Kathrin Lange

Wenn die Nebel flüstern, erwacht mein Herz


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      Kathrin Lange

      Wenn die Nebel flüstern,

      erwacht mein Herz

      Weitere Bücher von Kathrin Lange im Arena Verlag:

       Die Fabelmacht-Chroniken. Flammende Zeichen

       Die Fabelmacht-Chroniken. Brennende Worte

       Die Fabelmacht-Chroniken. Nicholas’ Geschichte

       Herz aus Glas

       Herz in Scherben

       Herz zu Asche

      Kathrin Lange, geboren 1969, arbeitete als Verlagsbuchhändlerin und Mediendesignerin, bevor sie 2005 das Schreiben zu ihrem Beruf machte. Seither ist sie für ihre Thriller und fantastischen Jugendbücher bekannt. Kathrin Lange lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Hildesheim.

      Für Laura.

      Schlicht: Danke! Wir wissen beide, wofür.

      Ein Verlag in der Westermann GRUPPE

      1. Auflage 2020

      © 2020 Arena Verlag GmbH, Würzburg

      Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg

      Text © 2020 Kathrin Lange

      Alle Rechte vorbehalten

      Covergestaltung: Sandra Taufer unter Verwendung von Motiven von © Shutterstock.com (Fona, Kat Buslaeva, Sam Strickler, Angelina Bambina, Runrun2, KHIUS, Ihnatovich Maryia)

      Lektorat: Laura Held

      Layout und Satz: Malte Ritter, Berlin

      E-Book-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund, www.readbox.net

      E-Book ISBN 978-3-401-80910-6

      Besuche den Arena Verlag im Netz:

       www.arena-verlag.de

      »I am not an angel, and I will not be one till I die:

      I will be myself.«

      – Charlotte Brontë, 1847, Jane Eyre

      »Lasst mich euch eine sehr traurige Geschichte erzählen.«

      – Emily Brontë, 1841, High Moor Grange

      Ms Trenton. Anstaltsleitung, stand in grauen Buchstaben an der Rauchglastür, vor der Jessa saß und ungeduldig mit den Füßen wippte. Die Stuhllehne drückte schmerzhaft gegen ihren Rücken. Das war doch volle Absicht!

      Wenn man zur Direktorin des Kinderheims gerufen wurde, sollte man sich nicht wohlfühlen. Ganz im Gegenteil.

      Jessa dachte daran, wie die Polizei sie heute Mittag hier abgeliefert hatte. »Da haben Sie Ihre aufsässige kleine Streunerin wieder.« Das hatte einer der beiden Polizisten zu Jessas Erzieherin gesagt. Der andere hatte Jessa mit einer Mischung aus Verständnis und Mitleid angesehen. Jessa hatte ihn nur finster angestarrt. Mitleid und auch Güte, das hatte sie früh gelernt, waren nichts weiter als Mittel, sie in Sicherheit zu wiegen.

      Sie seufzte. In ihren Kopfhörern fing Billie Eilish zum zweiten Mal an, Bury a friend zu singen. Der Song passte gut zu Jessas aktueller Stimmung. Zum hundertsten Mal starrte sie auf die Telefonanlage von Ms Hart, Ms Trentons Sekretärin. Das rote Licht leuchtete und zeigte an, dass die Heimleiterin immer noch telefonierte.

      Jessa biss sich auf die Lippe. In ihrem Magen loderte Wut. Sie schürte sie sorgfältig.

      Ms Hart, die irgendeinen schrecklich wichtigen Text in den Computer hämmerte, schaute auf. Ihr Blick glitt von Jessas klobigen Stiefeln, auf die sie mit silbernem Lackstift verschlungene, rätselhaft aussehende Symbole gemalt hatte, hinauf zu ihrer über beiden Knien zerrissenen Jeans und dem ehemals schwarzen, jetzt total verwaschenen Hoodie bis hin zu Jessas halblangen Haaren. Sie waren von Natur aus schwarz. Erst vor ein paar Tagen hatte Jessa die Spitzen frisch in leuchtendem Neonblau gefärbt.

