Александр Дюма

Erinnerungen eines Policeman


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Alexandre

      Erinnerungen eines Policeman

       I.

      Spieler und Fälscher

      1

      Etwa ein Jahr nachdem mich meine Jugendthorheiten, deren Hauptquelle das Spiel war, und deren Erzählung kein Interesse für meine Leser haben würde, zum Eintritt in die Londoner Polizei gezwungen hatten, wurde ich ein Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit für einen der obersten Chefs der Civilgewalt. Diese Aufmerksamkeit war die Folge der Gewandtheit und Entschlossenheit, die ich bei der Entdeckung eines lange verborgen gebliebenen Verbrechens gezeigt hatte. Die Rädelsführer und ihre Mitschuldigen waren durch mich zur Haft gebracht worden. Das Verbrechen hatte einem der angesehensten Kaufherren im Westende von London Leben und Vermögen gekostet; das Leben konnte ich ihm nicht zurückgeben, aber seine Kinder kamen wieder in den Besitz eines großen Theiles seines Vermögens.

      Eines Morgens also ließ mich der Chef der englischen Polizei zu sich kommen, und gab mir nach einer langen Unterredung nicht nur seine Zufriedenheit über mein Verhalten in der fraglichen Angelegenheit zu erkennen, sondern setzte auch hinzu, daß sich wahrscheinlich sehr bald eine Gelegenheit finden werde, meine Gewandtheit und Kaltblütigkeit, von der ich einen so glänzenden Beweis gegeben, in einer höchst wichtigen Angelegenheit zu benützen.

      »Ich glaube Sie übrigens schon früher gesehen zu haben,« sagte er, als ich mich entfernen wollte; »Sie befanden sich damals in ganz andern Verhältnissen als jetzt.«

      Als er meine Verlegenheit bemerkte. setzte er hinzu:

      »O! fürchten Sie sich nicht, Mr. Waters ich habe durchaus keine Lust, die Geheimnisse des Privatlebens ohne ganz besondere Ursachen zu erforschen. Waters ist ein in allen Schichten der Gesellschaft so verbreiteter Name, daß ich ihn keineswegs zum ersten Male höre. Uebrigens ist es möglich, daß ich mich irre, obgleich mein durch lange Uebung gestärktes Gedächtniß mich selten im Stich läßt.«

      Hier nahm das ruhige Lächeln meines Chefs einen etwas ironischen Ausdruck an.

      »Wie dem auch sey,« fuhr et fort« »ich verlasse mich auf das Zeugniß der ehrenwerthen Person, deren Empfehlung Sie Ihre jetzige Stellung zu verdanken haben; ich habe überdies die ganze Angelegenheit genau geprüft, seitdem ich Ihren Namen nennen hörte, und die Ueberzeugung gewonnen, daß Ihnen nur Unbesonnenheit und Thorheit, und keine schlechte Handlung zur Last zu legen ist. Unter diesen für Sie ganz ehrenvollen Umständen habe ich weder das Recht noch den Wunsch, mehr von Ihnen zu erfragen. Morgen werde ich Sie wahrscheinlich rufen lassen, um Ihnen in der bewußten Angelegenheit die nöthigen Mittheilungen zu machen.

      Dann entließ er mich mit freundlichem Kopfnicken. Seine Worte machten begreiflich einen tiefen Eindruck aus mich. Ich ging sinnend nach Hause. und immer kam mir der Gedanke wieder: er hat mich in einer andern Gesellschaftssphäre gekannt.

      Aber wo hatte er mich gesehen? das war die Frage, wie Hamlet sagt.

      Während ich alle nicht ganz gewöhnlichen Ereignisse meines Lebens in Gedanken die Musterung passiren ließ, erinnerte ich mich, daß ich in der Zeit meines Glückes nur selten in London gewesen und während dieser kurzen Besuche nie in vornehmen Cirkeln erschienen war. Ich vermuthete daher, Mr.** müsse in der Provinz meinen Namen gehört haben.

      Zu Hause theilte ich meiner Frau die Unterredung mit, um mit Hilfe ihres Gedächtnisses vielleicht zu ermitteln, wo mich mein Chef kennen gelernt haben könne.

      Meine Frau erinnerte sich, daß Mr.** einmal in Duncaster beim Wettrennen gewesen war. Der Zufall wollte, daß ich bei jenem Rennen bedeutende Wetten gemacht und gewonnen hatte. Es war nicht zu bezweifeln, daß ich damals die Aufmerksamkeit eines Mannes, von welchem jetzt meine Zukunft abhing, auf mich gelenkt hatte.

      Diese Erklärung war keineswegs unwahrscheinlich, völlige Gewißheit bekam ich freilich nie darüber; denn diese Anspielung war die einzige, welche Mr.** während meiner langen Dienstverhältnisse auf meine früheren Verhältnisse machte. Ich vermied freilich meinerseits jede Gelegenheit, das Gespräch auf dieselben zu lenken.

      Der folgende Tag verging, ohne daß er mich rufen ließ; auch der zweite und dritte ; und erst am vierten Tage ließ er mich einladen, in seinem Bureau zu erscheinen.

