Franziska Gehm
Die Vampirschwestern 3 – Das Buch zum Film
Das Schwarze Schloss
Es war eine tiefschwarze Nacht – so dunkel und finster wie die Nächte nur in einem Land dieser Welt sein können. Ein Land, von dem seit Anbeginn der Zeit gruselige Geschichten erzählt werden. Wo die Wälder feucht und modrig sind. Die Tage kurz. Und die Nächte lang. Wo das fahle Mondlicht auf blasse Wesen scheint, die sich von Blut ernähren. Von frischem Blut. Menschenblut. Dieses Land heißt Transsilvanien und ist die Heimat der Vampire.
Über Jahrtausende hinweg kannte man hier nur einen Herrscher: Graf Dracula, Seine unverbesserliche Schrecklichkeit. Doch auch ein traditionsbewusstes Volk wie das der Vampire hat sich im Laufe der Jahrhunderte verjüngt. So folgten auf den alten Grafen viele andere Herrscher über Transsilvanien. Furchterregende und mächtige Herrscher. Zuletzt niemand Geringeres als Antanasia, Ihre unerhörte Schönheit. Tief verborgen im Wald stand ihr Schloss, das im Vampirmund nur Das Schwarze Schloss genannt wurde. Antanasia war ebenso mächtig, wie sie schön war, und ebenso stark, wie sie schlau war. Ihre Macht ging weit über die Grenzen Transsilvaniens hinaus bis in die entlegensten Zipfel der Erde. Sie wusste über jede noch so versteckt lebende Vampirfamilie Bescheid und eine davon hatte ihr ganz besonderes Interesse geweckt. Eine Familie, die in einem fernen Land lebte, das Deutschland hieß. Mit dieser Familie hatte Antanasia Großes vor und die Zeichen dafür standen günstig. Sehr günstig. Antanasia hob ihren langen weißen Finger und sogleich flatterte eine Fledermausbotin herbei und ließ sich darauf nieder. Die Fledermaus sah ihrer Herrscherin tief in die Augen. Antanasia beugte sich vor und flüsterte der Fledermaus etwas ins Ohr. Diese schloss kurz die Augen, breitete ihre Flügel aus und erhob sich geräuschlos. Sie flog eine Runde durch den prunkvollen Thronsaal des Schwarzen Schlosses und entschwand durch die verwinkelten Gänge in die Finsternis. Die Fledermaus flog in den dichten Wald Transsilvaniens und hinweg über raue Gebirge und rauschende Flüsse. Alles, was die Fledermaus sah – ein Wolfsrudel auf der Jagd, Vampire im Anflug auf ein einsam gelegenes Bauernhaus und das Licht des Mondes, das auf den Wellen der Flüsse tanzte –, konnte Antanasia durch ihr Monokel beobachten, welches sie stets an einer Kette um ihren Hals trug.
„Flieg weiter, flieg immer weiter!“, flüsterte Antanasia.
Und die Fledermaus flog immer weiter nach Westen. Der Morgen graute und die Fledermaus flog und flog, bis die Sonne hoch am Himmel stand. Über Wiesen und Täler, Wälder und Straßen. Erst als die Sonne schon fast wieder untergegangen war, flatterte die Fledermaus über ein paar Felder auf eine Stadt zu. Es war eine Stadt in Deutschland. Sie hieß Bindburg. Als die Fledermaus am Rande der Stadt auf ein Haus mit schiefen Fensterläden zusteuerte, richtete Antanasia sich gespannt auf. Das Haus stand im Lindenweg und hatte die Hausnummer 23. Es stand in einem romantisch verwilderten Garten und war über und über mit Efeu bewachsen. Die Fledermaus landete auf einem Fensterbrett im Erdgeschoss des alten Hauses und lugte neugierig hinein. Antanasia folgte dem Blick der Fledermaus und ihre Augen blitzten auf. Aus ihrem dunkelrot geschminkten Mund entfuhr ihr ein schreckliches Fauchen. Sie verzog ihre Lippen zu einem diabolischen Lächeln und entblößte ihre furchtbar spitzen Eckzähne …
Furzgranaten-Alarm
Dakaria und Silvania Tepes entblößten ebenfalls ihre Eckzähne. Aber nicht, weil sie wussten, dass sie beobachtet wurden, sondern weil ihre regelmäßige Dentiküre anstand. Die beiden Zwillinge standen vor dem großen Spiegel im Flur und feilten ihre Eckzähne. Dakaria, genannt Daka, musste sich dabei besonders anstrengen, denn ihr Spiegelbild war immer leicht verschwommen. Silvania strengte sich auch besonders an, aber vor allem deshalb, weil sie nicht wollte, dass jemand ihre langen spitzen Eckzähne bemerkte. Mit „jemand“ waren die Menschen gemeint. Daka und Silvania waren nämlich waschechte Vampire. Oder besser gesagt: Halbvampire. Ihr Vater war Mihai Tepes, seines Zeichens stolzer Vampir aus der Vampirmetropole Bistrien in Transsilvanien. Dort war er vor mehr als 13 Jahren einer wunderschönen Frau mit wilden Wuschellocken, verträumten Augen und zartrosa Lippen begegnet. Das Verführerischste an ihr war ihr Duft gewesen. Unwiderstehlich für einen Vampir im schwarzen Saft seines Lebens. Mihai flopste sich an die unbekannte