ertha von Suttner
EVA SIEBECK
I
»Sie kommen schon – sie kommen schon,« rief die alte Gräfin und trat von dem Balkon, wo sie wartend ausgeschaut, in das Zimmer zurück.
Ralph legte eine Zeitung, in der er gelesen, aus der Hand:
»So wollen wir ihnen entgegengehen und sie am Fuße der Treppe empfangen. Hier ist mein Arm, Mutter«.
Eine Minute später standen die Beiden unter der Einfahrt, wo schon mehrere andere Hausgenossen – Familienglieder und Dienerschaft – der Ankommenden harrten. Noch eine Minute, und der Wagen, der die Erwarteten brachte, hielt vor dem Schloßthor an. Ein zweiter Wagen hinterdrein.
Leichtfüßig, ohne die Stütze der herbeigeeilten Diener zu benutzen, sprangen die Insassen des ersten Wagens – Heimkehrende von der Hochzeitsreise – über das Trittbrett herab. Aus dem zweiten, mit Koffern, Taschen und Schachteln beladenen Gefährt stiegen Kammerdiener und Kammerjungfer des jungen Paares aus.
Nun folgten die üblichen Begrüßungen, Umarmungen und Anordnungen: – »Willkommen! – Grüß Gott – Du siehst aber vortrefflich aus! – Das Gepäck hierher« – und dergleichen. – Der Gräfin-Mutter küßte die junge Frau die Hand, doch als sie des nebenstehenden Herrn ansichtig wurde, der ihr die Arme öffnete, blickte sie unschlüssig und fragend zu der alten Frau auf.
»Ah so,« lächelte diese, »Dich kennt sie ja nicht, Ralph … Küsse ihn nur, mein Kind. Es ist Dein Schwiegervater.«
Graf Ralph von Siebeck, der Schloßherr, sah allerdings nicht so aus, wie man gewohnt ist, die Gattung »Schwiegervater« sich vorzustellen. Dreiundvierzig Jahre alt, aber bedeutend jünger erscheinend, von hoher, schlanker Gestalt, mit dichtem, schwarzem Kraushaar, ebensolchem, spitz gestutztem Vollbart, mit feurigen Augen und weißschimmernden Zähnen – machte er durchaus nicht den Eindruck einer Respektsperson. Auch er betrachtete die neu eingeführte Schwiegertochter mit überraschtem Wohlgefallen.
»Du bist hundertmal hübscher als Deine Photographie, kleines Weib. Mein Sohn hat Geschmack – das muß man ihm lassen. Wäre ich zu seinem Glück nicht gerade in Indien gewesen, als er um Dich geworben, so hätte ich mich wahrscheinlich selber in Dich verliebt.«
»Aber jetzt, Kinder,« sagte die Großmutter, »geht in Eure Zimmer, Euch auszuruhen und den Reisestaub abschütteln. In einer halben Stunde wird die Frühstücksglocke läuten … Robert, führe Deine Frau – Du weißt ja: ich habe Deine ehemalige Wohnung für Euch herrichten lassen.«
»Also komm – daher – mir nach,« sagte der junge Gatte mit gedehntem, etwas näselndem Stimmlaut. Dann, ungeduldig: »Eva – so komm doch – laß mich nicht warten.«
Die für das junge Paar bestimmte Wohnung – dieselbe, welche Robert in seiner Knabenzeit mit seinem Hofmeister innegehabt – lag im Erdgeschoß, mit der Aussicht nach dem Park. Das erste Zimmer – früher die Studirstube – war zu einem Damensalon umgewandelt worden. Nebenan ein großes gemeinschaftliches Schlafzimmer und zuletzt ein für Robert bestimmtes Arbeitskabinet. Eine zweite Thür des Schlafzimmers führte nach einer Ankleidekammer.
Als die Angekommenen eintraten, war die Kammerjungfer schon beschäftigt, den Putztisch in Ordnung zu bringen. Jetzt nahm sie der Herrin Hut und Reisemantel ab.
»Befehlen Frau Gräfin etwas? Wollen Toilette wechseln?«
»Später – ich werde rufen.«
»So werde ich einstweilen den großen Koffer auspacken.«
Robert schaute sich in den Zimmern um:
»Da sind alle meine Sachen hinausgeworfen worden,« sagte er mit seiner eigenthümlichen, schleppenden Betonung. »Möchte wissen, was mit meiner Schmetterlingsammlung geschehen ist? … Liegt mir übrigens nicht viel daran, an dem Plunder – Hab‘ jetzt andere Passionen … Du, Eva, wie gefällt Dir denn der Papa?«
»O sehr gut, sehr gut —«
»Na warte nur, bis Du ihn kennen lernst… wirst schon sehen… ein sonderbarer Kauz… hat so seine Ideen – ich vertrag‘ mich zwar nicht zum Besten mit ihm … Das wird hier überhaupt ein fades Leben werden – jetzt im Juni, wo die Schonzeit ist… Was soll man denn den ganzen Tag machen?«
»Ich dachte. Deine Landwirtschaftsstudien – —
»Bitt‘ Dich, hör mir auf – damit wird man sich doch nicht mehr als ein oder zwei Stunden täglich plagen sollen? .. Du – ich geh jetzt ein bissel nachschauen im Stall… Mach‘, daß Du fertig bist in einer halben Stund‘… Man hätt‘ auch früher gabelfrühstücken können – ich hab‘ schon einen kannibalischen Hunger. Beeil Dich – wenn die Glocke läutet, werd‘ ich Dich abholen.«
Und er ging zur Thür hinaus.
