Carry Brachvogel

Tragödie aus der Sommerfrische


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      Tragödie aus der Sommerfrische

      Zwei junge Menschen kamen den sanft ansteigenden Waldpfad heraufgeschritten. Die süße Herbheit des allerersten Lebenslenzes lag noch über ihnen. Er, ein hochaufgeschossener, schlanker Bursche, kaum der Kadettenschule entwachsen, mit einem scharfen, weißen Gesicht und feinem Blondhaar. Sie sechzehnjährig, üppig, fast gar zu üppig für ihre Jahre, mit einem frischen, roten Gesicht, blondem Hängezopf und auffallend großen Füßen . . . Sie schien hinausgewachsen aus ihrem kindlich gemachten blauen Kattunkleid, dessen breiter Matrosenkragen den weißen, jungen Hals offen sehen ließ.

      Wie sie mit ihm dahinging, kam sie sich sehr wichtig vor. Und er sich auch. Seit einigen Wochen schon holte er sie Tag für Tag zu diesem Morgenspaziergang ab, während ihre Familien auf der Terrasse des »Waldhofs« endlos weiter frühstückten. Lächelnd ließen sie die Jungen gewähren. Auf dem Lande legen manche Damen das Korsett und manche Familien die Konvention beiseite . . .

      Er war der Erste, der ihr huldigte, der Erste und Einzige, der sie als Weltdame nahm. Sie betete ihn an. Und sie wiederum, sie war, wenn auch nicht das erste Weib, so doch die erste Dame, die in sein Leben trat. Sie behandelte ihn als Mann und nicht als Halbwüchsigen, wie es die andern lachend oder lehrhaft taten. Natürlich liebte er sie. Denn die erste Dame in eines Mannes Leben wird von ihm ganz ebenso überschätzt, wie er die spätere unterschätzt . . . Und sie waren beide jung und frisch und lenzesfroh . . .

      Auf einer von Buchen überwölkten Bank, hart am Pfadrande, saß eine Frau und sah ihnen nach. Seit Tagen schon saß sie jeden Morgen da. Seit Tagen schon gingen ihre Augen halb erstaunt, halb spöttisch den beiden nach, die sie gar nicht beachteten.

      Das Alter dieser Frau ließ sich nicht leicht bestimmen. Sie war nicht mehr jung und noch nicht alt. Eine ganz schlanke, zerbrechliche Gestalt, die zu versinken schien in einer Flut von weißem Musselin und weißen Spitzen. Ein ganz blasses, etwas müdes Gesicht mit schweren, dunklen Scheiteln und traurigen Augen. Sie kreuzte die Füße, so daß man ihre hellen Schuhe sah. Neben ihr auf der Bank lag ein weißer Musselinhut mit rotem Mohn. Der Morgenwind spielte in ihren Haaren; er wehte da und dort schon einen Silberfaden auf. Das wußte sie. Sie versuchte, die Scheitel wieder zu glätten. Ganz weiße, blutlose Hände waren es, die auf den dunklen Haaren lagen. Mit ihren Diamantringen um die Wette schimmerten die rosigen Nagel ihrer überschlanken Finger. Auf ihren Knieen lag ein aufgeschlagenes Buch, ein duftendes Spitzentüchlein daneben. Sie drückte es an die Lippen, wie sie den beiden nachsah. Dann las sie eifrig weiter. Als die zwei nach ungefähr einer Stunde zurückkamen, heftete sie einen langen Blick auf den jungen Mann; auf ihn ganz allein – – –

      Er erwiderte diesen Blick mit gleichgültiger Kühle. Für seine zwanzig Sommer war's ja eine alte Frau, die da saß! Sie verstand seinen Blick, doch er verletzte sie nicht. Seit Tagen schon sahen sie sich so an. Sie neugierig, er kühl. Jetzt wandte er den Kopf wieder zu seiner jungen Gefährtin und sprach eifrig auf sie ein. Sie antwortete laut, ein klein wenig von oben herab. Sie wollte der Dame dort zeigen, wie nachlässig sie seine Huldigungen entgegennahm . . .

