Paul Leppin

Hüter der Freude


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      Hüter der Freude

      VORWORT

      Es könnte der Fall eintreten, daß kluge Leute in meinem Buche ein Schlüsselromänchen wittern. Ihnen erkläre ich gleich, daß die Vermutung nicht zutrifft. In meinem Bekanntenkreise gibt es kein Fräulein Muck, keinen Römerstern, Löwenthran, Bondy. Ich habe mich bei ihnen allen nur um den Typ bemüht, der mir mitunter allerdings heftig verpragerte. Nebenfiguren und Kulissen sind oft der Wirklichkeit entlehnt. Aber der einzige Mensch, der mir in vieler Beziehung ausgiebig Modell gestanden, der außerhalb dieses Buches wahrhaftig lebt, ist mein lieber Kumpan Benjamin, Gerade mit ihm ist es mir seltsam ergangen. Ich vermochte es nicht, ihn rund und plastisch zu porträtieren, nahm während des Schreibens gewissermaßen nur eine Seite seines vielgestaltigen Wesens wahr, ohne der anderen zu gedenken. Sein universelles Gemüt, seine einfache, noble Art sich mit den Menschen abzufinden, sein Talent, die Welt zu begreifen, witzfroh zu sprechen, zartsinnig zu schweigen, brachte ich nicht einmal andeutungsweise in sein Bild. Es ist mir ein Bedürfnis, nachdrücklich darauf hinzuweisen, weil ich der Wahrheit die Steuer nicht verweigern möchte, weil ich Vorwürfe verdiene, die gerechtfertigt sind. Vielleicht ist mein freimütiges Bekenntnis geeignet, sie freundschaftlich zu mildern.

      PRAG, MAI 1918 – DER VERFASSER

      I. KAPITEL

STURMFENSTERSNACHMITTAGSGEDANKEN

      Der Regen wollte nicht aufhören. Lautlos, in langen, gestrichelten Ketten fiel er zur Erde und sammelte seichte, plätschernde Pfützen in der Mitte der Fahrbahn. Mitunter machte er eine Pause und indessen trocknete der Wind weiße Flecken auf dem Pflaster der Gehsteige aus. Aber dann begann er von neuem. Der Kandidat der Philosophie Gaudentius Sturmfenster saß hinter einer der großen Glastafeln des Café Portugal und hatte eben sein Fruchteis ausgelöffelt. In seinem schlittern Kinnbart waren ein paar Brocken der Waffeln hängen geblieben, deren letzte Reste er jetzt zwischen den Fingern zerbrach. Seine wasserblauen Augen waren weit aufgerissen und starrten auf die Straße hinaus. Gegenüber war der Nordwestbahnhof. Die Droschkengäule vor dem Portal standen geduldig in der Nässe, und die roten Gesichter der Kutscher blickten vergnügt in das Wetter. Die Frauen, die draußen vorbeihasteten und mit dem Schirm das Gesicht verdeckten, rafften die Röcke und wichen behutsam den Kotlachen aus. Sturmfenster sah wohlgeformte Waden über feinen Knöcheln und sein Gesicht bekam allmählich einen merkwürdig gespannten Ausdruck. Er schüttelte eine Zigarette aus dem Papiersack, der vor ihm zwischen Zeitungen und Kuchenteilern auf dem Tische lag, und zündete sie umständlich an.

      Es war seltsam, wie dieser Frühjahrsregen ihn erregte. Schon als Kind war er seinem warmen, einlullenden Zauber unterlegen. Er gedachte noch genau der Spiele, die er an solchen Tagen, wenn die Kinder wegen der Witterung nicht in den kleinen Garten hinter dem Hofe durften, in den Stiegengängen des Elternhauses mit den Nachbarsmädchen spielte. Eine verlegene Scheu hatte ihn überkommen, wenn sich ihnen im Eifer die kurzen Röckchen über die Knie schoben und darunter die kindliche Wäsche zum Vorschein kam. Sturmfenster schloß die Augen und ließ die Erinnerung an sich heran. Während der Schulzeit hatte er viel durch diese Dinge gelitten. Von dem Tage an, wo sein älterer Bruder den sechsjährigen Buben über die Verschiedenheit der Geschlechter belehrte, war es mit der Glückseligkeit vorbei. Die Welt, die ihm früher täglich bunte Bilder bot, nach denen er töricht haschte, war verwandelt. Männlein und Weiblein liefen jetzt darin herum und betrachteten einander mit sonderbaren Augen. Frühzeitig wurde in dem Kinde eine Bangnis lebendig, ein unruhiges Wünschen, das später Form und Richtung erhielt und ihn beinah erstickte. Die Not seiner Knabenzeit, die er in tötlicher Scham vor den anderen versteckte, mit der er ratlos in unendlicher Erschöpfung kämpfte, war grenzenlos. Es blieb ihm Unverstand lieh, wie seine Mitschüler untereinander ihre Gefühle sachlich erörtern konnten und mit welcher Leichtigkeit sie auch sonst damit umsprangen. In den Jahrgängen des Gymnasiums, in denen es in Mode kam, lief er mit den übrigen Kameraden nach Schluß des Unterrichtes den Mädchen nach, die das nahe Lyzeum besuchten. Im Winter war es schon finster, und einmal nahm er allen Mut zusammen und sprach in einer menschenleeren Seitengasse eine an, die ihm besonders gefiel, der das Blondhaar noch in Zöpfen über den Rücken hing und die bei der eiligen Flucht vor ihrem Verfolger ihre schönen, schlanken Beine zeigte. Er begleitete sie dann auch ein Stück Wegs bis in die Nähe ihres Hauses und sie sprachen einige mühsam erklügelte Sätze. Zum Abschied gaben sie einander nicht einmal die Hand. Da waren die anderen fürwahr doch bessere Kerle. Die lachten und schwatzten mit den Mädeln, daß es eine Lust war, und faßten sie auch manchmal recht tüchtig an und küßten sie, wenn gerade niemand dabei war. Die Mädchen hielten still und ließen sich's gefallen. Für Sturmfenster wäre das ein unirdisches Glück gewesen, das ihn schon aus der Ferne betäubte.

