Günter Dönges

Butler Parker 140 – Kriminalroman


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      »Ein bemerkenswertes Exemplar«, stellte Josuah Parker fest und musterte die Königskobra, die schätzungsweise dreieinhalb Meter lang und fast armdick war. Das Reptil glitt aus einer Art Schutzhütte, die sich in der Mitte der großen Betonschüssel befand. Die Kobra züngelte und zeigte eindeutig eine gewisse Unruhe.

      »Sie scheint irritiert zu sein«, meinte Desmond Ball erstaunt und beugte sich über die Brüstung der Betonschüssel, »normalerweise ist Hetty schon fast zutraulich.«

      »Sie scheinen intensive Beziehungen zu Ihren Gästen zu pflegen, Mr. Ball«, sagte Butler Parker und deutete auf eine zweite Kobra, die aus der Schutzhütte glitt und nicht weniger züngelte.

      »Wir haben uns im Lauf der Zeit natürlich kennengelernt«, gab Desmond Ball zurück. Er war etwa fünfzig, rundlich und ein freundlicher Mensch. Er war der Besitzer der Schlangenfarm, die sich in der Nähe der kleinen Stadt Marlow in den Chiltern Hills befand. Von London aus war es im Grunde nur ein Katzensprung bis hierher, doch hatte man erst mal dieses Gelände betreten, dann fühlte man sich in die Tropen versetzt. Es gab hier exotische Pflanzen und Bäume, Gewächshäuser und Pavillons, die aus Bambus errichtet worden waren. Desmond Ball war mit Sicherheit ein geschickter Geschäftsmann, der seinen Besuchern einiges zu bieten hatte.

      Seine Schlangenfarm war weithin bekannt. Besucher vor allen Dingen aus London fanden sich hier gern ein, beobachteten die Reptilien in den großen Betonschüsseln und gruselten sich. Die Auswahl an Giftschlangen, die Desmond Ball zu bieten hatte, war in der Tat beachtenswert.

      »Wovon lebt dieses hübsche Ungeheuer?« erkundigte sich Lady Simpson. Sie stand neben Parker und beobachtete durch ihre Lorgnette die Kobra, die sich aufrichtete und ihren gespreizten Nackenschild zeigte. Die riesige Königskobra schien nur den Butler zu sehen.

      »Hetty frißt andere Schlangen, Ratten und Kaninchen«, gab der Besitzer der Farm zurück, »und eigentlich müßte sie jetzt friedlich sein. Sie ist nämlich satt.«

      »Sie gehen einem erstaunlichen Hobby nach, Mr. Ball«, sagte Josuah Parker in seiner unnachahmlich höflichen Art. »Sie beschränken sich, wie man meine bescheidene Wenigkeit informierte, keineswegs auf das Zurschaustellen dieser Reptilien?«

      »Das ist nur ein Nebeneffekt«, antwortete Ball, »in erster Linie beliefere ich die pharmazeutische Industrie mit Schlangengiften. Die stellt daraus dann Schlangenseren her.«

      »Und wie haben die Reptilien sich mit dem Klima abgefunden, wenn man höflichst fragen darf?«

      »Wenn’s zu kalt wird, decke ich die Betonschüsseln mit Planen ab. Ich kann sogar den Boden aufheizen. Ich habe eine Art Fußbodenheizung einbauen lassen.«

      »Sie hat was gegen Sie, Mr. Parker.« Lady Agatha deutete mit dem Griff ihrer Stielbrille auf die Königskobra, die sich an den Rand der Schlangengrube geschoben hatte, um sich hier erneut aufzurichten. Sie hatte selbstverständlich keine Chance, den Butler zu erreichen. Die Betongrube, in der sie zusammen mit anderen Kobras lebte, war schätzungsweise zweieinhalb Meter tief.

      »Der Biß dieses Reptils wäre tödlich, Mr. Ball?« fragte Parker.

      »Unbedingt«, antwortete Desmond Ball, »natürlich habe ich drüben in meinem Büro die entsprechenden Gegengifte, aber ein Biß wäre immer lebensgefährlich, auch wenn man sofort das Serum spritzen würde.«

      »Es gab hier bisher keine Unfälle, junger Mann?« erkundigte sich Lady Simpson. Sie war eine stattliche Dame, die die sechzig mit Sicherheit überschritten hatte, sah jedoch keineswegs betagt aus, sondern das Gegenteil war der Fall. Sie spielte mit Begeisterung Golf und frönte dem Sport des Bogenschießens. Sie war überhaupt eine ungemein aktive, dynamische Frau, die nicht untätig sein konnte.

      »Unfälle hatten wir bisher nicht, und das wird auch so bleiben«, beantwortete Ball die Frage Agatha Simpsons, »bei den Führungen durch die Schlangenfarm bin ich stets dabei.«

      »Und dennoch fand sich hier bedauernswerterweise ein Opfer«, erinnerte Josuah Parker.

