Robin Becker

Das Kino bin ich


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       Der Autor

      Robin Becker ist 1975 in Bielefeld geboren. Seit seinem sechzehnten Lebensjahr bereist er mit Rucksack und Feder die Welt. Als gelernter Industriemechaniker zog er 1996 von Bielefeld nach Köln. Ab 2003 studierte er in Potsdam und Bielefeld Sozialpädagogik. 2008 zog er nach Bern. Während einer Reise durch Südindien schrieb er an diesem Roman. Seit 2015 wohnt Robin Becker in Köln und Berlin und arbeitet freiberuflich als Autor und Familienhelfer.

      Auf der Seite www.facebook.com/literaturpodium/ veröffentlicht Robin Becker regelmäßig Reisestorys, Shortstorys, Essays und Ausschnitte aus seinen Romanen sowie Manuskripten.

      Robin Becker

      Das Kino bin ich

      Roman

      6. Auflage (vom Autor überarbeitet) Mai 2020

      Copyright: © Dezember 2015 Robin Becker

      Umschlaggestaltung: Michael Peters, Robin Becker Umschlagfoto: Victoria Knobloch

      Impressum

      Paper: 978-3-347-07553-5

      Hard: 978-3-347-07554-2

      E-Book: 978-3-347-07555-9

      Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      E-Mailadresse des Autors: [email protected] Webseite: www.facebook.com/literaturpodium/

      Dieses

      Buch

      ist

      der

      Angst

      und

      der

      Liebe

      gewidmet

       Schreiben ist so eine Sache. Baden auch. Beides habe ich schon lange nicht mehr getan. Doch nun sitze ich betrunken in der Wanne und möchte einen Abschiedsbrief an mich selbst schreiben. Ralph meinte, wir müssen immer wieder der Vergangenheit sterben, um ein neuer und frischer Mensch sein zu können. Ich habe keine Ahnung, woher er das hat, aber die Vorstellung das Vergangene loszulassen, klingt gerade sehr verlockend. Nur leider funktioniert der verdammte Kugelschreiber nicht.

      Stadt der Bildhauer

      Im Gang gehen die hellen Lichter aus, ich schließe die Augen, bin sehr müde, weiß aber, dass ich hier im Flugzeug mit Sicherheit nicht einschlafen werde. Im Gegensatz zu den beiden Kindern und ihrer Mutter, deren Kopf an meine Schulter sackt. Ich lasse es geschehen, kann der Nähe sogar etwas abgewinnen, ihr sprödes braunes Haar, das nach Mango oder Papaya duftet, kitzelt an meinem Hals. Mir fällt auf, dass ich schon länger nicht mehr an Melek gedacht habe, mag auch jetzt nicht an sie denken, was mir aber völlig misslingt. Bei einem unserer letzten Streits hat Melek mir gesagt, sie habe noch nie einen richtigen Orgasmus gehabt. Das tat weh, wo wir so häufig miteinander gekuschelt und geschlafen haben, und sie danach immer ganz selig war.

      Ich möchte mich ein wenig strecken, doch bei dem Versuch die schlafende Mutter von meiner Schulter wegzuschieben, wacht sie auf. Zunächst ist sie irritiert. Wir kommen ins Gespräch. So erfahre ich, dass sie für zwei Wochen in Chennai in einen Ashram zu ihrem Guru möchte, bei dem sie schon öfter war. Ihre hellbraunen Augen werden feucht, als sie das sagt. Ich nehme mir aus Verlegenheit die Werbezeitschrift zur Hand, ärgere mich, dass ich den Roman nicht ins Handgepäck gepackt habe.

      „Warst du schon einmal in Indien?“, sagt sie.

      „Nein.“

      „Und was zieht dich dahin?“

      Ich sage ihr nicht, dass ich auf der Suche nach meiner ehemaligen Freundin bin, die ich in Mamallapuram vermute. Stattdessen sage ich: „Gute Frage.“

      Sie kramt aus ihrer Tasche eine Packung Bio-Kekse und bietet mir einen an, den ich dankend ablehne. Ich entschuldige mich, muss zur Toilette, frage sie, ob ich ihr etwas zu trinken mitbringen solle, vielleicht einen Tee?

