Johann Wolfgang von Goethe

Belagerung von Mainz


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ng von Goethe

      Belagerung von Mainz

      Belagerung von Mainz

      Montag den 26. Mai 1793 von Frankfurt nach Höchst und Flörsheim; hier stand viel Belagerungsgeschütz. Der alte freie Weg nach Mainz war gesperrt, ich mußte über die Schiffbrücke bei Rüsselsheim; in Ginsheim ward gefüttert; der Ort ist sehr zerschossen; dann über die Schiffbrücke auf die Nonnenaue, wo viele Bäume niedergehauen lagen, sofort auf dem zweiten Teil der Schiffbrücke über den größern Arm des Rheins. Ferner auf Bodenheim und Oberulm, wo ich mich kantonierungsmäßig einrichtete und sogleich mit Hauptmann Vent nach dem rechten Flügel über Hechtsheim ritt, mir die Lage besah von Mainz, Kastel, Kostheim, Hochheim, Weißenau, der Mainspitze und den Rheininseln. Die Franzosen hatten sich der einen bemächtigt und sich dort eingegraben; ich schlief nachts in Oberulm.

      Dienstag den 27. Mai eilte ich, meinen Fürsten im Lager bei Marienborn zu verehren, wobei mir das Glück ward, dem Prinzen Maximilian von Zweibrücken, meinem immer gnädigen Herrn, aufzuwarten; vertauschte dann sogleich gegen ein geräumiges Zelt in der Fronte des Regiments mein leidiges Kantonierungsquartier. Nun wollt' ich auch die Mitte des Blockadehalbkreises kennen lernen, ritt auf die Schanze vor dem Chausseehaus, übersah die Lage der Stadt, die neue französische Schanze bei Zahlbach und das merkwürdig-gefährliche Verhältnis des Dorfes Bretzenheim. Dann zog ich mich gegen das Regiment zurück und war bemüht, einige genaue Umrisse aufs Papier zu bringen, um mir die Bezüge und die Distanzen der landschaftlichen Gegenstände desto besser zu imprimieren.

      Ich wartete dem General Grafen Kalckreuth in Marienborn auf, und war abends bei demselben; da denn viel über eine Märe gesprochen wurde, daß in dem Lager der anderen Seite vergangene Nacht der Lärm entstanden, als sei ein deutscher General zu den Franzosen übergegangen, worüber sogar das Feldgeschrei verändert worden und einige Bataillons ins Gewehr getreten.

      Ferner unterhielt man sich über das Detail der Lage überhaupt, über Blockade und künftige Belagerung. Viel ward gesprochen über Persönlichkeiten und deren Verhältnisse, die gar mancherlei wirken, ohne daß sie zur Sprache kommen. Man zeigte daraus, wie unzuverlässig die Geschichte sei, weil kein Mensch eigentlich wisse, warum oder woher dieses und jenes geschehe.

      Mittwoch den 28. Mai bei Obrist von Stein auf dem Forsthause, das äußerst schön liegt; ein höchst angenehmer Aufenthalt! Man fühlte, welch eine behagliche Stelle es gewesen, Landjägermeister eines Kurfürsten von Mainz zu sein. Von da übersieht man den großen landschaftlichen Kessel, der sich bis Hochheim hinüber erstreckt, wo in der Urzeit Rhein und Main sich wirbelnd drehten und restagnierend die besten Äcker vorbereiteten, ehe sie bei Bieberich westwärts zu fließen völlige Freiheit fanden.

      Ich speiste im Hauptquartier; der Rückzug aus der Champagne ward besprochen; Graf Kalckreuth ließ seiner Laune gegen die Theoristen freien Lauf.

      Nach der Tafel ward ein Geistlicher hereingebracht, als revolutionärer Gesinnungen verdächtig. Eigentlich war er toll, oder wollte so scheinen; er glaubte Turenne und Conde gewesen, und nie von einem Weibe geboren zu sein; durch das Wort werde alles gemacht! Er war guter Dinge und zeigte in seiner Tollheit viel Konsequenz und Gegenwart des Geistes.

      Ich suchte mir die Erlaubnis, Lieutenant von Itzenplitz zu besuchen, welcher am 9. Mai in einer Affäre vor Mainz mit Schuß und Schub verwundet und endlich gefangen genommen worden. Feindlicherseits betrug man sich auf das schonendste gegen ihn und gab ihn bald wieder heraus. Reden durft' er noch nicht, doch erfreute ihn die Gegenwart eines alten Kriegskameraden, der manches zu erzählen wußte.

      Gegen Abend fanden sich die Offiziere des Regiments beim Marketender, wo es etwas mutiger herging als vorm Jahr in der Champagne: denn wir tranken den dortigen schäumenden Wein, und zwar im Trocknen beim schönsten Wetter. Meiner vormaligen Weissagung ward auch gedacht; sie wiederholten meine Worte: "Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen."

      Wunderbar genug sah man diese Prophezeiung nicht etwa nur dem allgemeinen Sinn, sondern dem besondern Buchstaben nach genau erfüllt, indem die Franzosen ihren Kalender von diesen Tagen an datierten.

