Fürst Artur

Die Welt auf Schienen


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      Die Welt auf Schienen Eine Darstellung der Einrichtungen und des Betriebs auf den Eisenbahnen des Fernverkehrs Nebst einer Geschichte der Eisenbahn

      Die Eisenbahnen sind wieder ein solch bestimmendes Ereignis, das der Menschheit einen neuen Umschwung gibt, das die Farbe und Gestalt des Lebens verändert. Es beginnt ein neuer Abschnitt in der Weltgeschichte, und unsere Generation darf sich rühmen, daß sie dabei gewesen.. Sogar die Elementar-Begriffe von Zeit und Raum sind schwankend geworden. Durch die Eisenbahn wird der Raum getötet. Es bleibt nur noch die Zeit übrig.

      (Heine, 1843.)

      Geleitswort

      Dieses Buch handelt von der Technik der Eisenbahn.

      Damit ist ihm eine Beschränkung auferlegt. Von streifenden Betrachtungen abgesehen, bleiben die wirtschaftliche Bedeutung der Eisenbahn, ihr Einfluß auf das gesellschaftliche und politische Leben unerörtert. Nur durch die Ausschaltung dieses großen Stoffgebiets war Raum für das zu gewinnen, was hier dargelegt werden sollte.

      Auf die eingehende Erörterung der wirtschaftspolitischen Einwirkungen und Zusammenhänge konnte um so eher verzichtet werden, als hierüber eine gut lesbare Literatur in reicher Fülle vorhanden ist. Ein Buch jedoch, welches auch nur ungefähr das enthält, was ich über die Eisenbahntechnik unserer Tage zu sagen beabsichtigte, gibt es, so weit ich sehen kann, nicht.

      Dem Leser, der, empfehlenswerten Beispielen folgend, diese einführenden Worte erst überfliegt, nachdem er das Buch selbst zu Ende gelesen, hoffe ich nichts Neues mehr mitzuteilen, wenn ich hier sage: ich habe nichts weiter gewollt, als die Fragen beantworten, die jedem Wißbegierigen sich aufdrängen, sobald er einen Bahnhof betritt oder aufmerksamen Auges die Gegenstände betrachtet, die an dem Fenster des fahrenden Zugs vorübergleiten. Damit ist zugleich ausgedrückt, daß ich kein Lehrbuch geschrieben, sondern die Leser nur auf einen Spaziergang durch die Welt auf Schienen mitgenommen habe. Meine Absicht war nicht, Eisenbahnbauer zu erziehen. Ich wollte ein Bild dieser gewaltigen Schöpfung menschlichen Geistes malen, so farbig und so anziehend, wie meine Schilderungs-Fähigkeit es zuließ. Ich bin bestrebt gewesen, eine in dem angegebenen Rahmen erschöpfende Darstellung der Eisenbahntechnik zu geben, zugleich aber auch ein Unterhaltungsbuch zu schreiben.

      Meiner Meinung nach darf nämlich von dem Nichtfachmann, auch wenn er den heißen Wunsch hat, in ein bestimmtes Gebiet der Technik einzudringen, keineswegs verlangt werden, daß er den üblichen trockenen, vorlesungsmäßig aufgebauten Darlegungen folgt. Diese Anschauung führt mich zu der folgenden allgemeingültigen Anmerkung.

      Die Ansicht ist weit verbreitet: „Technische Dinge kann man nicht verstehen!“ Daraus folgt eine starke Abneigung gegen das Lesen von Werken, welche dieses Gebiet behandeln, und eine geradezu erstaunliche Unkenntnis der technischen Dinge, obgleich diese doch jeden täglich aufs engste berühren. Es ist aber ganz sicher, daß alles, was Menschen geschaffen haben, sich auch verständlich darlegen läßt. Wer Technisches erklären will, muß freilich die Aufnahmefähigkeit seiner Leser genau in Betracht ziehen. Am besten ist es, Vorkenntnisse in keiner Weise anzunehmen. Ferner darf es dem Leser, der in ein ihm gänzlich unbekanntes Land hineinschreitet, nicht überlassen werden, selbst zu erkennen, an welchen Orten zu Seiten seines Pfads er rasch vorübereilen kann, und wo er wegen der grundlegenden Bedeutung des zu Beschauenden längere Zeit verweilen muß. Der Verfasser der Darlegung hat vielmehr die Pflicht, seinen Stoff so zu gliedern und anzuordnen, daß wichtiges von selbst stark hervortritt. Gelingt es noch, durch Beibringung vergleichenden, ja selbst anekdotischen Stoffs zu einer rein literarisch fesselnden Darstellung vorzudringen, so darf mit der Gewinnung neuer Freunde der Technik gerechnet werden.

      Auf solchen Meinungen und Absichten ist der Inhalt dieses Buchs aufgebaut. Wie weit es mir gelungen ist, die gewollte Wirkung zu erreichen, muß dem Urteil der Leser überlassen bleiben.

