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Friedrich Reinhold Kreutzwald
Ehstnische Märchen
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
EAN 4064066118303
Inhaltsverzeichnis
2. Die im Mondschein badenden Jungfrauen.
3. Schnellfuß, Flinkhand und Scharfauge.
7. Wie eine Waise unverhofft ihr Glück fand.
13. Wie eine Königstochter sieben Jahre geschlafen.
21. Der herzhafte Riegenaufseher. [84]
22. Wie ein Königssohn als Hüterknabe aufwuchs.
24. Die aus dem Ei entsprossene Königstochter.
Reinhold Köhler und Anton Schiefner.
Vorwort.
Im dritten Bande der Kinder- und Hausmärchen hat Wilhelm Grimm auf S. 353 der Ausgabe von 1856 auf die ihm bis zu der Zeit bekannt gewordenen ehstnischen Märchen hingewiesen, und auf S. 385 namentlich die zuerst von Fählmann im Jahre 1842 in dem ersten Bande der Verhandlungen der gelehrten ehstnischen Gesellschaft zu Dorpat veröffentlichte anmuthige Dichtung Koit und Ämmarik hervorgehoben. In ausführlicherer Fassung ist die letztere später (1854) von Dr. Friedrich Kreutzwald mir mitgetheilt und von mir im Bulletin der St. Petersburger Akademie T. XII. Nr. 3, 4 (auch in den Mélanges russes T. II. S. 409) in dem Aufsatz »zur ehstnischen Mythologie« abgedruckt worden. Ebendaselbst habe ich auch auf die Möglichkeit einer Entlehnung dieser Dichtung von einem Nachbarvolke aufmerksam gemacht. An solchen Entlehnungen sind die Ehsten nicht ärmer als andere Völker, und es gewährt ein eigenthümliches Interesse, mehr oder minder anderswoher bekannte Stoffe in ihrer ehstnischen Einkleidung zu betrachten. Allein nicht bloß die Freude an der poetischen Behandlung der einzelnen Märchen ist es, was uns auffordert, denselben unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Es knüpfen sich eine ganze Anzahl rein ethnographischer und historischer Fragen an die Betrachtung ihres Inhalts.
Der Uebersetzer hat es für angemessen erachtet, auf so manche Züge hinzuweisen, welche die einzelnen Märchen mit der von Dr. Kreutzwald ins Leben gerufenen Dichtung »Kalewipoëg« gemein haben. Manches ist allerdings aus den nicht bloß bei den Ehsten in Umlauf befindlichen Märchen erst in die Sage und daraus in die epischen Lieder gewandert, anderes bietet uns aber treulichst erhaltene Spuren altscandinavischer Mythen dar. Habe ich bereits im Jahre 1860 bei Gelegenheit der Besprechung des Kalewipoëg (Bulletin B. II. S. 273-297 = Mélanges russes B. II. S. 126-161) darauf aufmerksam gemacht, wie im Kalewipoëg vielfach Nachklänge des alten Thor-Cultus vorliegen, so kann man das mit gleichem Recht von den in vorliegender Sammlung dargebotenen Märchen behaupten. Man berücksichtige außer dem von Herrn Löwe S. 2 angeführten z. B. S. 113 die dem Donnerer gehörige Gerte aus Ebereschenholz, sowie auch S. 137 das Ruder aus demselben Holze. Vgl. über die auch S. 18 vorkommende Eberesche als dem Donnerer heilig Mannhardt Germanische Mythen S. 13 f.
Als ich im Jahre 1855 über den Mythengehalt der finnischen Märchen (Bullet. hist. philol. T. XII. Nr. 24) kurz berichtete, waren von den ehstnischen Märchen nur sehr wenige bekannt, und die ganze reiche Märchenliteratur der Russen, von der uns die von Afanasjew in den Jahren 1855-1863 erschienene Sammlung in acht Bänden eine Ahnung giebt, war nur in wenigen Proben zugänglich. Bei einem eingehenden Studium der ebengenannten Sammlung dürften nicht allein die finnischen Märchen in einem andern Lichte erscheinen, sondern auch die ehstnischen richtiger gewürdigt werden können. Sicher ist es wenigstens, daß, wenn wir die ehstnischen Märchen betrachten, wir es mit den Einflüssen der verschiedensten Zeiten und Völker zu thun haben.
Manche Züge weisen unverkennbar auf litauische Berührungen hin, andere zahlreichere und wohl auch jüngere auf russische Elemente; da die Küstenstriche Ehstlands und namentlich die zunächst liegenden Inseln schwedische Bevölkerung gehabt und zum Theil auch noch gegenwärtig haben, ist der letzteren nebst manchem Märchen auch mancher aus der ältesten Zeit stammende Mythus entnommen. Aber auch die neueste Zeit hat aus der Kinderstube der deutschen Familien sowohl in der Stadt als auf dem Lande so manches Märchen in die Bauerhütten verpflanzt. Nicht minder haben die aus dem Kriegsdienste heimkehrenden