      Wie aber der Mensch überhaupt ist, besonders aber im Kriege, daß er sich das Unvermeidliche gefallen läßt und die Intervalle zwischen Gefahr, Not und Verdruß mit Vergnügen und Lustbarkeit auszufüllen sucht: so ging es auch hier; die Hautboisten von Thadden spielten ca ira und den Marseiller Marsch, wobei eine Flasche Champagner nach der andern geleert wurde. Abends 8 Uhr kanonierte man stark von den Batterien des rechten Flügels.

      Donnerstag den 29. Mai früh 9 Uhr Viktoria wegen des Siegs der Östreicher bei Famars. Dieses allgemeine Abfeuern nützte mir, die Lage der Batterien und die Stellung der Truppen kennen zu lernen; zugleich war ein ernstlicher Handel bei Bretzenheim, denn freilich hatten die Franzosen alle Ursache, uns aus diesem so nahe gelegenen Dorfe zu vertreiben.

      Inzwischen erfuhr man, woher das Märchen der gestrigen Desertion entstanden: durch seltsam zufällige Kombinationen, so abgeschmackt als möglich, aber doch einige Zeit umherlaufend.

      Ich begleitete meinen gnädigsten Herrn nach dem linken Flügel, wartete dem Herrn Landgrafen von Darmstadt auf, dessen Lager besonders zierlich mit kiefernen Lauben ausgeputzt war, dessen Zelt jedoch alles, was ich je in dieser Art gesehen, übertraf, wohl ausgedacht, vortrefflich gearbeitet, bequem und prächtig.

      Gegen Abend war uns, mir aber besonders, ein liebenswürdiges Schauspiel bereitet; die Prinzessinnen von Mecklenburg hatten im Hauptquartier zu Bodenheim bei Ihro Majestät dem Könige gespeist und besuchten nach Tafel das Lager. Ich heftelte mich in mein Zelt ein und durfte so die hohen Herrschaften, welche unmittelbar davor ganz vertraulich auf und nieder gingen, auf das genauste beobachten. Und wirklich konnte man in diesem Kriegsgetümmel die beiden jungen Damen für himmlische Erscheinungen halten, deren Eindruck auch mir niemals verlöschen wird.

      Freitag den 30. Mai. Früh hörte man hinter dem Lager Kleingewehrfeuer, welches einige Apprehension gab; dies klärte sich dahin auf, daß die Bauern den Fronleichnam gefeiert. Ferner ward Viktoria geschossen aus Kanonen und kleinem Gewehr, jenes glücklichen Ereignisses in den Niederlanden wegen; dazwischen scharf aus der Stadt und hinein. Nachmittag ein Donnerwetter.

      Holländische Artillerie-flottille ist angekommen, liegt bei Ebenheim.

      In der Nacht vom 30. zum 31. Mai schlief ich, wie gewöhnlich ganz angezogen, ruhig im Zelte, als ich vom Platzen eines kleinen Gewehrfeuers aufgeweckt wurde, das nicht allzu entfernt schien. Ich sprang auf und heraus und fand schon alles in Bewegung; es war offenbar, daß Marienborn überfallen sei. Bald darauf feuerten unsere Kanonen von der Batterie vor dem Chausseehaus, dies mußte also einem herandringenden Feinde gelten. Das Regiment des Herzogs, von dem eine Schwadron hinter dem Chausseehaus gelagert war, ruckte aus; der Moment war kaum erklärbar. Das kleine Gewehrfeuer in Marienborn, im Rücken unserer Batterien, dauerte fort, und unsere Batterien schossen auch. Ich setzte mich zu Pferde und ritt weiter vor, wo ich, nach früher genommener Kenntnis, ob es gleich Nacht war, die Gegend beurteilen konnte. Ich erwartete jeden Augenblick, Marienborn in Flammen zu sehen, und ritt zu unseren Zelten zurück, wo ich die Leute des Herzogs beschäftigt fand, ein- und aufzupacken, auf alle Fälle. Ich empfahl ihnen meinen Koffer und Portefeuille und besprach unsern Rückzug. Sie wollten auf Oppenheim zu; dorthin konnte ich leicht folgen, da mir der Fußpfad durch das Fruchtfeld bekannt war, doch wollt' ich den Erfolg erst abwarten und mich nicht eher entfernen, bis das Dorf brennte und der Streit sich hinter demselben weiter heraufzöge.

      In solcher Ungewißheit sah ich der Sache zu, aber bald legte sich das kleine Gewehrfeuer, die Kanonen schwiegen, der Tag fing an, zu grauen, und das Dorf lag ganz ruhig vor mir. Ich ritt hinunter. Die Sonne ging auf mit trübem Schein, und die Opfer der Nacht lagen neben einander. Unsere riesenhaften, wohlgekleideten Kürassiere machten einen wunderlichen Kontrast mit den zwergenhaften, schneiderischen, zerlumpten Ohnehosen; der Tod hatte sie ohne Unterschied hingemäht. Unser guter Rittmeister La Viere war unter den ersten geblieben, Rittmeister von Voß, Adjutant des Grafen Kalckreuth, durch die Brust geschossen, man erwartete seinen Tod. Ich war veranlaßt, eine kurze Relation dieses wunderbaren und unangenehmen Vorfalls aufzusetzen, welche ich hier einschalte und sodann noch einige Partikularitäten hinzufüge.

* * * * *

      Von dem Ausfall der Franzosen in der Nacht auf Marienborn vermelde ich folgendes:

      Das