      Der Frau war des Mädchens Triumphmiene nicht entgangen. Ein leises, ein ganz leises Lächeln spielte um ihre Lippen. Unwillkürlich glitt ihre Hand in die Tasche ihres Kleides. Sie holte ein paar Briefe hervor. Der eine war mit großzügigen Buchstaben bedeckt, der andre wies eine kleine Kritzelschrift. Der eine war vor vierzehn Tagen gekommen, der andre vorgestern. Mechanisch überlas sie beide. In dem einen hieß es: »So muß ich Ihnen bis ans Ende meiner Tage ergeben bleiben.« Und in dem andern: »Jede andre Frau kann nur eine oder zwei Saiten in unserm Herzen anschlagen, Sie aber, Frau Mary, Sie spielen auf hundert zugleich . . .«

      Die Namen, welche unter diesen Bekenntnissen standen, hatten in ganz Deutschland einen guten Klang. Befriedigt steckte die eitle Frau die Briefe wieder ein. Sie wußte sie fast auswendig. Zerlesen und zerknittert waren sie, denn sie liebte es, stets einen solchen Brief nachts unter ihrem Kopfkissen zu haben . . . Mit solchen Dokumenten in der Tasche konnte man sich's wohl noch ein Weilchen gefallen lassen, daß einen ein Fähnrich übersah . . .

      So vertiefte sie sich wieder in ihr Buch.

      Am nächsten Morgen saß sie wieder da, das Buch auf den Knieen. Sie dachte nach. Sie dachte an jene Zeit, da sie selbst neben einem jungen Manne einhergegangen war, ganz ebenso wie das Mädchen jetzt. Waren wirklich erst fünfzehn Jahre seitdem verflossen? Erst fünfzehn Jahre, daß auch sie im verwaschenen Kleide, mit hochroten Wangen und klopfendem Herzen so daherschritt? Die ganze Zeit lag ihr so fern, war ihr so sehr aus dem Gedächtnis geschwunden, daß sie geglaubt hätte, ein halbes Jahrhundert müsse verflossen sein seit jenen Tagen.

      Da kamen die zwei auch schon wieder den Weg heran. Er die Arme in die Seiten eingestemmt, altklug redend; sie halb trotzig, halb selig, Jungfräulein und Dame zugleich . . .

      Während sie vorübergingen, hustete Frau Mary ein wenig in ihr Tüchlein, und später, als sie heimkehrten, hustete sie ein wenig stärker, schloß dann wie erschöpft die Augen und fuhr sich breit mit der ganzen Handfläche über die Stirn. Sie hatte die Bernhardt, die Duse und Prevosti husten sehen – kein Wunder also, daß sie es verstand. Zum Schlusse glitt das Tüchlein ganz unvermerkt nieder auf den braunen, tannennadelnbestreuten Pfad, gerade vor die Füße des jungen Mannes hin –

      Er bückte sich und hob es auf.

      »Ich danke Ihnen.«

      Sie sprach ganz kurz, stoßweise . . . als wäre sie erschöpft. Sie legte das Tuch neben sich und nickte ihm noch einmal zu. Nicht freundlich – nur gnädig. Mehr wollte sie für heute nicht. Er machte einen großen Sprungschritt, um nur ja schnell wieder bei dem jungen Mädchen zu sein, das langsam vorangegangen war, während er sich verzögert hatte – –

      Von da an grüßten sie sich. Zuerst fremd, dann bekannter, dann mit einem Lächeln. Das kleine Fräulein schritt zuerst steifnackig vorüber, mit jener instinktiven Feindseligkeit im Blick, die junge Mädchen für verwöhnte Frauen empfinden. Bald aber ging es nicht anders mehr – sie mußte mitgrüßen. Es hätte sonst gar zu unartig ausgesehen.

      Dann kamen einige Tage Regenwetter und man traf sich nicht. Denn Frau Mary wohnte nicht im »Waldhof«, sondern suchte ihn nur bei besonderen Gelegenheiten auf. Besondere Gelegenheiten waren, neben Militärkonzerten, nur noch Paprikahühner und Schnürkrapfen, für welche Frau Mary schwärmte, und die von der Köchin des Waldhofes in unvergleichlicher Güte und Schöne bereitet wurden.

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