bert Kraft: RPh08 – Die Ansiedelung auf dem Meeresgrunde
Auszug aus der erklärenden Einleitung zum ersten Bändchen
Richard ist bis zum zwölften Jahre ein kräftiger, lebensfroher Knabe gewesen, als er durch ein Unglück gelähmt wird.
Am Abend seines vierzehnten Geburtstages sitzt der sieche Knabe allein in der Stube, traurig und freudlos, kein Ziel mehr im Leben kennend. Da erscheint ihm eine Fee. Sie nennt sich die Phantasie, will ihm ihr Geburtstagsgeschenk bringen und sagt ungefähr Folgendes:
In Richards Schlafzimmer befindet sich eine Kammerthür. Jede Nacht wird er erwachen (das heißt nur scheinbar), er soll aufstehen, jene Thür öffnen, und er wird sich stets dort befinden, wohin versetzt zu sein er sich gewünscht hat. Er kann sich also wünschen, was er will, er kann allein sein oder mit Freunden, er kann auch den Gang seiner Abenteuer ungefähr im voraus bestimmen; hat er aber einmal die Schwelle der Thür überschritten, dann ist an dem Laufe der Erlebnisse nichts mehr zu ändern. Alles soll folgerichtig geschehen, der Traum nichts an Wirklichkeit einbüßen. –
Die Erscheinung verschwindet, Richard erwacht aus dem Halbschlummer. Aber die gütige Fee hält Wort, und so findet der arme Knabe im Traume einen Ersatz für sein unglückliches Leben.
Jede Erzählung schildert nun eins seiner wunderbaren Erlebnisse, wie sie ihm die Phantasie eingiebt.
VIII.
Die Ansiedlung auf dem Meeresgrunde.
Im Taucheranzug
„Die Wunder der Meerestiefe möchte ich einmal schauen,“ sagte Richard vor dem Schlafengehen. „Der Wunsch steht mir zwar frei, mich im Wasser, in jeder Tiefe wie an der Erdoberfläche bewegen zu können und meine Lungen in Kiemen zu verwandeln, aber das will ich nicht. Das ist unnatürlich. Solche Sachen begreift man oft sogar im Traume nicht und wundert sich dann darüber, wie ich schon in früheren Träumen manchmal bemerkt habe. Ich will mich daher nur an Möglichkeiten halten, wenn die Phantasie sonst auch noch so kühn arbeitet. So wünsche ich mir also ein Taucherkostüm, von dem ich annehme, daß ich es selbst erfunden und hergestellt habe, und das allen Anforderungen der Situation entspricht, in die mich die Phantasie versetzen wird.“
Nachdem er eingeschlafen war, erwachte er scheinbar, verließ im Nachtgewande das Bett, öffnete die geheimnisvolle Kammerthür, und – vor ihm lag der blaue Spiegel des Meeres, erstreckte sich zu seinen Füßen, von der Kammerthürschwelle ausgehend, eine kurze Plattform aus Holz oder vielleicht auch ein schwimmendes Floß, das ihn zum Betreten einlud. Gleich darauf, und zwar gerade in dem Augenblicke, als er die Schwelle überschritt, ging die Verwandlung mit ihm selbst vor sich und umgab ihn statt des Nachthemdes ein Taucherkostüm, dessen einzelne Vorrichtungen ihm sofort bekannt schienen, ebenso wie er auch sofort eine Idee von ihrer Leistungsfähigkeit hatte und sehr wohl imstande zu sein glaubte, die Instrumente zu beobachten und die Sicherungen zu handhaben. Kurz und gut, nichts dünkte ihm an seinem Taucherkostüme fremd.
Dabei war Richard sich nicht im geringsten bewußt, nur zu träumen. Von jetzt an war für ihn alles reelle Wirklichkeit.
Das Gewand, in dem er steckte, war also ein Taucherkostüm, bestehend aus einem wasserdichten Anzuge, einem großen Helme mit Augenfenstern; die Füße aber waren mit dicken Bleisohlen beschwert.
Luft brauchte ihm von oben durch eine Pumpe nicht zugeführt zu werden, wie es bei alten Taucherapparaten der Fall ist, die vermutlich schon in einigen Jahren in die Rumpelkammer kommen werden. Sein Kostüm war ein derartiges, daß der Taucher den für viele Stunden reichenden Luftvorrat komprimiert in einer Art von Tornister auf dem Rücken mit sich in die Tiefe nahm, von dem zwei Schläuche ausgingen, die ihn mit dem Glockenhelme verbanden, während ein Mechanismus die Zuführung regulierte, die bei zunehmender Tiefe immer geändert werden mußte, und für die Ausstoßung der ausgeatmeten Luft durch ein Ventil sorgte. Derartige Apparate werden immer vollkommener konstruiert, und auch Richard besaß einen solchen von höchster Vollkommenheit.
An seinem Gürtel hing eine Lampe, die durch Elektricität gespeist wurde, ein Kompaß, ein Tiefenmesser und andere Instrumente, die den heutigen Tauchern ganz unbekannt sind und die er erst probieren wollte, wie denn auch sein Helm mit einer ganz besonderen Art von Telephon ausgestattet war.
