Charles Sealsfield

Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen


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Rosa, »sieh doch, wie das Auge meines Bruders offen ist. Ist sein Auge treu, kann seine Zunge wohl falsch sein? Sieht er einem Feinde unsers Volkes wohl ähnlich?«

      »Meine Schwester ist sehr jung, und sie kennt nur sehr wenig unsre Feinde, die Yankees. Sie senden ihre jungen Männer in die Wigwams der roten Männer, um ihre Herden, ihr Korn, ihre Büffelfelle zu zählen, und wenn sie wieder zu den Ihrigen kommen, dann zeigen sie ihnen die Pfade, die zu der Roten Dörfer führen, und dann kommen sie und nehmen unser Vieh und Korn und lachen der roten Männer.«

      »Und denkt meine Schwester,« erwiderte Rosa schüchtern, »daß der Fremdling einer dieser Spione ist?« Die Indianerin schüttelte ihr Haupt bedenklich. »Hat er nicht die Augen und Haare eines Yankee? – Sieh, Schwester!« fuhr sie nach einer Weile fort, »Canondah hat ihre Hand in Freundschaft dem Fremden entgegengestreckt, als sie sah, daß das Herz der weißen Rosa sich nach ihm sehnte, aber die Tochter des Miko hat nicht gehandelt, wie sie sollte. Sie hat die Nacht zwischen den Miko und den Fremdling gestellt, und nun nimmt sie ihn in ihres Vaters Wigwam, nachdem dieser den Rücken gekehrt?«

      »Aber er würde im Walde gestorben sein«, versetzte die andere. »Sieh, wie der Fieberfrost seine Glieder schüttelt. Die Morgen- und Nachtluft ist sehr kühl und der Nebel sehr feucht.«

      »Und der Miko?« versetzte die Indianerin gespannt.

      »Wird seine Faust nicht gegen einen Bruder ballen, dem seine Tochter ihre Hand entgegenstreckt.«

      »Wenn aber seine Tochter eine Törin gewesen, und ihre Hand einem Feinde ihres Volkes gereicht, wird das Auge des Miko nicht finster auf seine Tochter fallen?«

      »Und muß er von dem Fremdlinge wissen?« lispelte Rosa stammelnd, als fürchtete sie das Wort auszusprechen.

      Ein flüchtiges Hohnlächeln flog über die Lippen und verzog für einen Augenblick das edle Gesicht der Indianerin. »Der Miko der Oconees«, sprach sie mit einer leichten Anwandlung von Stolz, »riecht den Atem eines weißen Mannes zehn Tage, nachdem er ihn ausgeatmet, und erkennt die Spuren seiner Fußstapfen zwanzig Tage, nachdem sie dem Grase eingedrückt sind. Canondah mag die Squaws täuschen, aber nicht den Miko. Und hat Rosa«, fuhr sie fort, ihren Blick auf die Freundin richtend, »hat die weiße Rosa nicht gesehen und gehört, was der alten Winondah Zunge und Augen sprachen? Sie sollte nicht dort ihre Hände gehabt haben, wo das Heiligtum des Miko verwahrt ist«, sprach sie mit ernstem Tadel. »Die Zunge Winondahs ist besänftigt, aber die der Squaws gleichen den Eichhörnchen, die in ewig törichter Bewegung umherspielen. Und wenn sie ihren Männern sagen, was ihre Augen gesehen, werden die Krieger nicht ins Ohr des Miko wispern? Und soll die Tochter Tokeahs vor ihrem Vater als eine Lügnerin dastehen? Nein, nimmer!« sprach sie entschlossen. »Canondah liebt die weiße Rosa sehr, aber ihren Vater muß sie nicht betrügen. Ist der junge Mann ein Späher, abgesandt von Yankees, so wird ihr Vater es gewahr werden.«

      »Und mein Bruder?« unterbrach sie Rosa mit zitternder Stimme. »Wird zu sterben wissen«, beschloß die Indianerin fest und bestimmt. »Aber der Fremdling wird hungrig sein, und Canondah muß für ihn sorgen.« Mit diesen Worten erhob sie sich von ihrem Sitze und eilte aus der Hütte.

      Canondah war eine Indianerin im vollen und edelsten Sinne des Wortes. Sie lebte und webte in ihrem Vater und ihrem Volke; aber zugleich hatten ihre angebornen sanftern Gefühle durch den Verkehr mit den Weißen eine bestimmte Richtung erhalten, und ihre indianische Natur trat gewissermaßen verschönert hervor und ganz mit jener Geistesstärke, die wir an ihr bereits zu bemerken Gelegenheit gefunden, und die allem ihrem Tun und Lassen das Gepräge einer seltenen Verstandsschärfe gab. Rosa im Gegenteile war noch mehr Kind, eine schöne, dem Anschein nach passive Seele, die sich ohne Murren der Leitung ihrer ältern Freundin überließ, gewiß nicht aus Geistesschwäche oder Indolenz, sondern vielmehr angetrieben von jenem lieblichen Zartsinn, der andern das schmeichelhafte Gefühl von Überlegenheit so gerne gönnt. Die Überlegenheit Canondahs, weit entfernt, sie zu verwunden, erfüllte sie mit Wonne; es war ein Tribut der Dankbarkeit, den sie der Indianerin wahrscheinlich auf diese Weise zollte. Und vielleicht hatte eben diese zarte und in ihrer Lage notwendige Ergebung, mit der sie sich in die bestimmt ausgesprochene Leitung der Tochter des Miko fügte, mehr als selbst ihre ausgezeichnete Schönheit beigetragen, daß sie nicht bloß das Entzücken der Tochter, sondern auch die Freude des kalten Vaters geworden war.

