Hanna Syriah

Trittsteine


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       Hanna Syriah

       Trittsteine

       Gedichte

      © 2020 Gedichte: Hanna Syriah

      © 2020 Aufnahmen:

      Gudrun Paysen

      Lüder Paysen

      Felicia Eisel-Holub (S. 52):

      Wandteppich

      Verlag & Druck:

      tredition GmbH,

      Halenreie 40-44,

      22359 Hamburg

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

      EINE SCHALE TEE AM MORGEN

      Jeden Morgen

      Das Schwert umgürtet

      Trittst du hinaus in den Garten

      Dort unten im Teehaus jenseits der roten Brücke

      Alles überschreitend

      Den Kies, die Trittsteine, den Stechginster

      Das Schwert abgelegt

      Nimmst Du die Schale Tee

      Vom Meister unter vielen Verbeugungen

      Traumlos

      Ziehst du dann in die Schlacht.

      FERN VON ALLEM

      Ein niedriges Holztor

      Du ziehst den Kopf ein und schlüpfst hindurch

      Es weitet sich der Blick

      Die roten Ahornblätter wie Mahnmale aus dem Reich der Toten

      Rubine, die dich ins Erdinnere führen

      Der geharkte Kies jenseits der Balustrade

      Das Urmeer, in dem deine und meine Adern geboren wurden

      Unbeweglich

      Zwei Kegel ragen auf

      Taikai - großer See

      Kein Laut

      Doch jetzt ein leises Geräusch – sieh nur

      Ein Vogel lässt sich auf dem Bodhi-Baum hinter den Kegeln nieder.

      Er singt.

      Und die Trittsteine geben den Klang seiner Weisen wider.

      DAS TOR NACH DRAUßEN

      Im Morgengrauen betritt der Abt den Garten.

      Heute will er Hand anlegen lassen an all den Bäumen,

      die anfangen, wild zu wuchern.

      Er erwartet die Gärtner.

      Weshalb er im hinteren Teil an der Mauer, die das Kloster umschließt, das niedere Holztor öffnet.

      Er muss sich dabei etwas bücken.

      So passiert es, dass er an einen kleinen Kiefernast stößt,

      der neben dem Tor wächst.

      Verharschter Schnee rieselt herab.

      Er streckt die Hand danach aus und möchte ihn auffangen.

      Doch zu spät - seine Hand bleibt leer.

      Da lacht er schallend

      Und hebt den Schlüssel auf, der ihm aus der Hand

      gefallen war.

      MOOS

      Hoch oben hinterm Nebel im Tempel

      Wird die Cymbel geschlagen

      Ein heller Ton erklingt.

      Er rollt den Berg hinunter dir vor die Füße

      Du hebst ihn auf.

      Deine Brust, ein- ausatmend, umschließt ihn.

      Du zündest die Kerze an

      Und denkst an das blaue Band hoch droben in den Lüften.

      Die Fülle, dich selbst, den Jasmin, alle Düfte, die Töne,

      das strömende Leben willst du für immer erleben

      Alles soll immer da sein!

      Ohne Vergehen ohne Vergänglichkeit

      Doch der Ton verklingt

      Denn hoch droben im Tempel schließt der Mönch das Fenster

      Er legt die Cymbel zurück in ihr mit Samt ausgeschlagenen Kästchen

      Er kniet nieder und beugt den Kopf tief.

      Was ist jetzt zwischen uns?

      WABISABI

      Heute gehen die Toten ihre eigenen Wege.

      Sonst gehen sie immer ein und aus durch dein Herz hindurch.

      Auch der Wind kümmerte sich nicht darum, dass du einen festen Leib hast.

      Er wehte einfach durch ihn hindurch

      Und du hattest den Mut, es geschehen zu lassen.

      So gingen alle ein und aus in dir, deine Mutter, dein Vater.

      Das Toriji warst du jetzt, die Verbindung von Drinnen und Draußen, auch in die jenseitige Welt.

      Rot mit Doppelbalken – du.

      Denn es weht der Wind nicht nur von Osten

      Auch der Nordwind nahm dich mit in den Süden zu den Lebensbäumen, die die Toten bewachen.

      Er nahm dich mit zu den Friedfertigen, die ihre Schürzen in die Küchen hängen und die Töpfe spülen, denn gegessen wird immer!

      Und dort bei den Ungetrösteten, die über all die Toten klagen, die beileibe nicht mehr auferstehen werden, dort schlugst du deine Wohnstatt auf.

      Wie soll es jetzt noch ein Erwachen geben?

      Wie sollen die Toten alle noch gehört werden, die einst ihre Häuser bewohnten und vor uns die dunklen Meere bevölkerten?

      Einige Schriften werden bleiben, einige Gedanken vielleicht, wenn wir verschwunden sind von dieser Erde,

      aber ansonsten bleibt nur eine papierdünne Schicht von unserer Zivilisation in den Sedimenten zurück.

      Wie leicht kann der Wind diese zerbröseln.

      Aber denke nach - ist es nicht vielmehr der Wind, der durch uns hindurchweht,

      der All-Wind,

      der alle Körnchen durcheinander wirbelt und alles immer wieder von vorne anfangen lässt?

      Er allein nötigt uns doch die Tränen des Glücks ab.

      Seligkeit des Lebens und Schmerz des Lebens liegen ganz dicht beieinander.