Franziska Gehm

Die Vampirschwestern 11 - Vorsicht, bissiger Bruder!


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      Franziska Gehm

      Die Vampirschwestern – Vorsicht, bissiger Bruder!

      Vampir im Bauch

      Elvira Tepes lag auf dem Wohnzimmerschrank. Sie sah aus, als hätte sie einen Gymnastikball verschluckt. Ihr Bauch wölbte sich und bis zur Decke war nur noch ein Zentimeter Platz.

      „Elvira!“ Tante Karpa schwebte gerade aus der Küche herein und ließ vor Schreck beinahe das Tablett mit den Kaffeetassen fallen. „In deinem Zustand sollte man nun wirklich keine Klettertouren mehr machen.“

      „Sie ist nicht geklettert. Sie ist geflogen“, sagte Daka. Sie hing kopfüber an der Gardinenstange und zwinkerte ihrer Mama zu.

      „Genau genommen nicht sie, sondern das Baby“, fügte Silvania hinzu. Sie saß mit dem Ratgeber Unser süßes Baby: Nuckeln, sabbern, strampeln auf den Knien im Sessel.

      Elvira Tepes holte durch die Nase tief Luft und atmete lautstark durch den Mund wieder aus. Dabei machte sie MUUUHHHOOOOOHAAAA. So, wie sie es im Geburtsvorbereitungskurs gelernt hatte. Zwar hatte sie schon zwei wunderbare Mädchen zur Welt gebracht. Aber das war so lange her, dass sie zur Sicherheit und zum Spaß noch mal einen Geburtsvorbereitungskurs besuchte. Bereits dort war sie durch häufiges Schweben unangenehm aufgefallen. Sie konnte nichts dafür. Sie hatte einen kleinen Vampir im Bauch. Oder zumindest einen Halbvampir. Oder eine Halbvampirin.

      „Lange halte ich das nicht mehr aus“, sagte Elvira, die Hände am dicken Bauch. Jetzt kickte und zappelte das Baby, als würde es Polka tanzen. So wild, dass der gesamte Schrank wackelte.

      „Bald hast du es geschafft.“ Tante Karpa kippte sich aus einem Kännchen einen Schuss Blut in den Kaffee und trank schlürfend. „Ich habe in meinem 2919-jährigen Leben schon so manche Geburt miterlebt. Ich bin mir sicher: Noch in dieser Nacht flattert euer Baby ein!“

      In dem Moment kamen aber erst mal vier Vampire aus dem Keller ins Wohnzimmer geflattert: Mihai Tepes, Vlad Tepes, Oma Zezci und Dr. Liviu Chivu.

      Mihai strahlte seine Frau an. „Moi Miloba! Du siehst aus wie eine exotische, köstliche, saftige und zum Platzen reife Frucht.“ Er warf ihr eine Kusshand auf den Schrank.

      Frau Tepes lächelte schwach. „Ich fühle mich eher wie eine Mastsau kurz vorm Schlachtfest.“ Sie rutschte vom Schrank, schwebte zu Boden und nahm Onkel Vlad das Kännchen aus der Hand, aus dem er sich gerade einen Schuss Blut in den Kaffee kippen wollte, und trank es in einem Zug aus. „Ah! Das tut gut.“

      Onkel Vlad fiel sein Monokel in den Kaffee.

      „Lust auf literweise Blut …“ Dr. Chivu kniff die Augen zusammen. „Klarer Fall von Eisenmangel. Typisch für die Schwangerschaft.“

      Oma Zezci nickte. „Ich hab damals, als ich mit Vlad schwanger war, eine ganze Kuhherde zum Frühstück ausgesaugt.“

      „Na, das erklärt ja einiges.“ Mihai boxte seinem Bruder in die Seite.

      „Muh!“, machte Vlad.

      Onkel Vlad, Tante Karpa und Dr. Liviu Chivu waren vor ein paar Tagen aus Transsilvanien angereist. Oma Zezci von den Osterinseln, wo sie sich gerade von ihrem anstrengenden, langen Leben erholt hatte. Sie alle wollten die Geburt des neuen Erdenbürgers, oder vielmehr Luftbürgers, nicht verpassen. Außerdem war es gut, einen transsilvanischen Arzt im Haus zu haben. Ein deutsches Krankenhaus kam für die Geburt nicht infrage. Dort hatte man keinerlei Erfahrung mit der Geburt von Vampiren und Halbvampiren. Was, wenn das Baby dringend eine Frischbluttransfusion brauchte? Oder wenn es bereits mit Eckzähnen auf die Welt kam und Hunger auf Hebamme hatte? Oder wenn es die ersten Flugrunden im Kreißsaal drehte?