Eva, die sich vorhin in einen an dem offenen Fenster stehenden Lehnstuhl geworfen, blieb regungslos. Ihre Augen waren auf den Park gerichtet, der von Sonnenschein übergossen in vollster Frühlingspracht prangte; Akazien- und Heuduft wehten von draußen herein und das Zimmer selber hatte den frischen ländlichen Geruch, welcher in lang unbewohnt gewesenen Schloßräumen zu herrschen pflegt. Ein schöner großer Pfau mit blauschimmerndem Halse und lang nachschleppendem Schwanze stolzirte auf dem Rasenplatz, und zwei junge Windhunde tummelten und balgten sich auf den Kieswegen. Mit zerstreutem Blick – ihre Gedanken waren wohl anderswo – nahm Eva dieses Bild in sich auf. Jetzt trat die Gestalt ihres Gatten – der Weg nach dem Stalle mußte hier vorbeiführen – in ihren Gesichtskreis, und ebenso zerstreut blickte sie auch diesem nach. Sein Gang hatte eigentlich denselben Charakter wie seine Sprechweise: nachlässig, schleppend, mit einem Anfluge von Derbheit. War das so kavaliermäßige » nonchalance« oder war es ein Erbstück bäuerlicher Ungeschlachtheit? Roberts Mutter war nämlich eine Dorfschöne gewesen. Graf Ralph, als er zwanzig Jahre zählte, hatte sich in die Tochter des Wirths verliebt und dieselbe, zum Entsetzen aller hochgeborenen Verwandten, zur Gräfin Siebeck gemacht. Die junge Frau war aber bei der Geburt des Sohnes gestorben. So viel hatte Eva von der Jugendgeschichte ihres Schwiegervaters erfahren. Der Umstand, daß Robert der Sproß einer solchen Mißheirath war, machte, daß er in der Wiener großen Welt nicht als ganz ebenbürtig aufgenommen wurde. Auch in seinen Gesichtszügen lag etwas – ein unbestimmtes Etwas —, das auf niedere Abkunft deutete; mit seinem Vater, der den Typus vornehmster Verfeinerung darstellte, besaß er nicht die geringste Aehnlichkeit.
Noch eine Zeit lang saß Eva bewegungslos da; dann, als wolle sie einen lästigen Gedanken verscheuchen, schüttelte sie heftig den Kopf und sprang auf:
»Alles so neu, so neu, so fremd, so unwirtlich …« sagte sie halblaut. Die äußere Thür wurde ein Geringes geöffnet:
»Darf man?« fragte eine frische Mädchenstimme durch die Spalte. Doch ohne die verlangte Erlaubniß abzuwarten, trat jetzt die Fragerin herein.
»Ach, Du bist‘s, Irene? Hat schon die Frühstücksglocke … und ich habe noch gar nicht Toilette gewechselt…«
»Ist nicht nöthig – Du bist ja wunderschön so. Ich bin nur gekommen, um Dich nochmals zu begrüßen – da, unter der Einfahrt warst Du zu sehr von den Andern in Anspruch genommen … Daß ich Dich allein finden würde, wußte ich, denn ich habe Robert hinausgehen gesehen. Also, wie geht es Dir eigentlich, Schatz? Du siehst etwas angegriffen aus, scheint mir – nicht ganz so rosig wie vor Deiner Abreise. Macht Dich der Vetter glücklich? – Hast Du Dich in Italien gut befunden? Und wie gefällt es Dir hier in Großstetten?«
»Das sind viele Fragen auf einmal, liebe Iri, Du findest also, daß ich schlecht aussehe? Du hingegen bist bedeutend frischer und blühender geworden. Vor drei Monaten, als Du meine Brautjungfer warst, schienst Du mir viel blasser.«
»Ja, das war der eben durchgemachte Winterfeldzug. Glaubst Du, es sei eine Kleinigkeit, neunzehn Bälle durchgetanzt, vier Körbe ausgetheilt und für ein halb Dutzend verschiedener Kotillon-Tänzer unglücklich geschwärmt zu haben? Hier in der ländlichen Stille werden die Wangen wieder roth und das Herz – wieder ganz. Unter Anderm: was sagst Du zu Onkel Ralph? Den hast Du ja früher noch gar nicht gekannt.«
»Ich kenne ihn noch immer nicht – die eine flüchtige Minute —«
»Ein Prachtmensch, sag‘ ich Dir. Ich schwärme für ihn —«
»Du scheinst zum Schwärmen recht beanlagt: zuerst die sechs Kotillontänzer und jetzt der eigene Onkel – —«
»Uh,