Ein Telephon besitzen heutzutage allerdings auch alle anderen modernen Taucheranzüge, zum Beispiel die der Marine, und zwar befindet sich die Vibrane, mit der man hört, seitwärts am Ohre, und man braucht den Kopf nur ein wenig dorthin zu wenden, so erreicht der Mund das Sprechstück. Da nun isolierte Kupferdrähte, wie bei jedem anderen Telephon, die Verbindung vermitteln, so kann der Taucher sich immer mit den oben Befindlichen unterhalten, Anweisungen empfangen und Mitteilungen machen.
Sonst war er noch mit einem Messer, einem Axthammer und einer elektrische Glaskugeln schießenden Pistole mit sehr langem Laufe bewaffnet, deren Wirksamkeit unter Wasser er gleichfalls zu probieren gedachte.
Doch bevor wir in unserer Schilderung fortfahren, wollen wir zunächst eine Frage an unsere lieben Leser richten. Wie tief kann ein Taucher eigentlich dringen? Die Antwort darauf ist, nicht tiefer als 40 Meter, und dabei setzt er sich schon einem kolossalen Drucke und sein Leben also einer großen Gefahr aus. Allerdings sind auch Fälle vorgekommen, daß Taucher in Tiefen von 50 und noch etwas mehr Metern stiegen und lebendig wieder heraufkamen, aber das waren leichtsinnige Wagehälse, die mehr auf ihre robusten Naturen, als auf die Berechnungen der Physiker bauten und ihr Wagnis daher fast immer mit lebenslangem Siechtum büßten, wenn sie nicht schon, gleich nachdem sie, ganz schwarz im Gesicht, wieder an der Oberfläche des Wassers angelangt waren, von einem Schlaganfalle getroffen wurden.
Dem Hinabsteigen ins Wasser sind eben Grenzen gesetzt, aber, wie wir vorsichtig hinzusetzen wollen, nur vorläufig, denn diese Grenzen werden sich, je mehr sich die Taucherapparate vervollkommnen, doch immer mehr nach unten zu erweitern. Heutzutage scheitern die Versuche, persönlich in große Tiefen zu dringen, noch an einem geeigneten Bekleidungsmateriale. Der Druck nach unten nimmt nämlich konstant zu, und es ist bisher noch keine Bekleidung erfunden worden, die den Körper vor diesem schützte.
Es sind Meerestiefen von über 6000 Metern gemessen worden, und im Gegensatze dazu haben vierzig Meter also nicht viel zu sagen. Dennoch sind auch sie schon eine ganz respektable Tiefe. Ein fünfstöckiges Haus ist ungefähr 20 Meter hoch. Man denke sich zwei solche, doch bereits sehr hohe Häuser übereinander, und man kann sich ungefähr ein Bild machen, in welcher Tiefe unter dem Meeresspiegel sich der Taucher befindet und arbeitet.
Richard aber hatte das Problem des widerstandsfähigen Taucheranzuges gelöst, obgleich dieser auch bei ihm nur aus einem ganz geschmeidigen Stoffe bestand. Je tiefer er stieg, desto mehr nahm, konstant mit dem größeren Drucke, die Widerstandsfähigkeit zu. Dasselbe galt von dem Glockenhelme. Und da auch seine Hände mit Handschuhen aus diesem Stoffe bedeckt waren, gab es für ihn überhaupt keine unerreichbare Tiefe. Wir würden gern noch mehr von seiner wunderbaren Erfindung erzählen, aber Richard hielt dieselbe so geheim, daß er sie nicht einmal als Patent angemeldet hatte. Daher dürfen wir sein Geheimnis auch nicht verraten.
Auf dem Meeresboden
Schwerfällig, die mit Blei belasteten Füße nach sich schleifend, schleppte sich Richard über die Plattform bis an den Rand und ließ sich dort, von der Vollkommenheit seines Kostümes überzeugt, ins Wasser plumpsen.
Jetzt war er in seinem Element, und so, wie augenblicklich ihm, mochte einem Vogel zu Mute sein, dem die Schwungfedern verschnitten sind und dem sie nun durch ein Zauberwort plötzlich wieder nachwachsen, daß er sich in die Lüfte schwingen kann. Jedes Gefühl von Schwere war verschwunden, mit Leichtigkeit konnte Richard, während er immer tiefer sank, seine Füße heben. Der Luftapparat funktionierte tadellos. Richard fühlte nichts von einem zunehmenden Drucke, spürte kein Sausen in den Ohren. Plötzlich bremste er seinen Fall, indem er sein Kostüm, das ihm zugleich gewissermaßen als Schwimmblase diente, mit Luft füllte, dann ließ er sich wieder nach oben steigen und abermals sinken, beobachtete, wie das blaue Licht immer mehr abnahm, und las die Tiefen auf seinem Instrumente.
20 Meter – 21 – 22 – 25 Meter – – – Da glaubte Richard, etwas unter sich auftauchen zu sehen. – Nun sank er noch 4 Meter tiefer, und – fühlte Boden unter den Füßen! Doch nein, er stand