Carl Wilckens

Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild


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      Wilckens, Carl: Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Hamburg, acabus Verlag 2020

      Originalausgabe

      ePub-eBook: ISBN 978-3-86282-728-2

      Print: ISBN 978-3-86282-783-1

      Cover: © Annelie Lamers, acabus Verlag

      Covermotive: texture-954897_1920, www.pixabay.com

      Karte: © Carl Wilckens

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      Der acabus Verlag ist ein Imprint der Bedey Media GmbH,

      Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

      _______________________________

      © acabus Verlag, Hamburg 2020

      Alle Rechte vorbehalten.

      http://www.acabus-verlag.de

      Inhalt

       Cover

       Impressum

       Band 1 – Das Tagebuch

       Band 2 – Die Anstalt

       Band 3 – Das Spiegelbild

       Danksagung

       Der Autor

      Carl Wilckens

      13

      Das Tagebuch

      Band 1

      Für Jonah,

      weil er wie 13 das Erste von vielen ist.

       Kohle und Stahl

      Es regnete. Dieser Tage tat es das oft. Rußgeschwärzte Tropfen lösten sich aus der Wolkenschicht. Donnergrollen rollte von einem Ende des Horizonts zum anderen, gefolgt von zuckendem Wetterleuchten. Neben dem Rauschen des Regens und dem fernen Gewitter war das Surren der Förderbrücken zu hören. Unablässig hoben sie Kohle aus den Minen der Stonefort Colliery. Die schwarzen Brocken wurden in Hunte verladen und auf Schienen direkt zu den Hüttenwerken gebracht. Zahllose Schornsteine ragten aus einem Meer von Fabrikgebäuden. Bäume mit schwarzen Rauchwolken als Krone, die in den Himmel emporstiegen, höher und höher, bis sie sich mit der finsteren Wolkenschicht vereinten. Zwischen den geschwärzten Steinwänden dieser Industrielandschaft kämpften dutzende Gasleuchten gegen die Finsternis an. In ihrem flackernden Schein gingen Gestalten. Menschen, die sich im Gleichtakt der Maschinen bewegten.

      Frieden lag über diesem Ort wie eine weiche Decke. Der Frieden einer todgeweihten Welt. Einer Welt, die dafür gekämpft hatte, unterzugehen.

      Die Stille wurde jäh unterbrochen.

      Eine Dampflokomotive nahte. Blockierte Räder schrammten über stählerne Schienen und verwandelten die Energie der bewegten Masse tausender Tonnen Kohle und Stahl in glühende Hitze. Scheinwerfer tauchten in der Ferne auf. Drei Augen, die Dunkelheit und Regen kaum zu durchdringen vermochten. Jeder Wagon war groß wie ein kleines Haus. Die Lokomotive ein gewaltiger stählerner Kessel. Schornsteine spien Unmengen schwarzen Rauchs in den Himmel. Dampfwolken flankierten die Lokomotive.

      Das Gefährt fuhr in das Industriegebiet ein, wobei es unzählige Wagons aus der Dunkelheit nachzog. Jeder war bis zum Rand mit Kohle gefüllt bis auf den letzten. Die Lokomotive kam kreischend zum Stehen. Die Schiebetür des hintersten Wagons wurde von Innen geöffnet. Vier bewaffnete Männer mit Atemmasken stiegen in Begleitung eines Gefangenen aus. Zwei gingen voraus, zwei richteten die Spitzen ihrer Bajonette auf den Mann in Ketten. Sie führten ihn zu einem quaderförmigen Gebäude mit unzähligen Fenstern.

      Es handelte sich um Blackworth, eine ehemalige Fabrik, die zu einem Gefängnis umfunktioniert worden war. Hier saßen Bergbauer ein, die es gewagt hatten, sich gegen die Dynastie des alteingesessenen Bergmannsadels aufzulehnen. Menschen, die die Frechheit besessen hatten, als solche behandelt werden zu wollen.

      Die Gruppe passierte eine der Gasleuchten. Schummriges Licht erhellte das Gesicht des Gefangenen. Ein junges Gesicht mit dreierlei Arten von Narben. Da waren solche, wie man sie nach Kämpfen davonträgt. Das Regenwasser floss von der Stirn durch eine Kerbe in der Augenbraue, folgte dem Verlauf zweier paralleler Schrammen und gelangte durch eine weitere Kerbe in seiner Unterlippe zum Kinn.

      Die zweite Art Narbe war nicht unmittelbar sichtbar. Sie kam zum Vorschein, wenn nichts die Vergangenheit zurückdrängte. Dann wurden die Augen des Gefangenen dunkel, der Blick müde. Es waren Schrammen auf seiner Erinnerung.

      Die letzte und tiefste Narbe war unsichtbar. Man konnte sie nur erahnen, wenn man das Gesicht des Gefangenen als Ganzes betrachtete. Den Ausdruck der Leere, den gesenkten Blick und die Schatten in seinen Augen. Die tiefste Narbe schloss seine Haltung, ja sein ganzes Wesen ein. Er ließ die Schultern hängen und den Gang schlurfen. Und hätte er gesprochen, hätte der Rost auf seinen Stimmbändern jedes Wort zerkratzt.

      Das Haar des Gefangenen war kurz geschoren, kürzer noch als sein stoppeliger Bart. Er war mager. Athletisch, ja, aber ohne ein einziges Gramm Fett. Deutlich zeichnete sich die Muskulatur seines Nackens, seiner Arme, seines ganzen Körpers unter seiner straff gespannten Haut ab. Hunger war einer seiner ältesten Freunde. Angst sein meist verachteter Feind. Er war ein Mörder, gewissenlos, wenn es sein musste. Ein Überlebenskünstler, der nie zögerte. Eine ruhelose Seele am Ende ihrer Suche.

      Sein Name war Godric End.

      Leiser Gesang schwebte im Zellenblock 13. Die Worte, gesungen in einer fremden Sprache, tauchten hinaus in die Fluten des rauschenden Regens und der surrenden Förderbänder. Dann und wann wurden sie vom fernen Donner überrollt. Die an trockenen Tagen ruß- und staubgeschwängerte Luft zog kühl und verhältnismäßig klar durch die vergitterten Fensteröffnungen. Die meisten Insassen schliefen oder lauschten stillschweigend dem Gesang, als die Tür des Zellenblocks geöffnet und Godric End hereingeführt wurde.

      Der Gesang verstummte.

      Die Wärter führten End bis zur letzten Zelle auf der rechten Seite des Blocks. Viele Insassen hoben den Blick, als er vorbeigeführt wurde. Keiner erkannte den Gefangenen. End wurde grob in die Zelle und die Tür hinter ihm ins Schloss geworfen. Die Wärter verließen den Zellenblock. Einige Sekunden lang färbte nur das Rauschen des Regens und das Surren der Förderbänder die Stille.

      „Hallo Genosse“, sagte schließlich der Mann in der Zelle gegenüber. Es war derselbe, der zuvor gesungen hatte. „Du siehst nicht aus wie ein Mann unseres Schlags. Woher kommst du?“

      End schwieg. Er hatte sich auf dem Boden der Zelle niedergelassen und starrte mit leerem Blick auf seine Füße.

      „Wieso haben sie dich eingelocht?“, bohrte der Sänger nach. „Hierher stecken sie eigentlich nur politische Häftlinge. Du hingegen siehst eher aus wie ein Landstreicher. Ein Tunichtgut. Ein Dieb. Oder Schlimmeres.“