Anton Pavlovich Chekhov

Der Bär: Groteske in einem Aufzug


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Chekhov

      Der Bär: Groteske in einem Aufzug

      Personen

      Helene Iwánowna Pópow, eine junge Witwe, Gutsbesitzerin.

      Grigórji Stepánowitsch Smírnow, Gutsbesitzer.

      Luká, Diener bei Frau Popow.

      Ein Gärtner. Ein Kutscher. Mehrere Arbeiter.

      Ort der Handlung: Das Gut der Frau Popow.

      Zeit: Die Gegenwart.

      Die Bühne stellt ein elegant eingerichtetes Empfangszimmer dar.

      Rechts und links vom Schauspieler.

      Frau Popow wird vom Dichter als eine junge Witwe mit Grübchen in den Wangen bezeichnet; Smirnow als ein Mann in den mittleren Jahren.

      Vorkommende Namen: Nikolai Michailowitsch, Riblów, Kortschágin, Wlássow, Welikán, Tamára, Pelagéja, Simión, Grúsdew, Iroschéwitsch, Kúrzin, Masútow, Dáscha.

      w am Schlusse eines Namens ist wie f zu sprechen.

      Die deutsche Uraufführung fand am 11. Oktober 1900 an der Berliner Sezessionsbühne statt.

      Empfangszimmer im Hause der Frau Popow nach dem vorstehenden Dekorationsplan.

      Erster Auftritt

Frau Popow. Luka

      Frau Popow (in tiefer Trauer, sitzt auf dem Sofa rechts, blickt unverwandt eine Photographie an).

      Luka. Es ist nicht recht, gnädige Frau… Sie richten sich zugrunde. Die Magd und die Köchin sind Beeren suchen gegangen, alles, was atmet, freut sich des Daseins, selbst die Katze versteht sich auf ihr Vergnügen – schleicht im Hof umher und fängt Vögel; bloß Sie hocken den ganzen Tag im Zimmer, gerade wie in einem Kloster und haben so gar keine Freude… Ja, wahrhaftig, wenn man genau nachrechnet, haben Sie ein Jahr lang das Haus nicht verlassen.

      Frau Popow. Und ich werde es auch niemals verlassen… Wozu? Mein Leben ist abgeschlossen… Er liegt im Grabe, ich habe mich zwischen diesen vier Mauern begraben… Wir sind beide gestorben.

      Luka. Da hat man es! Es ist nicht zum Anhören, wirklich wahr! Nikolai Michailowitsch ist gestorben, so war es Gottes Wille, Gott geb' ihm die ewige Ruh'… Sie haben sich gegrämt, nun ist's genug, es ist Zeit, aufzuhören. Man kann nicht ewig weinen und Trauerkleider tragen. Auch mir ist vor Jahren meine Alte gestorben… Ich habe mich gegrämt, einen Monat lang habe ich geweint, und dann war's genug. Kann man denn ewig Klagelieder singen? Das war ja die Alte auch nicht wert. (Er seufzt.) Sie haben alle Nachbarn vergessen… Sie fahren nicht aus und wollen auch niemand empfangen. Wir leben, verzeihen Sie, wie die Spinnen, das liebe Tageslicht sehen wir nicht. Die Livree ist von den Mäusen zerfressen… Und wenn es noch keine guten Menschen gäbe, aber der ganze Umkreis ist voll von Herrschaften… In Riblow steht das Regiment, Offiziere – einfach Konfekt, man kann sich nicht satt sehen! Und im Lager ist an jedem Freitag Ball, und jeden Tag spielt die Militärmusik… Ach, meine liebe, gnädige Frau! So jung und so schön wie Sie sind, Milch und Blut, wenn Sie doch nur Ihrem Vergnügen leben wollten … die Schönheit ist nicht für immer gegeben! Wenn so zehn Jährchen vorbei sind, dann werden Sie gern paradieren wollen, um die Herren Offiziere daran zu bekommen, aber da wird es zu spät sein.

      Frau Popow (entschieden). Ich bitte dich, mir nie mehr davon zu sprechen. Du weißt, daß mein Leben seit dem Tode Nikolai Michailowitschs für mich jeden Wert verloren hat… Du glaubst, ich lebe, aber es scheint dir bloß… Ich habe am Grabe gelobt, diese Trauerkleider nicht abzulegen und fern von der Welt zu leben… Hörst du? Möge seine abgeschiedene Seele sehen, wie ich ihn liebe… Ja, ich weiß, es ist für dich kein Geheimnis – er war oft ungerecht gegen mich, grausam und … er war mir nicht treu, aber ich werde treu sein bis zum Grabe und ihm beweisen, wie ich zu lieben vermag… Dort im Jenseits wird er mich ebenso finden, wie ich bis zu seinem Tode gewesen…

      Luka. Wozu diese Worte … wenn Sie doch lieber im Garten spazieren gingen oder befehlen wollten, Tobby oder den Welikan vorzuspannen, um die Nachbarn wieder einmal zu besuchen.

