hinteren linken Ecke der Kirche. Schon wollte er sich durch die Stände schieben, ohne deren Waren zu begutachten, da wurde er von dem Schmied aufgehalten.

      »Na, na, na, Bursche, wo ist dein Benimm hin? Tu wenigstens so, als ob dich mein Handwerk interessiert. Hier, sag an, brauchst du nicht ein neues Schnitzmesser? Ich habe eines mit einer Damaszenerfältelung, einzigartig in Machart und Gebrauch. Wenn du einmal mit so einem Messer gearbeitet hast, willst du kein anderes mehr an deinem Werkzeuggürtel tragen.«

      Ein Hüne, angetan mit einer riesigen, dunkelbraunen Lederschürze, auf dem bloßen Echsenkörper getragen, baute sich vor Gio auf.

      Der blieb stehen, schluckte kurz. Denn wenn Tylla schon irrwitzig lang im Dorf war, sodass er tragfähige Wurzeln in dem Geflecht der Dorfgemeinschaft ausgebildet hatte, war sein Anblick jedes Mal aufs Neue befremdlich. Tylla hatte Oberarme wie Schweineschinken und einen reptiloiden Schädel mit furchterregenden Zähnen. Kurzum, er sah ein bisschen aus wie eine Mischung aus den Drachen und Lindwürmern, von denen die Alten erzählten, und einem Preisboxer. Die fliegende Händlerin hatte ihm Bilder dieser Kirmesleute gezeigt, die eindeutig dem ›Danach‹ zuzuordnen waren.

      »Mein Werkzeuggürtel enthält alles, was ich brauche. Willst du das sehen? Dann heuer mich an. Und wenn du zufrieden bist, dann gibst du es mir halt, dieses Wundermesser.« Gio zuckte kurz mit den Achseln.

      Die beiden grinsten sich an, tauschten ein paar Boxhiebe aus, auf die Gio mit einem Fluch reagierte, aber letztlich abwinkte und weiterzog.

      Dann stand er endlich vor den Kisten und Kästen, den Körben und Säcken und dem doppelten Zelt der fliegenden Händlerin. Mit einer beiläufigen Handbewegung fischte er aus seiner linken Westentasche die Flüstermännchen. Es waren zwei schmale Kapseln mit einer Krempe um den unteren Teil. Sie sorgten dafür, dass man sich untereinander verständigte. Die Dorfbewohner brauchten die Apparate nicht, sie nutzten alle die gleiche Sprache. Dies war ein Umstand, den Gio so manches Mal schon verflucht hatte. Aber wenn man mit Besuchern redete, die nicht die dörfische Alltagssprache erlernt hatten,