Andrea Fehringer

Falco


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Das Geräusch, das der schwere Sack von sich gab, deutete eher auf Konserven hin. Und plötzlich verwandelte sich das Scheppern in Bobs Ohren in eine Alarmglocke.

      „Was meinst du mit Proviant?“ fragte er scharf, öffnete das Ding und betrachtete fassungslos dessen Inhalt: an die fünfzig volle Bierdosen.

      „Die Session ist beendet“, sagte Bob mit Eiszapfen an der Stimme.

      Obwohl Hans’ Teint gemächlich zu sattem Violett anlief, schien es, als hätte er auf nichts als auf diese Auseinandersetzung hingearbeitet. „Das wirst du entscheiden“, brüllte er, „wenn i sag’, wir arbeiten, dann passiert das auch!“

      „Ich kann dir ganz genau sagen, was passiert“, erwiderte Bob unheimlich leise. „Du packst jetzt deinen Proviant zusammen und schiebst deinen Hintern aus meinem Studio hinaus.“

      „So red’st du net mit mir, du kleiner Knöpferldrucker“, konterte Hans drei Dezibel zu laut, „wer glaubst’ denn, wer du bist? Ohne an Künstler seid’s ihr Produzenten doch nix als depperte Hebelschieber …“ Es folgte eine schillernde Aufzählung aller sinnentleerten Tätigkeiten, die ein Produzent für den einzig kreativen Part eines solchen Duos, nämlich den Künstler, zu leisten habe.

      Bob ließ Hans schreien, bis er sich in seinen Unflätigkeiten verhaspelte. Dann sagte er noch leiser und noch eisiger als zuvor: „Du kannst schreien, wie du willst, du kannst mich beschimpfen, wie du willst, du kannst dich auch auf den Kopf stellen, wenn du das noch hinkriegst – eins kannst du jedenfalls nicht: heute hier arbeiten. Das ist mein Studio, und was immer hier abgeht, es geht ohne Alkohol ab.“ Bob legte eine Pause ein, aber Hans war klar, daß er noch nicht fertig war.

      „Und ich sag’ dir noch was, du wienerisches Buberl, du größenwahnsinniges“, fuhr Bob schließlich fort. „Dein frisiertes Goschertsein kannst an irgendwelchen Journalisten ausprobieren, wenn die sich das gefallen lassen. Ich laß’ mir’s nicht gefallen. Es gibt ein paar Popgrößen, die ein bißl mehr verkauft haben als du und ein bißl berühmter sind und sich ein bißl länger im Geschäft bewegen, die haben ihre Krisen auch gemeistert und sich nicht ihre Platten damit versaut. Wenn man so ein Talent hat wie du, dann hat man darauf zu schauen, daß man es zumindest phasenweise, wenn’s drauf ankommt, ungestört auf die Leute loslassen kann. Dann ist man nicht ang’fressen, daß einen Gott und die Welt nicht versteht. Schon gar nicht, wenn überhaupt noch nix da ist, was man verstehen könnte. Deine Texte von der ‚Einzelhaft‘ hat jeder verstanden. Setz’ dich hin, reiß dich zusammen und schreib endlich. Du kommst mir vor wie ein Fünfjähriger, der am Watschenbaum rüttelt.“

      Hans saß da wie vom Donner gerührt. Innerlich aber wußte er, das Gewitter war vorbei. Und auf eine seltsame Art tat sie ihm gut, die klare Luft. Er hat recht, dachte er, er hat absolut recht. I führ’ mi auf wie ein kleiner Rotzbub, der seine Grenzen sucht. Genauso war’s, wenn mi früher mein Vater z’ammg’schissen hat, i kann mi genau an das G’fühl erinnern. Und in allem anderen hat Bob auch recht. Dauernd such’ ich irgendwelche Schuldigen, die mich behindern und aufhalten und abhalten, und ich schütt’ mich zu, weil ich selber net fähig bin, mich da rauszuhalten. Scheiße, wie komm’ ich aus der Nummer wieder raus?

      Die Antwort fand er in Robert Pongers Augen. Nur durch mich, war es Hans auf einmal klar, durch mich, und indem ich auf das hör, was mir Leute wie der Ponger sagen. Ich bin der einzige, der mir im Weg steht. Ich bin mein Feind.

      Langsam stand er auf und ging zur Tür. Kurz bevor er sie öffnete, schaute er sich noch einmal um. Es lag eine gewisse Ruhe in seinem Blick. Er hinterließ den Eindruck einer eigenartigen Zufriedenheit.

      Und den Rucksack.

      24 Stunden später war Bob wieder mit seinem Müsli beschäftigt, als Hans vor dem Studio vorfuhr. Die Art, wie er aus dem Auto stieg, hatte etwas Leichtes, Sicheres. Etwas ungewohnt Dynamisches. Nur, weil er einen Jogginganzug anhat, bremste Bob seine jäh ansteigenden Erwartungen. Und unwillkürlich hielt er den Atem an, als Hans die Tür zum Fond des Wagens öffnete und ein ansehnliches Gepäckstück herauswuchtete. „Die Gibson“, sagte er vor lauter Erleichterung halblaut vor sich hin, als er Hans’ Baß erkannte.

