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August Bebel
Charles Fourier: Sein Leben und seine Theorien
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
EAN 4064066118471
Inhaltsverzeichnis
Skizze eines Phalanx-Gebäudes (Phlanstère)
Vorrede.
Das achtzehnte Jahrhundert zählt in der Geschichte der Entwicklung der Menschheit zu jenen Perioden, auf denen der Blick des Kulturforschers und Fortschrittsfreundes mit besonderem Interesse ruht. Nach den religiösen, politischen und sozialen Kämpfen des Reformationszeitalters war, wie das stets nach großen Volks- und Massenbewegungen zu geschehen pflegt, eine Art Stillstand und Rückschlag für die Fortentwicklung eingetreten. Die durch die Reformationsbewegungen zur Geltung gekommenen Stände und Interessen suchten sich zu konsolidiren und die daraus hervorgehenden Reibungen führten wieder zu gewaltsamen Kämpfen und Erschütterungen von mehr oder weniger langer Dauer, die alle übrigen Interessen absorbirten, den materiellen wie den geistigen Fortschritt der Massen für lange Zeit hemmten.
In Deutschland hatte die Reformation dem Landesfürstenthum Oberwasser verschafft. Die Landesfürsten hatten die Reformation benutzt, um unter dem Deckmantel der Religion die eigene Hausmacht nach Möglichkeit zu stärken dadurch, daß sie den kleinen Adel sich unterthänig und von sich abhängig machten, die Macht der Geistlichkeit brachen, sich selbst die bischöfliche Gewalt beilegten, Kloster und Kirchengut konfiszirten und die gewonnene Macht benutzten, sich immer mehr von der Kaisergewalt zu emanzipiren, diese zum bloßen Schatten zu degradiren. Aus diesem Interessenkampf der Fürsten entstanden die sogenannten Religionskriege, der schmalkaldische und der dreißigjährige Krieg, die Deutschlands politische Ohnmacht und Zerrissenheit auf Jahrhunderte besiegelten, seine ökonomische Schwächung — die schon durch die Umgestaltung der Weltmarktsbeziehungen in Folge der Entdeckung von Amerika und des Seewegs nach Ostindien veranlaßt war — noch vergrößerten und allgemeine Armuth, schweren geistigen und geistlichen Druck über Länder und Völker verbreiteten.
In Frankreich erzeugte die Reformation die Kämpfe der Hugenotten, d. h. des hugenottisch gesinnten Bürgerthums und die des frondirenden Adels gegen das frühzeitig sich entwickelnde, alles zentralisirende absolute Königthum. Nach längeren Kämpfen siegte das letztere und fand in Ludwig XIV. seinen glänzendsten, aber auch seinen bedrückendsten und gewaltthätigsten Vertreter. Die inneren und äußeren Kämpfe Frankreichs im 16. und 17. Jahrhundert hemmten die freie Entwicklung des materiellen wie geistigen Fortschritts. Bürgerthum und Adel gegenseitig feindlich, das Land nach außen, namentlich unter dem erwähnten Ludwig, von einem Krieg in den anderen gestürzt, war schließlich erschöpft und verarmt. Solche Zeitalter sind nicht geeignet, große Ideen zu gebären, für geistige Kämpfe die Bahn frei zu machen. Dagegen zeigte das achtzehnte Jahrhundert in Frankreich ein ganz anderes Bild. Frankreich bildete für dieses Zeitalter die Wiege des menschlichen Fortschritts auf allen Gebieten; hier entwickelte sich allmälig eine Fülle von geistigem Glanz und Leben, wie sie bis dahin kein Volk und kein Zeitalter in gleichem Maße erlebte. Die Menschen wuchsen sozusagen über sich selbst hinaus und setzten alle Geister und Herzen in der ganzen Kulturwelt in Bewegung. Frankreich mag viel gesündigt haben, die Dienste, die es während des achtzehnten Jahrhunderts der Menschheit leistete, werden ihm, so lange Menschen leben, unvergessen bleiben.
Die Fortschritte begannen unmittelbar nach dem Tode Ludwig's XIV., dessen Gewalt mit eisernem Drucke auf dem Lande gelastet, alle freie bürgerliche Regung erdrückt, alle freie geistige Bewegung erstickt hatte. Das Land stand nach seinem Tode am Rande des materiellen und geistigen Bankerotts. Allmälig erholte sich das Volk und arbeitete sich, wenigstens in den Städten, wo die feudale Macht des Adels und der Geistlichkeit am wenigsten sich fühlbar machen konnte, empor. Die Männer von Bildung und Geist, die nach der Entwicklung und Entfaltung der Kräfte des Landes strebten, eilten nach jenseits des Kanals, nach England, um dort, an den Quellen des öffentlichen Lebens, die Studien zu machen, zu denen ihnen im eigenen Lande die Gelegenheit und die Möglichkeit fehlte. Zurückgekehrt nach der Heimath, begannen sie die Arbeit, die langsam aber sicher den stolzen Bau des absoluten Staats und der feudalen Gesellschaft untergrub und unterhöhlte, bis zu Ende des Jahrhunderts in einem Riesenzusammenbruch Beides, Staat und Gesellschaft, zusammenstürzten, und durch ihren Fall ganz Europa aus den Fugen trieben.
