wäre!« ...
Sie drückte die weiße, kräftige Hand fest auf die Brust und ging mit hartgeschlossenem Mund an ihm vorüber, nach der Treppe. »Um mich kümmere dich nicht!« sagte sie noch einmal stehen bleibend. – »Ich werde mit meiner Aufgabe fertig! Aber du sei auf deiner Hut! Du bist nur noch der Schatten deiner selbst ... Hat eines heiß gewünscht, daß unser altes, braves, hoch angesehenes Geschlecht nicht erlöschen möchte, so bin ich's – ich dachte ja nicht, daß sich das Blut ändern könnte, ich habe es nie für möglich gehalten! ... Aber das weiß ich nun – soviel Söhne auf dem Klostergute geboren worden sind, nie ist ein solch heimtückischer, zerstörungswütiger Bube zur Welt gekommen, wie Veit ist – wir wären sonst nicht da, wo wir stehen, es wäre längst alles in alle vier Winde verflogen! ... Und diesen Burschen lässest du hausen, wie er Lust hat, er macht mit dir was er will – du zitterst wie Espenlaub vor jeder Zuckung, die dir der verlogene Junge vormacht! Und in seine Hand soll alles kommen, alles – Franz, ich glaube, du verschriebest deine Seele dem Bösen um dieses einen Kindes willen –« sie hielt inne, als erschrecke sie selbst vor dem leidenschaftlich gesteigerten Ausspruch, der ihren Bruder wie wütend emporfahren machte und ihm eine jähe Glut in das Gesicht trieb; allein sie widerrief oder beschönigte das Gesagte mit keinem Wort. – »Willst du, daß die Wolframs in Ehren weiter bestehen sollen,« fügte sie mit um so festerem Nachdruck hinzu, »so greife nach dem Zuchtmittel unserer braven Väter, nach dem Stock in der Ecke!«
Damit winkte sie dem kleinen José und ging, von ihm gefolgt, die Treppe hinab.
Es war gerade um die Sechsuhrstunde; auf dem Schanktische standen bereits die gefüllten Milchtöpfe, und die Leute kamen in den Hausflur geströmt.
»Der Kleine gehört in den Schillingshof,« sagte die Majorin zu der wartenden Stallmagd. »Führe ihn hinüber und mache ihm die Gartentür auf – hinein gehst du nicht!«–
Sie trat an den Schanktisch – kein Blick fiel mehr auf das schöne, vornehme, von den Leuten angestaunte Kind, das folgsam neben der Magd her ging. An der Flurtür wandte es noch einmal das dunkelrot erhitzte Gesichtchen zurück und rief treuherzig: »Schlaf wohl, gute Frau!«
Auch dieser Abschiedsgruß wurde überhört; denn die Milch schoß bereits aus dem großen Steintopf in das Blechnößel, und dabei geschah das Unerhörte, daß sie in breiter Straße die Tischplatte überströmte – das auf dem Klostergute, wo jeder Tropfen mehr oder weniger sorgsam bemessen wurde! ...
18.
Die Magd öffnete mit scheuer Hand das Gartentor des vornehmen Hauses und eilte spornstreichs nach dem Klostergut zurück, während José auf das Säulenhaus zulief ... Es war sehr still im Vorgarten – man hörte die eilenden Schritte des Kindes auf dem knirschenden Sand.
Auf diese Laute hin kam plötzlich die dicke, schwarze Deborah um die südliche Ecke des Hauses – sie stieß einen Schrei aus und stürzte unter grotesken Sprüngen und Armbewegungen auf den Knaben zu. »O mein Jesus – bist du es denn wirklich, Kind?« stammelte sie, und aus den dickverschwollenen Augen schossen erleichternde Tränen. »Liebchen, Liebchen, was machst du für Sachen! Kommst, da von der fremden Straße her, von der fremden Straße, wo niemand unseren süßen Jungen kennt! – o Jesus! – Bist ja noch nie fortgewesen, böses, liebes Kind – noch nie! Konntest überfahren werden – und Jack und Deborah sind nun schuld – haben nicht aufgepaßt, oh! ... Seit Stunden rennt alles nach dir, und jetzt suchen sie unser Goldkind im Teich, im schwarzen, schlammigen Wasser bei den Fischen – hu! – Arme, arme, gute Tante – sie stirbt vor Angst!«
Das alles stieß sie keuchend, in einem seltsamen Gemisch von Deutsch und Englisch hervor, während sie mit dem Knaben durch Allee und Garten nach dem Teich rannte.