Frau heran (flopsen heißt übrigens nicht „ranmachen“ im Sinne von „flirten“, sondern sich in geradezu übermenschlicher Schnelligkeit von einem Ort zum anderen bewegen). Mihai flopste sich also hinter die Frau und tat, was ein Vampir tun musste: Er biss zu. Doch anstelle von weicher Haut und warmem, süßem Blut schmeckte Mihai hartes, bitteres Plastik. Die Frau trug eine Halskrause, weil sie sich bei einem Sturz verletzt hatte. Sie blickte auf und sah dem Vampirmann in die Augen. Dunkle, verwegene Augen, die von einem Leben voller Gefahr erzählten. Mihai blickte in sanftmütige Augen, die von einem Leben voller Geborgenheit und Liebe erzählten. Er verliebte sich auf der Stelle in die Frau, die Elvira hieß. Und Elvira verliebte sich auf der Stelle in diesen Vampirmann, sodass sie bald Elvira Tepes hieß. Schon bald nach der Hochzeit bekamen Mihai und Elvira die Zwillinge Silvania und Dakaria. Die beiden Halbvampirinnen glichen ihren Eltern in vielerlei Hinsicht. Silvania hatte lange dunkelblonde Locken und kleidete sich gern verspielt mit Rüschen und Spitzenkleidern und sie war sehr menschlich, so wie ihre Mutter. Daka dagegen liebte schwarze Lederjacken, wild frisierte, kurze schwarze Haare und in ihr loderte viel wildes Vampirblut. Ganz wie in ihrem Vater. Obwohl sie so unterschiedlich waren, hielten die beiden Schwestern immer fest zusammen. Das war in Transsilvanien so und vor allem, seit sie vor einiger Zeit von Bistrien nach Bindburg gezogen waren. Die Eingewöhnung in Deutschland war nicht ganz leicht gewesen, weder für Daka noch für Silvania.
Silvania hatte sich riesig auf Deutschland gefreut, weil in ihr die menschliche Seite viel stärker war und sie diese hier voll ausleben wollte. Aber sie hatte feststellen müssen, dass sie eben auch ein halbes Vampirmädchen war und ein Neuanfang als volles Menschenmädchen nicht so einfach war.
Daka fand Deutschland von Anfang an langweilig. Alles war ihr zu ordentlich und niemand durfte wissen, dass sie Halbvampirin war. Sie durfte nicht fliegen, nicht flopsen und musste tagsüber in die Schule und nachts schlafen. Daka zog es immer wieder zurück nach Bistrien. Dennoch hatten die Vampirschwestern in Deutschland gute Freunde gewonnen. Allen voran Helene, das coolste Menschenmädchen aller Zeiten. Helene liebte Friedhöfe, Monstertattoos und hatte kein Problem mit Vampirfreundinnen. Na ja. Am Anfang war sie schon etwas erschrocken gewesen, aber da sie gerne flog, waren ihre Vorbehalte schnell verflogen (im wahrsten Sinne).
Und Helene hing gerne ab. Sie hatte nichts dagegen, dass die Vampirschwestern dies am liebsten kopfüber an einer Stange taten.
Außerdem liebte Helene Geheimnisse. Sie selbst trug ein Hörgerät, was niemand wissen durfte. Die Vampirschwestern waren Halbvampire, was auch niemand wissen durfte. Oder fast niemand. Und auch Ludo Schwarzer, der zu ihren Freunden gehörte, hütete ein Geheimnis. Er hatte die dunkle Gabe. Er konnte Dinge in der Zukunft sehen. Und sein Großvater war Ali Bin Schick, ein Zauberer. Geheimnisse verbinden.
Dagegen konnte Jacob Barton allerdings abstinken. An ihm war gar nichts Besonderes oder Geheimnisvolles, außer vielleicht, dass sein Vater Australier und seine Mutter, Franziska Barton, Autorin von Vampirromanen war. Und dass er Knoblauchbaguette mochte. Aber er hatte kein wirkliches Geheimnis. Außer vielleicht, dass er Silvania liebte. Das wussten aber alle. Und im Grunde war er damit doch etwas ganz Besonderes. Er war Silvanias Freund. Richtiger Freund. Mit Händchen halten und Küsschen geben.
Für Silvania war in Deutschland ein Traum wahr geworden, Knoblauchbaguette hin oder her. Sie hatte eine Menschenfreundin (Helene), einen Menschenfreund (Ludo) und einen Menschenfreundfreund (Jacob) gefunden.
Daka war mit den neuen Freunden in Deutschland zwar auch glücklich, aber sie sehnte sich nach wie vor mehr nach Vampiren. Sie war volle Blutwurstkanone verknallt in Murdo Dako-Apuseno, Sänger der obergrottenmuffencoolsten Band der Vampirwelt: Krypton Krax!
Vor Kurzem hatte sie Murdo sogar persönlich kennengelernt, als sie heimlich auf ein Konzert von Krypton Krax geflogen war. Krypton Krax hatte in Deutschland gespielt und Daka hatte vor der Bühne richtig abgerockt. Und dann war etwas passiert: Murdo hatte sie, Dakaria Tepes, auf die Bühne geholt! Nach dem Konzert durfte Daka dann sogar mit in den Backstagebereich und Murdo richtig kennenlernen. Murdo fand Daka auch obergrottenmuffencool. Er hatte einen Song