Günter Dönges

Butler Parker 102 – Kriminalroman


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      »Sie sind ein Flegel!« stellte Lady Agatha Simpson grollend fest und langte gleichzeitig sehr herzhaft mit ihrem Pompadour zu.

      Der kräftige, breitschultrige Mann, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, hatte sie eben gnadenlos zur Seite gedrängt und ihr dabei ein kleines Paket aus der Hand geschlagen.

      Dafür hatte Mylady sich revanchiert.

      Der »Glücksbringer« im perlenbestickten Handbeutel enthielt ein leicht überschweres Hufeisen, das mal für ein stämmiges Brauereipferd gedacht war. Entsprechend war die Wirkung.

      Der breitschultrige Mann war bereits in die Knie gegangen und hielt sich mit letzter Kraft an der Stange jenes Baldachins fest, der den Weg vom Hoteleingang bis zum Straßenrand überspannte. Seine Augen waren verglast. Er stierte auf die kriegerische ältere Dame, die ihn bereits vergessen zu haben schien. Sie nickte ihrer Begleiterin zu, die sich um das zu Boden gefallene Paket kümmerte, es aufhob und der passionierten Detektivin reichte. »Natürlich in Scherben, wie?« fragte Agatha Simpson verärgert.

      »Ich fürchte, ja, Mylady«, erwiderte die attraktive junge Dame, die nur wenig über zwanzig sein mochte.

      »Lümmel!« Lady Agatha Simpson marschierte auf äußerst stämmigen Beinen auf den jungen Mann zu, der schutzsuchend seinen linken Unterarm vors Gesicht hob. Er zog sich jetzt hoch, baute sich auf und schüttelte benommen den Kopf. Dazu massierte er mechanisch seine linke Kinnlade, die von Myladys Glücksbringer voll getroffen worden war.

      »Sie werden mir Ersatz leisten«, stellte Agatha Simpson fest, worauf der kräftige junge Mann mit dem etwas dümmlichen Gesicht sich hilfesuchend nach dem Rolls-Royce umsah, der am Straßenrand parkte. Er wußte offensichtlich nicht, wie er sich verhalten sollte.

      Vor dem Rolls-Royce stand ein zweiter Mann, fast eine Zwillingsausgabe des ersten. Das Gesicht dieses Mannes wirkte höchstens noch dümmlicher. Seine rechte Hand war unter dem linken Revers des Jacketts verschwunden und beulte den Stoff aus. Liebhaber von Kriminalfilmen hätten sofort gewußt, daß diese Finger den Griff einer Schußwaffe umspannte.

      Ein dritter Mann stand hinter dem Rolls-Royce und beobachtete die gegenüberliegende Straßenseite. Seine rechte Hand war erstaunlicherweise ebenfalls unter dem linken Revers seines Jacketts verschwunden.

      »Äußern Sie sich!« herrschte Agatha Simpson den jungen Mann an, den sie Lümmel und Flegel genannt hatte. Sie hielt ihm das Paket so abrupt, unter die Nase, daß der Mann zusammenzuckte. Er befürchtete offensichtlich, die kriegerische Dame würde ihm das kleine Paket auf die Nasenspitze setzen.

      »Wieviel hat das Gerümpel denn gekostet?« schnarrte in diesem Moment eine herrische Stimme aus dem Rolls-Royce. Dieses unangenehme Organ gehörte einem untersetzten, kompakten Mann von etwa fünfzig Jahren. Er saß im Fond des Wagens und trug eine Sonnenbrille, die er abnahm. Der Mann hatte ein grobes Gesicht und kalte stechende Augen.

      Agatha Simpson trat an das geöffnete Fenster des hochherrschaftlichen Fahrzeugs.

      »Das Gerümpel hat rund fünfzig Pfund gekostet«, sagte sie mit ihrer baritonal gefärbten, weittragenden Stimme.

      Der Mann im Rolls-Royce lächelte dünn und abfällig.

      Er mußte Lady Agatha einfach falsch verstehen.

      Sie trug eines ihrer üblichen, sehr weit geschnittenen und faltenreichen Kostüme. Ihre Füße steckten in ausgetreten wirkenden, einfachen Schuhen. Agatha Simpson, immens vermögend, erinnerte tatsächlich ein wenig an eine einfache Frau aus dem Volk, die so spricht, wie ihr der Schnabel gewachsen ist.

      »Fünfzig Pfund!« Der Mann im Rolls-Royce zückte bereits die Brieftasche und entnahm ihr eine Banknote, die er an den Jungen weiterreichte, der sich noch immer die Kinnlade massierte.