      Trotz des Fortfalls fast aller wirtschaftlichen Erörterungen ist eine weitere Beschränkung des Buchs auf die Schilderung der Einrichtungen und des Betriebs der Ferneisenbahnen notwendig gewesen, um den Band nicht zu unförmlicher Dicke anschwellen zu lassen. In den Aufbau und Ausbau der großen Strecken ist nämlich eine solche Fülle technischer Großleistungen eingesenkt, daß deren Darstellung allein den ziemlich weit gesteckten Rahmen ausfüllte. Ich beabsichtige, in einem Buch „Berlin im technischen Jahrhundert“, das im gleichen Verlag erscheinen wird, die hier fehlenden Stadtschnellbahnen und Straßenbahnen zu behandeln.

      Bei der Heranschaffung des textlichen und bildlichen Stoffs für das vorliegende Werk habe ich mich bereitwilligster Unterstützung zu erfreuen gehabt. Zu besonderem Dank bin ich der Königlichen Eisenbahndirektion Berlin verpflichtet, die mir durch Hergabe von amtlichen Drucksachen und die Erlaubnis zur Besichtigung zahlreicher Dienststätten erst die gründliche Bearbeitung vieler Abschnitte ermöglicht hat. Auch das große Eisenbahngewerbe Deutschlands hat meiner Arbeit ein liebenswürdiges Verständnis entgegengebracht. Hervorheben möchte ich die umfangreiche Unterstützung durch die Hannoversche Maschinenbau A. – G. (Hanomag) und ihren Leiter, Kgl. Baurat Metzeltin, dem ich zugleich für das Lesen eines großen Teils der Korrekturen zu danken habe.

      Es ist ein großer Gegenstand, der in den folgenden Blättern behandelt wird. Unsere stark zur Kritik neigende Zeit begeht leicht den Fehler, über kleinen Flecken, die sie wahrnimmt, die Strahlen einer prächtig leuchtenden Sonne zu übersehen. Ich möchte mit diesem Buch bewirken, daß die Leser über die kleinen Ärgernisse, die auch bei einer Eisenbahnfahrt oft nicht zu vermeiden sind, über hier und da sich zeigende Mängel fortab leichter hinwegsehen, nachdem ihnen bekannt geworden, welche fast unübersehbare Fülle von Anlagen und Einrichtungen geschaffen werden mußte, damit sie mit der beschwingten Eile des Zugs von Ort zu Ort gelangen können, welche gewaltige Arbeit täglich von neuem geleistet werden muß, um den Betrieb regelmäßig und unter Sicherung von Gesundheit und Leben der Reisenden durchzuführen.

      Bei der Abfassung dieses Buchs über die Eisenbahn hat mich in keinem Augenblick das Gefühl der Bewunderung und hohen Freude gegenüber dieser herrlichen Schöpfung des Menschengeschlechts verlassen. Wenn es mir gelingt, nur einen geringen Teil dieser Bewunderung und Freude auch auf den Leser zu übertragen, werde ich meine Arbeit nicht als mißlungen betrachten.

      Berlin-Wilmersdorf, im Frühjahr 1918

Artur Fürst

Das Zeitalter der Eisenbahn

      1. Das Zeitalter der Eisenbahn

      Das Mittelalter der Menschheitsgeschichte reicht bis in das erste Drittel des vorigen Jahrhunderts. Erst mit dem Jahre 1830 beginnt die Neuzeit. Damals fand die Eröffnung der ersten großen Eisenbahnstrecke statt, die für den öffentlichen Verkehr bestimmt war.

      Welch ein Ereignis!

      Viele Jahrtausende lang war der Mensch an die Scholle gefesselt, auf die ihn der Zufall der Geburt gestellt hatte. Eine Macht, die dem Erdbewohner von Beginn an feindlich war, hielt ihn an seiner Wohnstätte fest: der Raum. Gegen diesen konnte nur mit größter Mühsal, unter schrecklichen Gefahren und durch Opferung einer übermäßig großen Menge des kostbaren Besitztums Zeit angekämpft werden. Wenn darum früher einmal größere Menschenmassen über die Erdoberfläche zogen, wie es heute an jedem gewöhnlichen Tag geschieht, so waren sie durch einen mächtigen Anstoß in Bewegung gesetzt: durch den Angriff eines überlegenen Feinds, durch die von Naturgewalten verursachte Zerstörung der heimatlichen Ackererde oder durch die Sucht nach Eroberung und Kriegsbeute. Jede solcher Massenbewegungen wurde ein geschichtliches Ereignis, sie ward als Völkerwanderung oder Heereszug in die unvergänglichen Bücher eingeschrieben.

      Die Natur, welche in den Geist des Menschen die Freude an der Fortbewegung gelegt hat, die Sehnsucht umherzuschweifen, so weit wie möglich vorzudringen, die ihn besondere Lust beim Erschauen des noch Unbekannten empfinden läßt, diese selbe Natur hat ihr letztes Geschöpf nur mit recht kümmerlichen Möglichkeiten bedacht, sich jene Freude zu verschaffen, diese Sehnsucht und Lust zu befriedigen.

      Es ist eine recht erstaunliche Tatsache, daß sie, die wir so gern die Allmutter nennen, den lebendigen Wesen, soweit diese sich überhaupt willkürlich von der Stelle zu bewegen vermögen, höchst unvollkommene Werkzeuge hierfür zur Verfügung gestellt hat. Das Bein, welches – in Einzelheiten der Durchbildung verschieden, im ganzen immer in der gleichen Form und Art – den Tieren und Menschen zur Fortbewegung dient, ist eine Anordnung von recht bescheidenem