      „Ja, gerne … einen Kamillentee und Wasser.“

      Als ich mich mit meiner Cola, ihrem Tee und Wasser wieder zu ihr setze, schaut sie gerade nach ihren Kindern, die immer noch schlafen. Wir schweigen einige Minuten. Draußen wird es allmählich hell, vereinzelte Sonnenstrahlen funkeln durch den Flieger.

      „Hast du von den Vorfällen in Indien gehört?“, sagt sie.

      „Was für Vorfälle?“

      „Die indischen Frauen sind im Moment sehr erbost, weil eine Studentin in einem Bus von mehreren Typen vergewaltigt wurde … Über eine halbe Stunde ging das. Und niemand hat der Frau geholfen. Der Freund der Studentin lag mit einer Eisenstange halb erschlagen in der Ecke und musste zuschauen.“

      „Puh. Harte Nummer.“

      „Die Frauen fordern jetzt mehr Rechte und Schutz. Das Problem ist unter anderem die Aussteuer, Mädchen kosten zu viel, die Familien bekommen sie nur schwer verheiratet … Ich hätte beinah den Flug storniert. Aber eine Freundin meinte, da könne ich im Prinzip nirgends mehr hin.“

      „Da hat sie recht.“

      „Angeblich ignorierte die Polizei diesen Vorfall vorerst. Die schreitet meistens erst ein, wenn sie bestochen wird.“

      „Hmm.“

      Sie schaut nach ihrer Tochter, die aufgewacht ist. Ich schließe die Augen. Nicht lange, da wird schon die Landung angekündigt.

      ***

      Ich helfe der Mutter, deren Namen ich noch immer nicht weiß, trage zwei Taschen voll Kinderzeug und meinen eigenen Rucksack aus dem Flugzeug. Sie humpelt, meint, das Knie tue ihr seit Düsseldorf weh. Sie trägt den Jungen auf dem linken Arm und hält ihre Tochter an der Hand. Die beiden Kinder sind erstaunlich still, glauben wohl, sie träumen noch, der Schnuller und der Daumen wirken Wunder. Ein Blick auf meine Armbanduhr verrät mir, dass ich viereinhalb Stunden hinter der indischen Zeit zurückhänge. Wir sind also der Sonne entgegengeflogen, das macht Sinn, schließlich liegt Indien südöstlich von Deutschland. Es ist also nicht mehr Viertel vor sieben, sondern Viertel nach elf.

      Ein Mann mit Oberlippenbart und Handfunkgerät in der Hemdtasche tritt an uns heran, sagt kein Wort, bedeutet mir lediglich, ihm zu folgen. Einem Gespräch weicht er aus, er macht Handzeichen, hat es eilig, vielleicht ein Zollbeamter. Wir gehen zur Gepäckausgabe. Der Mann zieht unser Gepäck vom Band, stapelt es auf einen Rollwagen, fährt ihn zur Passkontrolle an den Wartenden vorbei, füllt für uns die Einreisepapiere aus, winkt uns durch. Als er von mir Geld will, schüttelt die Mutter den Kopf und meint, der würde hier arbeiten. Ich habe eh nur Euro, fällt mir ein. Der hilfsbereite Mann trabt davon. Das Mädchen möchte geschoben werden. Ich setze sie oben auf das Gepäck, sage ihr, sie solle sich gut festhalten. Zunächst guckt ihr kleiner Bruder skeptisch, dann will auch er auf den Rennwagen.

      Wir brauchen beide Geld, schauen uns nach einem Bankautomaten um, aber es gibt keinen, nur eine Geldwechselstube von Thomas Cook.

      „Der Kurs ist super schlecht“, sagt sie, „für hundert Euro müssten wir eigentlich mindestens siebentausend Rupien bekommen, nicht sechstausend.“

      „Ohne Geld ist auch keine Lösung“, sage ich, und wechsle.

      Vor dem Flughafen wird sie erwartet. Ein Mann mit Vornamen Martin aus dem Ashram winkt ihr über das Absperrgitter hinweg. Er ist groß, überragt alle um sich herum wie eine Statue.

      „So, ihr beiden Abenteurer, ich bräuchte jetzt