      Frau Popow (weint). Ach!

      Luka. Gnädige Frau! Meine liebe gnädige Frau! Was ist's? Um Christi willen!..

      Frau Popow. Er hat Tobby so sehr geliebt! Er ließ ihn immer anspannen, wenn er zu Kortschagins und Wlassows fuhr. Wie herrlich er kutschierte! Wie hübsch er aussah, wenn er aus allen Kräften die Zügel an sich zog! Erinnerst du dich? Tobby, Tobby! Laß ihm heute ein Achtel Hafer mehr geben!

      Luka. Zu Befehl.

      (Ein heftiges Klingeln.)

      Frau Popow (zuckt zusammen). Was ist das? Sage, daß ich niemand empfange!

      Luka. Zu Befehl! (Er geht durch die Mitte ab.)

      Zweiter Auftritt

Frau Popow allein

      Frau Popow (die Photographie anblickend). Du wirst sehen, Nikol, wie ich zu lieben und zu verzeihen vermag… Meine Liebe wird mit mir zugleich erlöschen … wenn mein armes Herz zu schlagen aufhören wird. (Sie lächelt unter Tränen.) Und du schämst dich nicht? Ich bin ein braves, treues Weib, ich habe mich eingekerkert und werde dir treu bleiben bis zum Grabe, und du … und du … schämst dich nicht, mein liebes Ungeheuer! Hast mich betrogen, hast mir Szenen gemacht, hast mich lange Wochen allein gelassen…

      Luka (tritt in großer Aufregung ein).

      Dritter Auftritt

Frau Popow. Luka

      Luka. Gnädige Frau, es fragt jemand nach Ihnen, will Sie sehen…

      Frau Popow. Du hast doch gesagt, daß ich seit dem Tode meines Mannes niemand empfange?

      Luka. Das habe ich gesagt, aber er will nichts davon hören, er sagt, es sei eine sehr dringende Angelegenheit.

      Frau Popow. Ich em–pfan–ge nicht!

      Luka. Das habe ich ihm ja gesagt, er ist ein Wilder, er schimpfte und drang einfach ins Zimmer ein … er steht schon im Speisezimmer…

      Frau Popow (erregt). Gut, laß ihn herein. Welche Zudringlichkeit!

      Luka (durch die Mitte ab).

      Frau Popow. Wie lästig die Menschen sind! Was wollen sie von mir? Warum stören sie meine Ruhe? (Sie seufzt.) Ja, es ist ganz klar, ich werde wirklich ins Kloster gehen müssen… (Nachdenklich.) Ja, ins Kloster…

      Smirnow (tritt ein, gefolgt von Luka).

      Vierter Auftritt

Frau Popow. Luka. Smirnow

      Smirnow (zu Luka). Dummkopf, plapperst zu viel… Esel!.. (Frau Popow erblickend, mit Würde.) Meine Gnädige, ich habe die Ehre, mich vorzustellen: Artillerieleutnant außer Dienst, Grundbesitzer, Grigorji Stepanowitsch Smirnow! Bin gezwungen, Sie in einer höchst wichtigen Angelegenheit zu belästigen…

      Frau Popow (ohne ihm die Hand zu reichen). Was wünschen Sie?

      Smirnow. Ihr seliger Gatte, mit dem ich die Ehre hatte, bekannt zu sein, blieb mir zwei Wechsel im Betrage von zwölfhundert Rubel schuldig. Da ich morgen in der Agrarbank Zinsen zu erlegen habe, möchte ich Sie ersuchen, meine Gnädige, mir das Geld noch heute zu bezahlen…

      Frau Popow. Zwölfhundert … und wofür ist mein Mann Ihnen das schuldig geblieben?

      Smirnow. Er hat Hafer von mir gekauft.

      Frau Popow (seufzend zu Luka). Luka, vergiß also nicht zu sagen, daß man Tobby ein Achtel Hafer mehr geben soll.

      Luka (geht ab).

      Frau Popow (zu Smirnow). Wenn Nikolai Michailowitsch Ihnen das schuldig geblieben, so werde ich selbstverständlich bezahlen, aber bitte, entschuldigen Sie, ich habe heute das Geld nicht