Franz Treller

Der Letzte vom "Admiral"


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      Franz Treller

      Der Letzte vom "Admiral"

      Ueber Bord gefallen 

      Der Wind blies scharf aus Südost und warf vor der breiten Elbmündung kurze, weißschäumende Wellen auf. Die Sonne war bereits untergegangen, und am Himmel jagten dunkle Wolken vorüber, die von Zeit zu Zeit einen Regenschauer niedersandten.

      Von Norden, über den großen Vogelsand her, suchte eine kleine Segeljacht gegen den Wind aufzukreuzen, um die Elbmündung zu gewinnen.

      Unter stark gekürzter Leinwand jagte sie auf einem Gang nach Süden durch die schaumgekrönten Wellen. Schon sandten der Leuchtturm von Neuwerk und fernher der von Kuxhaven ihr strahlendes Licht durch die Dämmerung. Drei junge Leute befanden sich an Bord des schlanken Bootes, in der eleganten Seemannstracht, wie sie die reichen jungen Hamburger auf ihren Fahrten anzulegen pflegten.

      Am Steuer saß ein kräftiger, breitschultriger Jüngling, der es mit Geschick handhabte. Der Gefährte an seiner Seite zeigte schlanke Formen und fast mädchenhafte Züge unter der blauen Matrosenmütze. Der dritte kauerte an der Brasse, um sie beim Umlegen des Bootes zu bedienen; seine stechenden dunkeln Augen würden sicherlich jedermann aufgefallen sein.

      »Ich fürchte, wir kommen bei diesem Lüftchen und solange noch die Ebbe abläuft nie in die Elbe, Henrik«, sagte der am Steuer zu dem neben ihm sitzenden jungen Mann.

      »So laß uns wenden und auf Büsum halten«, entgegnete der Angeredete, »wir sind mit diesem Wind hinter uns in einer Stunde dort und können nach Hamburg telegraphieren, um die Unsrigen zu beruhigen, und dann die Eisenbahn zur Heimfahrt benutzen.«

      »Unsinn!« schrie der dritte an der Brasse, zu dem die Worte trotz des Rauschens von Wind und Wellen gedrungen waren, mit einer wenig angenehmen Stimme, »wir kommen mit dem zweiten Gang sicher in die Elbe und erreichen die ›Alte Liebe‹ noch ehe es ganz Nacht wird. Laßt uns umlegen.«

      »Noch nicht«, entgegnete der am Steuer, »ich will erst Neuwerk achter haben, ich kann dann besser auf dem langen Gang ausholen.«

      Es ward nicht weiter gesprochen, und die Jacht lief dicht am Wind in schneller Fahrt an der Insel vorbei. Einen Augenblick erregte ein dort ankerndes Barkschiff die Aufmerksamkeit der jungen Leute, die sich wunderten, an solcher Stelle einen Kauffahrer liegen zu sehen, doch tauschten sie, vollauf mit ihrem Boot beschäftigt, keine Bemerkungen darüber aus.

      Es wurde dunkler, und ein feiner Sprühregen beschränkte den Ausblick noch mehr, doch war der Lichtschein vom Leuchtturm zu Kuxhaven deutlich zu gewahren. Jetzt hielt der Jüngling, welcher das Steuer führte und wohl als Kapitän gelten konnte, den Augenblick für gekommen, um zu wenden.

      Neuwerk lag hinter ihnen.

      »Geh nach vorn, Henrik«, sagte er zu dem, welcher neben ihm saß, »und wirf den Klüver herum, daß wir rascher den Wind fangen, wir bekommen sonst Wasser.«

      Henrik erhob sich, um den Befehl auszuführen.

      Das Boot lief so hart am Wind, daß der Segelbaum innerhalb der Bordwände lag, so daß der junge Mann, welcher nach vorn ging, dies im Lee der hart angespannten Leinwand tun konnte. Kaum war er neben der schweren Spiere, welche in Schulterhöhe sich hinstreckte, als das Tau, vermittelst dessen sie scharf angeholt war, im Block losglitt und das schwere Holz unter dem harten Luftdruck, der auf der Leinwand lag, mit starker Kraft Henriks Haupt traf und ihn in die dunkeln schäumenden Wellen schleuderte. Ein Schrei des Entsetzens hallte über die wilden Wasser hin. Der Mann an der Brasse saß leichenblaß und bewegungslos da. Dennoch hatte der andere trotz des furchtbaren Ereignisses Besonnenheit genug, das Steuer herumzuwerfen, um in den Wind zu kommen.

      »Hol steif!« schrie er gellend seinem Gefährten zu, der mechanisch dem Anruf folgte. Es vergingen Minuten der Todesangst, ehe das Boot wieder am Wind lag; es hatte viel Wasser eingenommen.