      Als er Tertianer geworden war, hatte der Schuldiener des Gymnasiums ein siebzehnjähriges Ding als Dienstmädchen bei sich aufgenommen. Es war ein dunkelhäutiges, brünettes Geschöpf, das immer barfuß und zerzaust im Hause umherlief und nach der Schule auch die Klassenzimmer in Ordnung bringen mußte. Sie trug meist nur eine dünne, lose Bluse auf dem Leib und ihre Brüste hüpften unter dem Hemde. Die Schüler sahen sie alle mit heißen Blicken an und sie erwiderte mit einem Lächeln. Eines Nachmittags, während die Junisonne draußen in der Gasse lag und eine wollüstige Luft zu dem geöffneten Fenster hereinkam, erzählte während der Schulpause ein schöner, starker Bursch den nebensitzenden Buben, daß er das Mädchen besessen habe. Er sei nach dem Unterrichtsschluß noch eine Zeitlang im Klassenzimmer zurückgeblieben, um ein paar Anmerkungen niederzuschreiben. Da sei sie eingetreten, habe sich scherzend neben ihn auf die Bank gesetzt und ihren Körper an den seinen gelehnt. Und da habe er sie einfach genommen.

      Sturmfenster war bei der Erzählung des Knaben das Blut in den Kopf gestiegen. In seinen Ohren brauste ein Wasserfall und er fühlte, wie sein Gesicht über und über flammte. Das also gab's! Unerhörte, ungeahnte Ereignisse, Küsse bis zum Grunde der Sehnsucht, Katastrophen des Glücks. Das gab es nicht bloß für die Erwachsenen, für Väter und Brüder. – Ein Schuljunge, der zu Hause genau so wie er die griechischen Vokabeln memorieren mußte, hatte das braune Mädchen besessen. Hundert Augen schielten in vergeblicher Begierde nach ihr, und ihm war sie zugefallen. Und jener, statt hingerissen, verzückt, angstvoll zu schweigen, sprach laut davon wie von einer Sache, die täglich und jedermann geschah. Der zitternde Knabe konnte es nicht begreifen.

      Der Kandidat der Philosophie Gaudentius Sturmfenster erhob sich plötzlich. Was so ein Frühlingsregen doch für dumme Gedanken aufweckte! Was hatte er sich heute um diese Eseleien zu scheren, wo er dreißig Jahre alt und wo es höchste Zeit war, daß er mit dem Studieren zu Rande kam. Er legte die fünfzig Heller für die Zeche auf das Marmortischchen, nahm Hut und Mantel vom Haken und ging auf die Gasse.

      Draußen sprühten ihm die lauen Tropfen wohlig ins Gesicht. Im Grunde genommen war er ja immer noch derselbe dumme Junge wie damals, der sich vor den Weibern ängstigte und sie nicht zu nehmen wußte. Die Jahre hatten ihn nicht verändert, nur der Bart war ihm gewachsen. Aber er hatte erkennen gelernt, daß seine Scheu aus der Tiefe der Empfindung kam. Die andern waren sorglose Gesellen, ihre Triebe im Seichten verankert. Aber die seinen gruben Wurzeln ins Innerste. Ein süßes Entsetzen erschütterte ihn, wenn er sich seine ersten Erlebnisse mit der Frau ins Gedächtnis rief. Da war er schon Student im ersten Universitätsjahre gewesen. Er erinnerte sich noch deutlich der bohrenden Qual und Verzweiflung, die vorhergegangen war. Grauenvoller Nächte, die er ohne Schlaf verbrachte, stumpfer Gewissenskümmernis, wenn die heimliche Sünde kam und ihn niederzwang. Lange hatte er sich gewehrt, es den übrigen gleichzutun. Von Sehnsucht zermürbt, wurde er hoffnungslos. Bis er dann endlich ein Ende machte wie die andern.

      In seiner Seele stand der Tag wieder auf, grausträhnig, düster, erkältend. An den Häusern streift ein Schatten entlang, blickt rückwärts, steht, zögert. Bist du es, Sturmfenster, Sturmfenster? Die Straße ist eng, winkelig, und die Buben, die im Kehricht mit farbigen Fisolen spielen, lachen so häßlich hinter ihm drein. Irgendwo ist ein Fenster offen und ein Phonograph schreit ihm das Lied vom lieben Augustin, der alles verloren hat, in die Ohren. Das Stiegengewölbe ist schlecht beleuchtet und so niedrig, daß er nicht aufrecht darin gehen kann. Dann tut sich die Türe auf und er steht in dem Zimmer.

      Dieses Zimmer, wirst du es jemals vergessen können? Es ist kein gewöhnliches Zimmer, wo Menschen wohnen, wo man ißt, trinkt, schläft. Es ist symbolistisch verdunkelt, ein Inventarstück der Ewigkeit, ein Traumzimmer aus des Lebens tieferer Bedeutung. Ein Bett steht an der