      »Schicken Sie sie weg, Artie! Ich will nicht länger belästigt werden …«

      Der Mann, der Artie hieß, beeilte sich, Mylady die Banknote in die Hand zu drücken. Dabei schielte er aber sicherheitshalber nach dem Pompadour an ihrem Handgelenk. »Hauen Sie ab, Mädchen«, sagte er und trat vorsichtshalber einen Schritt zurück. »Kaufen Sie sich etwas Hübsches!«

      Lady Agatha Simpson erstarrte.

      Es war geradezu empörend, wie Sie sie behandelte. Ein wenig verdutzt sah sie auf die Banknote. Es handelte sich um eine Fünfpfundnote.

      Der junge Mann bestieg bereits hastig den Wagen und nahm neben dem Fahrer Platz. Die beiden anderen Männer verdrückten sich nach hinten zu dem Mann, der die Sonnenbrille wieder aufgesetzt hatte. Der Rolls-Royce fuhr an.

      »Das ist doch eine ausgemachte Frechheit!« Lady Agathas Stimme grollte.

      »Ich habe mir das Kennzeichen des Wagens eingeprägt«, sagte die junge attraktive Begleiterin. Sie hieß Kathy Porter, war Myladys Gesellschafterin und erinnerte ein wenig an ein scheues, empfindsames Reh. »Worum ich auch gebeten haben möchte«, antwortete Lady Agatha. »Wo steckt denn Mister Parker? Immer, wenn man ihn mal wirklich braucht, ist er nicht zur Stelle …«

      *

      Nachdem Mike Rander, der junge, erfolgreiche Anwalt, sich notgedrungen in seine Londoner Anwaltskanzlei zurückgezogen hatte, um der vielen Fälle einfach Herr zu werden, war Josuah Parker in die Dienste von Lady Agatha Simpson getreten.

      Widerwillig, wie korrekterweise gesagt werden muß.

      Jahrelang war Parker zusammen mit seinem jungen Herrn durch die Welt gezogen und hatte teilweise haarsträubende Kriminalabenteuer erlebt. Dies alles war aber nichts gegen die Zwischenfälle, die Lady Agatha förmlich provozierte.

      Die streitbare Dame, so um die sechzig Jahre alt, stand mit beiden Beinen im Leben. Nach dem Tod ihres Mannes, des Lord John Simpson, war sie die Alleinerbin eines riesigen Vermögens geworden. Sie besaß hochkarätige Anteile an Brauereien, Fabriken, Werften und Reedereien. Lady Agatha war mit dem Hoch- und Geldadel Englands eng verschwistert und verschwägert. Man schätzte und fürchtete sie gleichzeitig. Als Detektivin war sie geradezu berüchtigt, was ihr ungeniertes Benehmen anbetraf. Sie konnte fluchen wie ein Fuhrknecht, ordinär sein wie die Wirtin einer Kaschemme oder eine unnahbare herzogliche Würde verbreiten, die lähmend wirkte.

      Lady Agatha hatte ihre Vermögensanteile in eine Stiftung umgewandelt, aus deren Erlös begabte junge Menschen kostenlos studieren konnten. Als Realistin hatte sie selbstverständlich ihre persönlichen Belange nicht vergessen. Sie verfügte über das Geld, um das zu tun, was sie zu tun wünschte.

      Parker stand also seit einiger Zeit in ihren Diensten und hatte seitdem Hochbetrieb, um Mylady vor Schaden zu bewahren. Sie ging keinem Ärger aus dem Weg und hatte die seltsame Gabe, immer wieder auf interessante Kriminalfälle zu stoßen. Sie war Amateurdetektivin aus Leidenschaft, die einfach nicht zu bremsen war.

      Als Lady Agatha zurück ins Hotel kam, sah der Butler sofort, daß sich wieder mal ein peinlicher Zwischenfall ereignet hatte.

      »Sie sehen mich empört«, stellte Lady Simpson fest und nahm ihren unmöglichen Kapotthut ab.

      »Mylady werden dafür Gründe haben«, gab der Butler vorsichtig und abwartend zurück.

      »Ich bestehe darauf, daß Sie diese Flegel zur Ordnung rufen«, grollte sie.

      »Wie Mylady befehlen.« Parker blieb reserviert.

      »Es geht mir nicht um das Geld«, erklärte Lady Agatha. »Es sind die schlechten Manieren, die mich ärgern.«

      »Könnten Mylady vielleicht mit Einzelheiten dienen?« erkundigte sich Parker gemessen.

      »Zuerst brauche ich eine Erfrischung«, verlangte Agatha Simpson und ließ sich in einem Sessel nieder.

      »Ich werde sofort Tee kommen lassen«, versprach der Butler.

      »Tee! Ich brauche eine Erfrischung …«

      Josuah Parker hatte verstanden.

      Würdevoll und gemessen begab er sich hinüber zu dem Wandtisch, wo Flaschen und Gläser standen. Er füllte ein Glas mit Whisky und servierte es auf einem Silbertablett.

      »Das ist es, Mister Parker!«