      Familie Tepes hatte beschlossen, eine Hausgeburt, genau genommen eine Kellergeburt, zu wagen. Immerhin hatte Elvira bereits zwei kerngesunde Halbvampire auf die Welt gebracht: die Zwillinge Silvania und Dakaria. Ein weiteres Baby dürfte ein Klacks für sie sein.

      Es klingelte. „Das ist Oma Rose!“, rief Silvania, legte den Babyratgeber beiseite und ging zur Haustür. Oma Rose war zum Blutkränzchen am späten Nachmittag eingeladen. Opa Gustav vertrug keinen Kaffee – und das war nicht das Einzige, was er nicht vertrug. Sein Herz wäre auch für die Wahrheit zu schwach gewesen: dass seine Tochter mit einem Vampir verheiratet war und seine Enkelinnen zwei entzückende Halbvampire waren. Um sein Herz und die Nerven aller zu schonen, ließ man ihn in dem Glauben, sein Schwiegersohn sei ein (halbwegs) normaler Mann.

      „Boibine! Wir sind vollzählig“, rief Mihai Tepes. „Erheben wir die Gläser … oder die Kaffeetassen.“

      Alle hielten ihre Tassen in die Höhe.

      „Möge die Geburt so schnell und leicht vonstattengehen wie der Flügelschlag einer Fledermaus und nicht mehr schmerzen als ein klitzekleiner Vampirbiss!“, sagte Onkel Vlad.

      „Schnappobyx!“, riefen alle.

      Oma Rose und Elvira riefen: „Prost!“

      „Auf unsere kleine, bissige Tochter!“ Mihai küsste Elviras Bauch.

      „Also ich will lieber einen Bruder“, sagte Daka.

      „Mädchen oder Junge, das ist vollkommen egal“, sagte Oma Rose. „Hauptsache –“

      „VAMPIR!“, warf Oma Zezci ein und kippte den Kaffee mit Schuss auf ex hinunter.

      „… gesund!“, schloss Oma Rose.

      „Hauptsache, vier schöne lange Eckzähne.“ Vlad grinste, sodass seine Eckzähne bestens zur Geltung kamen.

      Plötzlich krümmte sich Elvira, ließ die Tasse fallen und fasste sich mit beiden Händen an den Bauch. „Es geht los!“

      Der Name geht in die Hose

      Noch nie zuvor hatte es im Lindenweg eine Kellergeburt gegeben. Und noch nie zuvor war in ganz Bindburg ein Kind in einem Sarg zur Welt gekommen. Doch es war auch noch nie zuvor ein Kind in Bindburg geboren worden, das nur wenige Minuten nach der Geburt von der Babywaage abhob und zu seiner Mutter flog.

      Der erste Schrei, den das Baby ausgestoßen hatte, war mit freudigen Willkommensrufen von Mihai Tepes erwidert worden.

      Nachdem Mutter und Kind sich ein wenig erholt hatten, versammelten sich die gesamte Familie und Dr. Chivu im Keller.

      „Hoi boi!“

      „Zensatoi futzi!“

      „Hurra!“

      „Boi Felishnuk!“

      „Oh, wie süüüüß!“, hallte es durch den Keller.

      Mihai hatte seiner Frau, die noch im Sarg lag, ein Kissen hinter den Rücken gesteckt. Elviras Wangen schimmerten vor Glück und Zauber. Sie lächelte wie ein beschwipster Engel. Mihai zupfte sich unentwegt am Lakritzschneckenschnauzer. Seine Augen glänzten.

      Daka setzte sich links und Silvania rechts von ihrer Mutter auf den Sargrand. Silvania nahm die Hand ihrer Mutter, sah sie versonnen an und seufzte. „Du erlebst gerade das schönste Wunder der Welt.“

      „Im Keller im Sarg liegen?“ Daka blähte die Backen auf. „Na, so doll ist das nun auch wieder nicht.“

      „Die Geburt!“, zischte Silvania und verdrehte die Augen. Ihre Schwester war zwar nur sieben Minuten jünger als sie, aber manchmal kam es ihr wie sieben Jahre vor.

      Daka tat, was sie meistens in solchen Fällen tat: Sie beachtete ihre Schwester nicht weiter. Stattdessen sah sie zur Kellerdecke.

      Dort baumelte das Baby. Es war in einen schwarzen Schlafsack gehüllt. Der Schlafsack hatte eine Schlaufe, an der das ganze Paket an einem Haken von der Decke hing. Das Baby schaukelte leicht vor und zurück und schlief.

      „Sieht irgendwie verschrumpelt aus. Bleibt das so?“, fragte Daka.

      „Oh Mann, Daka“, sagte Silvania. „So sehen alle Babys kurz nach der Geburt aus.“

      „Nee, also ICH bestimmt nicht!“

      „Was hast du denn? Das Baby ist doch total nieeeedlich!“, sagte Silvania.

      Daka reckte sich zur Decke und musterte das Baby.