Das Königthum gerieth nach Ludwig XIV. in die Hände von Schwächlingen, die Geistlichkeit und der Adel waren verlottert und verweichlicht; eine Minorität unter den beiden Ständen war geneigt, angeekelt von dem Treiben der eigenen Klasse und den Zuständen um sich, neuen Ideen sich zugänglich zu erweisen und spielte mit dem Feuer, dessen Gefährlichkeit sie nicht kannte. So erklärt sich, daß die Männer der neuen Zeit mit ihren alles Alte angreifenden und erschütternden Ideen vielfach gerade dort einen bereiten Boden fanden, wo man ihn am wenigsten hätte erwarten sollen. Aber es hatte sich auch des Bürgerthums ein Drang nach Wissen und Bildung, nach politischen Rechten, ein Geist der Unzufriedenheit über das Bestehende bemächtigt, wodurch die Bewegung schließlich zum Alles niederreißenden Strom anschwoll.
Das Bürgerthum, politisch so gut wie rechtlos und machtlos, die Vertretung seiner Magistrate in den alten ständischen Parlamenten mißachtet, mit Abgaben unangenehmster Art beschwert, durch Zunft-, Bann- und Höferechte in seiner materiellen Entwicklung behindert, von Adel und Geistlichkeit geringschätzig und verächtlich behandelt, aller persönlichen Rechte und der Garantien persönlicher Freiheit beraubt, sehend, wie die ungerecht vertheilten und gewaltsam beigetriebenen Steuern und Abgaben von einem in der Liederlichkeit verfaulenden Hof verschlemmt und verpraßt wurden, erfaßte mit Gier die neuen Ideen, welche die Rechtmäßigkeit der feudalen Vorrechte angriffen, die religiösen Vorurtheile, unter deren Druck es litt, in Zweifel zogen, die allgemeine Freiheit und Rechtsgleichheit lehrten. Der neue Staat und die neue Gesellschaft wurden in den verführerischsten Farben dargestellt, politische Macht, Reichthum, geistige Freiheit und Gleichheit Allen in Aussicht gestellt.
Wenn in einem Gesellschaftszustand die Dinge sich einmal so weit entwickelten, daß ein großer Theil der Betheiligten und Interessirten von Unzufriedenheit und Mißstimmung gegen das Bestehende und von Sehnsucht nach besseren Zuständen erfüllt ist, so wird der alte Zustand sich auf die Dauer nicht halten können, was immer für Mittel und Praktiken in Anwendung kommen, ihn zu erhalten und zu stützen. Mag die Sehnsucht der Masse nach Veränderung des Bestehenden, nach Umgestaltung ihrer Lage zunächst nur eine Sache des Gefühls sein, das aber in dem thatsächlichen Zustand der Verhältnisse seine Begründung und seine Berechtigung findet. Mag diese Masse sich über den Weg wie über die Mittel, durch die ihr geholfen werden könnte, noch so unklar sein, der Moment kommt, wo sie mit elementarer Macht, instinktiv stets richtig, nach dem bestimmten Ziele drängt und die bewußten und wissenden Geister zwingt, sich zu ihrem Organ, zu ihrem Mundstück und zu ihren Werkzeugen aufzuwerfen, um die Bewegung zum richtigen und nach Lage der Verhältnisse möglichen Ziele zu leiten. Die Führer sind unter solchen Umständen stets Werkzeuge, nicht Macher, und sie werden bei Seite geworfen, sobald sie sich zu Machern aufwerfen, die Bewegung für sich und nach eigenem Gutdünken, statt im Interesse der Betheiligten zu benutzen suchen. Die rasche Abwirthschaftung der Führer in akut gewordenen Volksbewegungen hat in diesem Geheimniß ihren Grund, sie wollen Allesmacher sein, wo sie nur Werkzeuge sein sollen und können. Da man sich hüben wie drüben dieses Verhältnisses selten bewußt ist, schreien die Einen über Verrath, die Andern über Undankbarkeit der Masse; das Erstere ist selten