Dort unter den Linden waren alle Leute des Schillingshofes, auch der Herr des Hauses und Jack, in Tätigkeit. Wie ein Schwan hob sich die weiße Gestalt der schönen Amerikanerin aus dem Durcheinander der Hantierenden – sie lehnte regungslos an einem der Lindenstämme und hielt Josés Hütchen, das man am Teich gefunden hatte, mit beiden Händen fest gegen die Brust gedrückt. – Diese Frau, »die, den Sarraß am Gürtel und den Revolver in der Hand, in die Nähe des Feindes vorgedrungen, die den Transport eines schwerverwundeten Mannes durch weite, verwüstete Landstrecken energisch durchgeführt,« sie konnte allerdings nicht zu denen gehören, die ihrer Angst durch Schreien und Wehklagen Luft machen. –
»Er ist da!« schrie Deborah hinüber.
Wie eine hineinfallende Bombe jagte dieser Aufschrei die Versammelten auseinander. Beim Anblick des Kindes, das heil und unversehrt an Deborahs Hand quer über den nächsten Rasenplatz stolperte, klärten sich die Gesichter auf – man sah sich lächelnd an und begriff mit einemmal nicht mehr, wie man sich habe einbilden können, es müsse durchaus ertrunken sein.
Donna Mercedes gab bei diesem jähen Wechsel von Todesangst und Freude nicht einen Laut von sich, und als sie das Haupt nach den Kommenden zurückwandte, da lag noch der Ausdruck des stieren Entsetzens, mit dem sie in die Wassertiefe geblickt hatte, wie versteinert auf dem farblosen Gesicht. Man sah, sie war im Hause durch alle staubigen Winkel und draußen zwischen unwegsamem Gebüsch und dornigen Hecken suchend geirrt. Der weiße Musselin schleifte zerfetzt und beschmutzt auf dem Boden nach, und das Dickicht hatte an dem Haarnetz gezerrt – ein Teil des wundervollen dicken »Zigeunerhaares«, wie Lucile es bis auf den heutigen Tag nannte, wogte im tiefbläulichen Glanze, noch halb von den Seidenschlingen gefangen, über die rechte Schulter.
Mit einknickenden Knien ging sie dem Kind entgegen – Baron Schilling bot ihr die stützende Hand, aber sie wies sie zurück: ihr Blick hing brennend an dem Knaben, der, im zerrissenen Höschen und noch glühend vor Erhitzung, in ihre Arme lief.
»Du bist ungehorsam gewesen, José, du bist fortgelaufen,« sagte sie mit bebender Summe, aber dennoch mit ernststrafendem Ton.
Der Knabe versicherte aufweinend, daß er es nie, nie wieder tun wolle, und dann beichtete er nach Kinderart in sprunghafter, abgebrochener Redeweise sein Abenteuer auf dem Klostergute, während sich die Leute des Hauses auf einen Wink ihres Herrn entfernten.
Und der Kleine erzählte von der schrecklichen Rumpelkammer und dem großen, boshaften Jungen, von der Frau, die ihm so streng und rauh verboten, zu sprechen, und »dem furchtbar bösen Mann«, der nach ihm hatte schlagen wollen.
Diese Mitteilungen waren von unbeschreiblicher Wirkung auf die junge Frau. Ihr heißes Blut, meist durch einen überlegenen Verstand kräftig niedergehalten, wallte empor – die Hände auf den Busen gepreßt, irrte sie fassungslos auf dem schmalen, nach dem Säulenhause laufenden Weg hin und her und schüttelte ungeduldig die Hand Deborahs ab, die schüchtern den Versuch machte, ihr das gelöste Haar unter das Netz zu stecken – was kümmerte sie in diesem Augenblick ihr Äußeres? ...
»Was nun?« fragte sie mit schneidendem Lächeln, als José verstummte.
Baron Schilling hatte ihm eben Schweigen gebietend die Hand auf den kleinen Mund gelegt, der in fieberhafter Aufregung immer wieder auf das Erscheinen »der großen Maus« und auf den Augenblick zurückkam, wo sich die entsetzliche Tür zwischen der Welt draußen und den kleinen Eingesperrten geschoben hatte ... Auf die Frage der jungen Dame richtete sich Baron Schilling empor und sah in das schöne Antlitz mit dem zornigen und doch durch einen feuchten Hauch verschleierten Blick. »Standhaft bleiben!« versetzte er ruhig.
»Aber ich kann und will nicht!« rief sie heftig und zog den Knaben in leidenschaftlicher Innigkeit an sich heran. »Ich werfe die entsetzliche Pflicht, mit Roheit und Gemeinheit kämpfen zu müssen, von mir – die Last, die Felix weit unterschätzt hat, ist zu schwer für mich!«
»Tragen wir sie nicht zusammen? Bin ich nicht auch da?« fragte er mit mildem Vorwurf.
Die ernste Güte, die Sanftheit in diesen Lauten übten eine überredende, fast bestrickende Macht, die aber sofort durch ein Gefühl verletzten Frauenstolzes unterdrückt wurde. »Tragen