Alexandre
La San Felice B9
Neunter Theil
Erstes Capitel.
Der König bekommt endlich wieder Appetit
Die Auftritte, welche auf dem Verdeck stattgehabt und die wir zu schildern versucht, hatten, wie man leicht begreift, in dem großen Saale ihr Seitenstück gefunden.
Die außerordentliche Bewegung des Schiffes, das Heulen des Sturmes, das Rollen des Donners, die eiligen Manövers, Nelsons Fragen, Henrys Antworten – nichts war den erlauchten Flüchtlingen entgangen.
Ganz besonders aber in dem Augenblick, wo das Schiff, aus den Klippen hervorkommend, jenen furchtbaren Windstoß empfangen, der es beinahe ganz auf die Seite gelegt, hatten der König, die Königin und Emma Lyonna selbst geglaubt, ihr letztes Stündlein habe geschlagen.
Die schräge Richtung des »Vanguard« war von der Art gewesen, daß die Kugeln aus ihren zwischen den Geschützen stehenden Behältnissen gefallen waren und, mit furchtbarem Getöse das Zwischendeck entlang rollend, durch diesen inneren Donner, den man sich nicht erklären konnte, den Passagieren den abenteuerlichsten Schrecken eingejagt hatten.
Was den armen kleinen Prinzen betraf, so haben wir gesehen, was er während der Ueberfahrt gelitten hatte. Die Seekrankheit war bei ihm bis zum Paroxysmus gestiegen. Bei jeder heftigen Bewegung des Schiffes war er von fürchterlichen Krämpfen befallen worden, die um so schmerzhafter waren, als er seit dem Morgen dieses Tages sich geweigert hatte, etwas zu sich zu nehmen, selbst nicht aus der Hand Emma's, obschon er fortwährend auf den Knieen dieser ruhte. Zwei Tage lang aß er nichts und Erbrechen und Krämpfe wechselten bei ihm unaufhörlich mit einander ab.
Als der »Vanguard« sich auf die Seite legte, erhielt der arme kleine Prinz einen so furchtbaren Stoß und erschrak so gewaltig, das ein Blutgefäß in der Brust sprang.
Das Blut stürzte ihm aus dem Munde und nach kurzem Todeskampfe hauchte er an Emmas Brust den letzten Seufzer aus.
Er war so schwach gewesen und der Uebergang vom Leben zum Tode war bei ihm ein so leichter, daß Emma, obschon sie über diesen Blutsturz und die darauf folgenden krampfhaften Bewegungen erschrak, seine Unbeweglichkeit für die Ruhe hielt, welche auf eine Krisis folgt.
Als sie nach einigen Augenblicken die wahre Ursache dieser Unbeweglichkeit erkannte, rief sie in ihrem Schrecken, ohne sich Zwang anzuthun, sei es nun, daß sie die philosophische Standhaftigkeit der Königin kannte, sei es, daß sie in ihrem Schrecken keiner Mäßigung fähig war:
»Großer Gott, Madame, der Prinz ist todt!«
Diese Worte äußerten auf Caroline und auf Ferdinand ganz entgegengesetzte Wirkungen.
Die Königin antwortete:
»Armes Kind! Du gehst uns um so kurze Zeit in das Grab voran, daß es nicht der Mühe verlohnt, Dich zu beweinen. Wenn ich aber jemals die Krone wiedererlange, dann wehe Denen, welche die Ursache deines Todes sind.«
Ein unheimliches Lächeln begleitete diese Drohung.
Dann streckte sie die Arme nach Emma aus und sagte:
»Gib mir den Knaben.«
Emma gehorchte, denn sie glaubte nicht, daß man einer Mutter, wie wenig Zärtlichkeit sie auch besäße, den Leichnam ihres Kindes verweigern dürfe.
Was Ferdinand betraf, so hatte die drohende Gefahr die Seekrankheit, von welcher er anfangs befallen gewesen, bei ihm bis auf die letzten Spuren verscheucht.
Da er, nachdem Nelson ihm den Wunsch zu erkennen gegeben, er möge in dem oberen Zimmer bleiben, um nicht durch seine königliche Gegenwart das Manövrieren zu stören, nicht auf die Campanje hinaufzusteigen wagte, so hatte er alle Qualen der Gefahr durchgemacht; Qualen, die um so größer waren, als er die Gefahr, weil sie ihm unbekannt war, nicht ermessen konnte und weil, so drohend sie sich auch gestaltete, seine Phantasie ihm dieselbe immer noch viel drohender erscheinen ließ.