      »Henrik! Henrik!« schrie der Steuermann in wildem Schmerz über die Wellen hinaus und ließ seine Augen umherschweifen, um etwas von dem Freund zu entdecken.

      Vergebens. Das Boot jagte dahin zwischen schäumenden, sich überstürzenden Wogen – nichts – nichts war zu entdecken.

      Am Morgen nach dem für die Bemannung der Segeljacht so furchtbaren Abend ging der Senator a. D. Christian Asmus in dem wohlgepflegten Garten auf und ab, der seine Villa, die anmutig am Ufer der Elbe in Blankenese sich erhob, umgab. Der hochgewachsene Herr, ein stattlicher Sechziger mit einem schönen, vornehmen Gesicht, das starkes weißes Haar und ein kurz gehaltener Backenbart einrahmten, ging langsam, seine Havanna rauchend, zwischen den Blumenanlagen hin und her, oftmals sich zu einem seiner Lieblinge niederbeugend.

      Nicht ohne einiges Befremden sah er den jungen Holthaus, den Sohn des Nachbarn, den Gartenweg entlang auf sich zukommen. Die Stunde war für einen Besuch etwas früh gewählt. Als der junge, kräftige Mann, ziemlich langsam gehend, näherkam, bemerkte der Senator, wie bleich und verstört er aussah.

      Besorgnis stieg in dem alten Herrn auf, daß jener der Überbringer schlechter Nachrichten sein könne, und ihm entgegengehend, fragte er rasch: »Nun, Karl Holthaus, was bringen Sie mir?«

      »Leider nichts Gutes, Herr Senator«, sagte der Angeredete in einem Ton, der dem gramvollen Ausdruck seines Gesichts entsprach.

      Der alte Herr sah ihn aufmerksam an und sagte: »Kommen Sie mit in den Salon.« Er schritt die Stufen hinauf über die breite Veranda auf das nahe Haus zu, schloß, als Holthaus ihm gefolgt war, die Flügeltüren des kleinen Saales und fragte dann mit etwas gedrückter Stimme: »Was hat's gegeben?«

      »Ein Unglück, ein großes Unglück, Herr Senator«, und überwältigt von seinem Gefühl, brach der junge Mann in einen Tränenstrom aus.

      Der Senator erschrak hierüber heftig, und da er wußte, daß der junge Holthaus ein Freund seines Neffen Henrik Horsa sei, fragte er mit bebender Stimme: »Betrifft es Henrik?«

      Karl Holthaus nickte stumm, er konnte noch nicht reden. Schluchzen erstickte seine Stimme. Dem Senator lief es kalt den Rücken hinab und eine Ahnung großen Unheils stieg in ihm auf.

      »Was ist dem Jungen zugestoßen?« fragte er rasch und sah so bleich aus wie der in tiefer Erregung vor ihm stehende junge Mann.

      »Er ist – ach, Herr Senator, Henrik ist – verunglückt.«

      »Wie? Verunglückt?«

      »Er ist gestern abend bei Neuwerk über Bord gegangen.«

      »Und? Und?«

      »Es war wildes Wetter und – und zu retten war er nicht.«

      Der Senator ließ die Zigarre, die schon lange nicht mehr brannte, fallen und setzte sich in einen Lehnstuhl; er fühlte, daß die Beine ihn nicht mehr tragen wollten. Mit aller Anstrengung sagte er: »Teilen Sie mir alles mit – wie ist das zugegangen, Holthaus?«

      Dieser fing an von der Fahrt zu erzählen, dem schlimmen Wetter, der Schwierigkeit, die Elbmündung zu gewinnen, und berichtete dann stockend in schmerzvoller Erinnerung die schauerliche Katastrophe.

      Stumm, atemlos lauschte der alte Herr, und sein Herz zog sich in jähem Schmerz zusammen, als er das Schlimmste erfuhr.

      Er senkte das Haupt, unfähig zu sprechen.

      »Wir haben getan, was wir konnten, Herr Senator, aber es war Nacht – hoher Wellengang, es war nicht möglich, ihm Hilfe zu bringen. Bei Gott, ich wollte, ich wär's gewesen, der zugrunde ging«, setzte er in einem Ton hinzu, der aus dem Herzen kam. Auch wußte Asmus, wie sehr der junge Holthaus Henrik liebte.

      Erst nach einiger Zeit fragte der Senator: »Wer war noch in dem Boot?«

      »Onno Steenberg.«

      Onno Steenberg war der andere Neffe des alten Herrn, der Sohn seiner zweiten Schwester.

      »Und der saß an der Brasse, als das Unglück geschah?«

      »Ja.«

      Der Senator stand auf und ging einigemal im Zimmer auf und ab, die dichten Augenbrauen finster zusammengezogen und starr vor sich hinsehend. Dann wandte er sich wieder an Holthaus: »Und warum ist Onno nicht gekommen, mir das Unheil zu verkünden?«