      Der Mond stand bereits hoch, als eine leichte Bewegung des Verwundeten anzeigte, daß er erwacht sei; zu seinem Haupte saßen die beiden Mädchen und die Alte. Ein brennender Zederspan verbreitete ein zitterndes Helldunkel über das Stübchen. Die letztere hatte kaum die Bewegung am Kranken wahrgenommen, als sie auf diesen zueilte, und, sein Haupt erfassend, ihm in die Augen starrte. Dann fühlte sie seinen Puls, und den Schweiß von seiner Stirne wischend, beobachtete sie sorgfältig die etwas hellere Farbe seines Gesichtes.

      »Das Fieber ist gewichen, die Wunde weiß Canondah zu heilen«, und mit diesen Worten verließ sie die Stube. Auf den jungen Mann, der nun zum ersten Male seit sechsunddreißig Stunden wieder die Augen aufschlug, schien das triumphierende Grinsen der verdorrten, düstern Alten nicht den günstigsten Eindruck hervorzubringen. Canondah jedoch, als hätte sie dies vermutet, trat schnell an ihre Stelle und rückte einen Stuhl an sein Lager, auf dem einige Erfrischungen standen. Eine junge wilde Ente, auf indianische Weise unter dem Rasen geröstet, mit frischem Welschkornkuchen. Rosa hatte einen Becher mit Wein gefüllt, den ihm die Indianerin gleichfalls reichte, nachdem sie sich auf ihre Knie niedergekauert und ihn dann in eine sitzende Stellung gebracht hatte. Seine Lippen verzogen sich krampfartig beim ersten Versuche, und er stieß den Becher beinahe mit Gewalt zurück; aber es währte nicht lange, so überzog eine leichte Röte sein Gesicht, und seine Hand griff wieder nach dem Becher. Hierauf nahm er ein Stück von der Ente und dem Kuchen.

      Die Indianerin verwandte kein Auge von ihm, ihr Blick folgte jedem Bissen, den er zum Munde führte. Beinahe schien es, als ob das Mädchen etwas Näheres vom Charakter des jungen Mannes aus dieser tierischen Verrichtung ersehen wollte; sie winkte von Zeit zu Zeit Rosen, die in der Ecke des Stübchens stand, und gleichfalls ihre Augen auf den Essenden gerichtet hatte. Es schien, als ob die beiden Mädchen mit Vergnügen ihm zusähen. Wirklich aß der junge Mann mit so viel Anstand und Ungezwungenheit, die wahrscheinlich von der rohen Gier ihrer Stammesgenossen, den einzigen Vorbildern, die sie vor sich hatten, zu sehr abstechen mochte, um sie nicht etwas Höheres in ihrem Gaste vermuten zu lassen. Obwohl wir in den beiden Mädchen keineswegs eine feinere Bildung voraussetzen können, so ist doch in der weiblichen Natur jener sichere Takt, der, wenn nicht verdorben oder irregeleitet, nur selten trügt. Es schien, als ob die Mädchen einen tiefern Blick in die Seele ihres Gastes getan hätten. Rosas Herz schlug sichtbar leichter, und selbst Canondah fing an, ihn mit einem ruhigem, vertrauensvollern Auge zu betrachten.

      Als er sein Mahl geendigt hatte, legte sie ihn wieder auf sein Lager zurück; dann öffnete sie den Verband, den sie um seine Wunden geschlagen. Ihre Finger berührten kaum die tiefe Fleischwunde, und mit so vieler Geschicklichkeit und Schonung verrichtete sie ihre Aufgabe, daß ihr Patient unter ihren Händen wieder entschlief.

      »Der Balsam wird die Wunde in acht Sonnen heilen«, sprach sie mit Zuversicht, blies dann das Fackellicht aus und warf ihren Arm um Rosa. Die beiden Mädchen eilten ihrer Hütte zu.

      Sechstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Die außerordentliche Geschicklichkeit der Indianer, Wunden und Fieber zu heilen, denen sie schon wegen ihres ewigen Kriegs- und Waldlebens häufig ausgesetzt sind, offenbarte sich auf eine erstaunenswürdige Weise an dem Jünglinge, den sein glückliches oder unglückliches Gestirn zu einem dieser Völkchen geführt hatte. Das Wund- und kalte Fieber war bereits nach sechsunddreißig Stunden verschwunden, und es waren noch nicht acht Tage seit seinem Hiersein verflossen, als auch die Wunde bereits zu heilen anfing. Seine leichenartig gelbe Gesichtsfarbe hatte sich in ein frisches Rot verwandelt, das eine leichte Blässe angenehm hervorhob, seine matt und kraftlos eingefallenen Augen waren munter geworden und schienen eher zum Lachen als zur Traurigkeit aufgelegt zu sein. Ein Zug um den Mund verriet eine fröhliche, harmlose Natur, und voll