Als daher die aus ihren Behältnissen fallenden Kanonenkugeln mit Donnergepolter über das Zwischendeck hinwegrollten, verlor er, wie Emma gesagt, vor Schrecken beinahe den Verstand, und als sie rief: »Großer Gott, Madame, der Prinz ist todt!« wiederholte er diesen Ruf auf den Knien, indem er zugleich seine Verachtung gegen den heiligen Januarius aussprach, der ihn in solcher Bedrängniß verließ, und mit lauter Stimme versprach er dem heiligen Francisco de Paula, obgleich derselbe tausend Jahre jünger ist, eine Kirche nach dem Vorbild der St. Peterskirche zu Rom.
Dieser Augenblick war es, wo Emma, nachdem sie die Leiche des jungen Prinzen auf die Knie seiner Mutter gelegt und sich frei sah, ihr Zimmer verließ, bis an den Fuß der Campanjetreppe eilte und Nelson rief.
Nelson warf einen raschen Blick um sich herum, sah, wie wir bereits bemerkt, die Königin auf ein Sopha hingestreckt, während sie die Leiche ihres Sohnes in den Armen hielt, und den König, der angesichts seiner eigenen Gefahr jedes väterliche Gefühl vergaß und knieend sein Rettungsgelübde aussprach, ohne daß es ihm einfiel, die Personen seiner Familie, welche ihm die theuersten sein mußten, in dieses Gelübde einzuschließen und dem Schutze des Heiligen zu empfehlen.
Nelson beeilte sich demgemäß seine erlauchten Passagiere zu beruhigen.
»Madame,« sagte er zur Königin, »gegen das Unglück, welches Sie so eben betroffen, vermag ich nichts. Es ist dies eine Sache zwischen Gott, welcher Trost gibt, und Ihnen. Wohl aber kann ich Ihnen wenigstens versichern, daß, was die Ueberlebenden betrifft, dieselben so ziemlich außer aller Gefahr sind.«
»Hören Sie wohl, theure Königin!«, sagte Emma, indem sie Carolinens Kopf in ihren Armen aufrichtete. »Hören Sie, Sire,« setzte sie zu dem König gewendet hinzu.
»Leider nein!« sagte der König. »Sie wissen ja, Mylady, daß ich von ihrem Kauderwälsch kein Wort verstehe.«
»Mylord sagt, die Gefahr sei vorüber.«
Der König richtete sich empor.
»Ha!« rief er, »hat Mylord dies wirklich gesagt?«
»Ja, Sire.«
»Und nicht blos aus Gefälligkeit, nicht um uns zu beruhigen?«
»Nein, Mylord hat es gesagt, weil es die Wahrheit ist.«
Der König stand auf und stäubte sich mit der Hand die Knie ab.
»Sind wir in Palermo?« fragte er.
»Nein, noch nicht ganz, « antwortete Nelson, welchem diese Frage durch Emma Lyonna übermittelt ward; »da es aber möglich ist, daß mit Tagesanbruch der Wind nach Norden oder nach Süden umspringt, so können wir vielleicht den nächstfolgenden Abend dort sein. Wir sind blos auf Befehl der Königin von unserem Wege abgewichen.«
»Auf meine Bitte, wollen Sie sagen, Mylord,« bemerkte die Königin. »Jetzt können Sie jeden beliebigen Weg verfolgen. Ich habe keine Bitte mehr auszusprechen als zu Gott und für das Kind, welches todt auf meinen Knien liegt.«
»Dann,« sagte Nelson, »werde ich mir meine weiteren Instructionen von dem Könige erbitten.«
»Meine Instructionen,« sagte der König, »lauten, sobald Sie mir sagen, daß es für mich keine Gefahr mehr gibt, dahin, daß ich lieber nach Palermo will als sonst wohin. Aber,« fuhr er in Folge des immer noch andauernden Rollens des Schiffes taumelnd fort, »wie mir scheint, ist dieses verteufelte Schiff noch so ziemlich beweglich, und wenn auch wir geneigt sind, dem Sturme glückliche Reise zu wünschen, so scheint doch er seinerseits keine Lust zu haben, dasselbe zu uns zu sagen.«
»Wir sind auch in der That noch nicht ganz fertig mit ihm,« sagte Nelson. »Ich müßte mich indessen sehr irren, wenn seine größte Macht nicht nun erschöpft wäre.«
»Nun, wie lautet dann Ihre Meinung, Mylord?«
»Meine Meinung wäre, daß der König und die Königin wohlthun würden, wenn Sie sich die Ruhe, der Sie mir zu bedürfen scheinen, gönnten und sich in Bezug auf alles Weitere auf mich verließen.«
»Was sagen Sie dazu, meine Theure?« fragte der König.
»Ich,« entgegnete die Königin, »sage, daß Mylords Rathschläge immer gut zu befolgen sind, besonders wenn es sich um Dinge der Seefahrt handelt.«
»Sie