      Die beiden begrüßten einander, als läge ein halbes Leben zwischen gestern und heute. „Na, Bob, alles im grünen Bereich?“ meinte Hans jovial und bugsierte seinen Baß ins Studio.

      „Und selber?“ meinte Bob.

      „Wie ein junger Römer“, gab Hans zurück und streckte dem Produzenten ein Blatt Papier hin, säuberlich beschrieben mit seiner schönen, schrägen Handschrift.

      Der herrlich produktive Tag nach Pongers Gewitter stellte sich als einsames Zwischenspiel heraus. In den folgenden Wochen verfiel Hans wieder immer mehr in Zweifel an sich selbst, seinem Talent, seinen Texten. Die Tage verbrachte er zur Hälfte im Bett, zur Hälfte mit dem Bemühen, sich möglichst unverzüglich wieder ins Bett zu befördern. Sein Alkoholspiegel hätte sich mit dem Überschwemmungspegel der Donau messen lassen.

      Die Wohnung in der Schottenfeldgasse wurde zum „Fort Hoelzel“. Mit der Besonderheit, daß es Außenstehenden nicht so schwerfiel, hineinzukommen, als es der Besitzer schaffte, nach draußen zu gelangen. Wozu auch? Alles, was Hans brauchte, kam zu ihm. Die kleine Imbißstube direkt neben dem Eingang des Hauses schickte seine Lieblingsspeisen zu jeder Tages- und zu einem Großteil der Nachtzeit. Erstens war der Stammkunde prominent, zweitens eine beachtliche Säule des Umsatzes. Die Flüssignahrung wurde in weit kürzeren Intervallen per Boten geliefert. Man gönnte sich ja sonst nichts. Fast nichts. Für dieses Fast allerdings hätten die Lieferanten am berüchtigsten ihrer Umschlagplätze, der U-Bahnstation Karlsplatz, mindestens doppelt so lange arbeiten müssen.

      Sekundäre Bedürfnisse wie das nach Sauerstoff erledigten sich per Kippfenster. Anfangs schien die Bekleidungsfrage ein kleines Problem, das sich aber mit Hilfe dienstbarer Geister lösen ließ, die mit einer Polaroidkamera einkaufen geschickt wurden. Auf die Art vergrößerte Hans seine Garderobe bequem im Liegen. Der Nachschub an Zeitschriften, Videos oder anderen Links zur Außenwelt wurde durch Freunde aufrechterhalten. Freunde. Ein Wort, das in Hans’ Leben eine immer unsympathischere Bedeutung annahm. Abgesehen von seinem ältesten Freund Billy Filanowski und einigen wenigen anderen langjährigen Gefährten betrachtete er alle, die sich diesen Titel wie eine Trophäe sichern wollten, zunehmend als Mischung aus Parasiten und Sklaven. Groteskerweise scharte er bald mehr dieser falschen Freunde um sich, vor denen er sich andererseits wieder am liebsten unterm Teppich verkrochen hätte.

      Das Grundübel war dabei immer dasselbe: Wer sich mit Falco verstand, war Hans zutiefst verdächtig. Sich mit Hans zu verstehen, machte er selber aber nahezu unmöglich. Ihn schien eine stetig wachsende Mauer aus Vorsicht, Furcht und Fluchtbereitschaft zu umgeben. Und über die konnten andere ebensowenig vordringen zu ihm, wie er zu ihnen.

      Hinter dieser Mauer lebte Hans zuweilen wie ein Einsiedler, der nicht mehr wußte, ob er die Welt oder die Welt ihn verlassen hatte. Was irgendwann aber auch gar keinen Unterschied mehr machte. Alles in allem waren das nicht die besten Voraussetzungen für kreatives Arbeiten. Junge Römer, kennt ihr die Sonne noch …?

      Während Hans seine Nerven mit Jack Daniels, dem besten seiner neuen Freunde, und allerlei Chemie betäubte, lagen sie bei denen, die unmittelbar von seiner mangelnden Produktivität betroffen waren, längst blank. Robert Ponger verfolgte Hans’ Versuche, seine Unsicherheit zu überspielen, mit zunehmender Besorgnis. Dazwischen verplemperte er seine Arbeitszeit damit, Hans ins Gewissen zu reden oder ihm die Autoschlüssel wegzunehmen. Plattenchef Markus Spiegel, der auf die zweite seiner drei im Vertrag vereinbarten LPs wartete wie auf den Halleyschen Kometen, mußte sich von seiner zwischen Sein und Schein pendelnden Entdeckung mit lässig hingeworfenen Anglizismen einlullen lassen: Die fucking Schwarzmalerei der anderen sei bloß influenced by so Nebensächlichkeiten wie bad vibrations, und die wären aber sowas von easy aus der Welt zu schaffen, because er, Falco, habe no problem mit anything.

      Nach annähernd einem Jahr, das nun seit „Einzelhaft“ verstrichen war, kosteten Spiegel diese fucking Nebensächlichkeiten die heavy Kleinigkeit von einer Million Schilling. Annähernd eine zweite sollte noch dazukommen.