      Von diesen Haaren huschte Ms Harts Blick zu dem Silberring in Jessas Nase.

      Jessa hielt dem Blick der Sekretärin stand, bis diese unbewusst die Stirn runzelte und sich dann wieder ihrer Tastatur zuwandte.

      Gewonnen!, dachte Jessa mit einem Anflug von Befriedigung. Gleich darauf jedoch fühlte sie sich albern. Sie war siebzehn. Vielleicht sollte sie langsam mal mit diesen unreifen Spielchen aufhören.

      Aber nicht heute.

      Um Ms Hart noch ein bisschen mehr zu ärgern, schob sie die Ärmel ihres Hoodies bis zu den Ellenbogen hoch. Auf diese Weise wurden die beiden Tattoos an ihren Unterarmen sichtbar.

      Ms Hart schüttelte nur den Kopf, während sie angestrengt auf den Monitor starrte.

      »Coole Tattoos!« Die Frau auf dem Stuhl neben Jessa sprach laut, um Billie Eilish zu übertönen.

      Jessa seufzte hörbar. »Ja«, erwiderte sie einsilbig. »Cool.« Bis eben hatte sie es geschafft, die Frau zu ignorieren, die ebenfalls hier wartete, um mit Ms Trenton zu reden. Children’s Retreat, das Kinderheim, das seit Jahren Jessas Zuhause war, wurde von einer karitativen Stiftung finanziert und die Frau gehörte zum Stiftungsrat. Jessa musterte ihr karamellfarbenes Twinset, ihren schmalen Rock und die hochhackigen Pumps.

      Spießerin.

      Als die Frau reingekommen war, hatte Ms Hart sie mit Vornamen angesprochen, darum wusste Jessa, dass sie Cally hieß. Cally lächelte jetzt. Es sah sehr professionell aus. Vielleicht war sie Politikerin, dachte Jessa. Ihr wurde bewusst, dass sie sich unablässig über den linken Unterarm strich.

      Whatever our souls are made of…, stand dort. Und auf dem rechten Arm ging das Zitat weiter: … yours and mine are the same.

      Wie immer, wenn Jessa die Worte anschaute, schoss ihr ein schmerzhafter Stich durchs Herz. Was auch der Sinn gewesen war, sich dieses Tattoo stechen zu lassen. Es sollte sie erinnern. Jeden Tag.

      Und es machte seinen Job ziemlich gut.

      Cally sagte irgendwas, das Jessa nicht verstand, und weil Ms Hart schon wieder missbilligend guckte und dann demonstrativ gegen ihr Ohr tippte, zog Jessa seufzend einen der Stöpsel heraus.

      »Wie lange hast du das schon?«, wiederholte Cally ihre Frage. »Das Tattoo, meine ich.«

      Jessa überlegte, ob sie ihr irgendeine Lüge auftischen sollte.

      »Jessica!«, sagte Ms Hart mahnend, also zwang Jessa sich, eine ehrliche Antwort zu geben.

      »Seit ein paar Monaten.«

      Callys sorgfältig gezupfte Augenbrauen hoben sich erstaunt. »Wie alt warst du da? Fünfzehn?«

      »Siebzehn«, korrigierte Jessa. Genau genommen hatte sie es sich am Tag nach ihrem siebzehnten Geburtstag stechen lassen.

      »Was für ein Tätowierer macht einem siebzehnjährigen Mädchen ein Tattoo, wenn es keine Erlaubnis seiner Eltern vorlegen kann?« Völlig arglos sah Cally Jessa an und schien überhaupt nicht zu bemerken, wie unsensibel ihre Frage war.

      Na, vielen Dank!, dachte Jessa und das Lodern in ihrem Magen verzehnfachte sich. Sie lauschte in sich hinein und versuchte herauszufinden, was genau sie fühlte. Schmerz? Trauer? Keins von beidem, entschied sie. Der Autounfall, bei dem ihre Eltern gestorben waren, war viel zu lange her, als dass sie deswegen noch allzu viel Trauer spürte, und auch Alice …

      Sie kappte die Gedanken. »Es gibt in