      Ich vernahm zu meiner Freude, aber nicht ohne Erstaunen, daß ich sogleich einen Auftrag erhalten sollte, dessen Vollziehung sich die klügsten und erfahrensten Sicherheitsbeamten1 zur Ehre geschätzt haben würden.

      »Hier,« sagte M.**, indem er mir ein Namensverzeichniß mit Randglossen übergab. »hier ist eine genaue Liste aller Mitglieder jener Gauner- und Fälscherbande, die seit länger als einem Jahre in London ihr Unwesen treibt. Ihre Aufgabe ist, die Schlupfwinkel dieser Banditen aufzufinden und sie dergestalt zu überführen, daß dem Gericht die gesetzlichen Beweise ihrer Schuld vorgelegt werden können. Alle unsere Bemühungen sind bis jetzt durch die Schlauheit dieser Gauner vereitelt worden; aber meiner Meinung nach liegt die Schuld hauptsächlich an dem übergroßen Eifer der Policemen, die den Auftrag erhalten hatten, die Bande zu beobachtet und über ihr Treiben Bericht abzustatten. Vor diesem Fehler müssen Sie sich hüten, lieber Mr. Waters; es sind durchtriebene Schurken, denen sie sich nur mit der größten Vorsicht nähern dürfen. Ich sage Ihnen im Voraus, es bedarf großer Klugheit und Geduld, um sie in ihren Schlupfwinkeln zu überraschen und den Händen der Gerechtigkeit zu überliefern.«

      »Ich werde thun was ich kann,« antwortete ich mit einer Bescheidenheit, die meinem Chef sehr zu gefallen schien.

      »Gutes ihrer neuesten Opfer,« fuhr er fort, »ist der junge Merton, Sohn der verwitweten Lady Everton aus erster Ehe. Die Lady hat sich an uns mit der Bitte gewendet, ihren Sohn den Klauen dieser Unholde zu entreißen. Gehen Sie diesen Nachmittag um fünf Uhr zu ihr, natürlich in bürgerlicher Kleidung, und sie wird Ihnen alle nöthigen Nachweisungen geben. Es versteht sich, daß Sie immer unmittelbar mit mir verkehren, und sich nur an mich zu wenden haben, wenn Sie Verhaltungsbefehle einholen oder Bericht erstatten wollen.«

      Mit diesen und andern minder interessanten Weisungen versehen wurde ich von meinem Chef entlassen.

      Wie schwierig, ja wie gefährlich auch der Auftrag war, der mir übertragen wurde, so übernahm ich ihn doch mit Freude, als eine Zerstreuung in der ermüdenden Einthönigkeit meines täglichen Dienstes.

      Ich eilte nach Hause, und da der größte Theil meiner Garderobe glücklich aus dem Schiffbruch meines Vermögens gerettet worden war, so machte ich möglichst elegante Toilette und begab mich um fünf Uhr in das Hotel der Lady Everton.

      Ich wurde ohne Zweifel erwartet, denn sobald ich meinen Namen nannte, wurde ich in den Salon geführt, wo ich die Dame vom Hause nebst ihrer schönem liebenswürdigen Tochter fand.

      Beide hatten wirklich mit Sehnsucht meine Ankunft erwartet.

      Die Lady schien sich sehr zu wundern, als sie mich erblickte. Ich hatte mich immer in höheren Gesellschaftskreisen bewegt, und bei diesem Anlasse ließ ich mir’s ganz besonders angelegen seyn, als Gentleman aufzutreten. Mein Aeußeres mochte daher wohl sehr verschieden seyn von dem willkürlichen Begriffe, den sie sich von einem Diener der Sicherheitsbehörde gemacht hatte, und erst nachdem sie das von mir überreichte Billet gelesen hatte, wurde ihr stolze, ungläubiger Blick milder und herablassender.

      Noch einige Secunden schwieg sie, und erst nachdem sie abwechselnd mich und den Brief angesehen hatte. Begann sie, auf einen Stuhl deutend:

      »Setzen Sie sich, Mr. Waters. Aus diesem Briefe ersehe ich, daß Sie den Auftrag haben, meinen Sohn der gefährlichen Lage zu entreißen, in die er durch seine Unbesonnenheit gerathen ist.«

      Ich war so einfältig, mich anfangs durch die Kälte und das hochfahrende Wesen der Lady verletzt zu fühlen, und war im Begriff ihr zu antworten, daß ich allerdings beauftragt sey, eine Gaunerbande, deren Mitglied ihr Herr Sohn sey, den Händen der Gerechtigkeit zu überliefern, und daß ich gekommen sey, um von ihr genauere Nachweisungen zu erhalten; allein zum Glück erinnerte ich mich meiner gegenwärtigen Stellung und bedachte, daß diese Eleganz, die vormals unzertrennlich mit meiner Person verbunden gewesen war, jetzt nur als Verkleidung gelten konnte. Statt daher meine Empfindlichkeit zu äußern, gab ich meine Zustimmung durch eine tiefe Verbeugung zu erkennen.

      Lady Everton