      »Das passierte drüben bei den Grubenottern«, sagte Desmond Ball und nickte, »und ich betone noch mal das, was ich bereits der Polizei gesagt habe: Der junge Mann ist außerhalb der Öffnungszeiten hier eingestiegen.«

      »Sie fanden ihn gestern, nicht wahr, Mr. Ball?«

      »Als ich die Morgenfütterung beginnen wollte«, bestätigte Ball, »er war natürlich schon längst tot. Er wurde wenigstens sechs- bis achtmal gebissen. Er hatte keine Chance.«

      »Sie hörten keine Schreie?« erkundigte sich die ältere Dame erstaunt.

      »Nichts«, bedauerte Desmond Ball, »aber ich wohne ja auch nach vom hinaus. Ich muß noch mal wiederholen, daß der junge Mann widerrechtlich eingedrungen ist. Darf ich jetzt mal wissen, wieso Sie mich das alles fragen? Von der Polizei sind Sie doch bestimmt nicht, könnte ich mir nicht vorstellen.«

      »Sie haben den Verblichenen vorher noch nie gesehen, Mr. Ball?« fragte der Butler, als habe er nichts gehört.

      »Noch nie vorher.« Desmond Ball schüttelte den Kopf.

      »Sonst würden Sie vielleicht nicht mehr leben, junger Mann«, erwiderte die passionierte Detektivin, »der Tote war ein bekannter Gangster. Aber mit solchem Gelichter haben Sie ja sicher nichts zu tun, oder?«

      »Natürlich nicht, Mylady«, erwiderte Desmond Ball, »war es ein gefährlicher Gangster?«

      »Ein sogenannter Killer, wie es im Jargon der Unterwelt zu heißen pflegt«, schloß Josuah Parker die Unterhaltung und deutete mit der Spitze seines altväterlich gebundenen Regenschirms auf die Kobra, »der Verblichene dürfte wenigstens so gefährlich gewesen sein wie diese Königskobra!«

      *

      Chief-Superintendent McWarden erhob sich respektvoll, als Lady Agatha zusammen mit dem Butler den kleinen Gasthof betrat. McWarden, stets an einen leicht gereizten Bullterrier erinnernd, war mittelgroß und neigte zur Korpulenz. Der etwa Fünfzigjährige war Chef eines Sonderdezernats im Yard und arbeitete nur zu gern mit Butler Parker zusammen.

      »Nun, was halten Sie von diesem Desmond Ball?« fragte er, nachdem man in einer holzvertäfelten Nische des Gasthofes Platz genommen hatte.

      »Diesem Schlangenbändiger traue ich nicht über den Weg«, antwortete die ältere Dame, »Sie sollten ihn festnehmen, McWarden.«

      »Was hätte ich schon gegen ihn in der Hand, Mylady?« fragte der Chief-Superintendent, der die vorschnellen Urteile der Lady nur zu gut kannte.

      »Sie sind wieder mal zu vorsichtig, McWarden«, grollte sie, »was sucht ein Gangster in einer Schlangengrube? Er kann doch nur hinuntergestoßen worden sein. Und zwar von diesem Desmond Ball. Was meinen Sie, Mr. Parker?«

      »Eine Deutung, Mylady, die man nur als einleuchtend bezeichnen kann«, antwortete Josuah Parker, ohne eine Miene zu verziehen. Sein glattes Gesicht blieb ausdruckslos.

      »Haben Sie diesen Gangster eigentlich gekannt, McWarden?« erkundigte sich Agatha Simpson.

      »Jerry Puckley, Mylady? Nein, beruflich ist es nie dazu gekommen. Puckley verschwand eines Tages aus London und tauchte jahrelang unter. Daher ja auch meine Überraschung, als man ihn auf der Schlangenfarm fand.«

      »Dieser Unfall, Sir, wurde von Mr. Desmond Ball gemeldet?« fragte der Butler.

      »Ball hat sich völlig korrekt verhalten. Welchen Eindruck hat er denn auf Sie gemacht, Mr. Parker?«

      »Mr. Ball gab sich ausgesprochen selbstsicher, Sir«, entgegnete der Butler.

      »Er ist nicht weniger giftig als seine Schlangen«, wußte die ältere Dame mit Nachdruck zu sagen, »ich habe mir den Zaun angesehen, der die Schlangenfarm umgibt. Übermannshoch und sehr solide. McWarden ... Warum sollte ein Killer sich die Mühe machen, solch ein Hindernis zu übersteigen? Was hätte er auf der Schlangenfarm suchen sollen als Schlangen? Nein, nein, er ist auf das Gelände gelockt worden.«

      »Ähnlich denke ich auch, Mylady«, äußerte McWarden, »meine Leute sind dabei, sich mit Desmond Balls Vorleben zu beschäftigen. Möglich, daß wir da überraschende Funde machen werden.«

      »Nehmen