Timothy Keller

Berufung


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gereinigt, wiederhergestellt und erneuert werden wird. Keine andere Religion hat eine Zukunftsvision, in der Materie und Geist auf ewig miteinander verbunden sein werden. Und so sind für den Christen Vögel, die fliegen, Ozeane, die brausen, und Menschen, die essen, laufen und lieben, etwas Gutes – jetzt und für immer.

      Daraus folgt, wie wir gesehen haben, dass Christen Arbeit, die uns in engen Kontakt mit der materiellen Welt bringt, nicht verachten dürfen. Das Pflegen dieser materiellen Welt (und wenn es das Rasenmähen ist) hat einen Wert. Das heißt weiter, dass „säkulare“ Arbeiten nicht weniger wertvoll und edel sind als die „geistliche“ Arbeit des Berufschristen. Wir sind beides: Körper und Seele, und zum biblischen Schalom gehört das Wohlergehen des Körpers genauso wie das der Seele. Es geht um „Speise, die satt macht, Dächer, die den Regen abhalten, Schatten, der vor der Sonnenhitze schützt“, um „die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse und Wünsche von Männern und Frauen … Wo Firmen physische Dinge produzieren, die das Wohl der Gesellschaft vermehren, tun diese Firmen eine Arbeit, die bei Gott zählt.“48

      In Psalm 65,10-11 und 104,30 kultiviert Gott den Erdboden durch den Regen, den er schickt, und macht durch seinen Geist „neu die Gestalt der Erde“ (LU). In Johannes 16,8-11 dagegen öffnet der Heilige Geist die Augen der Menschen für ihre Sünde und Gottes Gericht – die typische Arbeit eines Pastors oder Predigers. Der gleiche Geist Gottes tritt als Gärtner und als Prediger in Aktion! Beides ist Gottes Werk. Wie können wir da sagen, dass das eine hoch und edel ist und das andere niedrig und würdelos?

      Wir haben ein exzellentes Fundament für das Verständnis unserer Arbeit, wenn wir begriffen haben, dass die Schöpfung gut ist und daher Arbeit Würde hat. Wir arbeiten in einer wunderbaren Welt, die mindestens zum Teil dafür da ist, dass wir uns an ihr freuen. Der Verfasser des Schöpfungsberichtes fordert uns auf, mit Ehrfurcht und Staunen vor dem Reichtum der Schöpfung zu stehen, die von Leben nur so wimmelt. Gott ist ganz offensichtlich ein großer Freund von Vielfalt und Kreativität. Andere Bibelstellen sagen uns, dass Gottes Schöpfungshandeln aus der schieren Freude am Erschaffen entspringt (vgl. Sprüche 8,27-31). Auch dies gehört zu Gottes Plan für unsere Arbeit dazu, und so wäre unser Arbeiten heute noch, wäre nicht der Sündenfall dazwischengekommen, der alles beeinträchtigt hat, einschließlich unserer Arbeit.

      Gott hat uns erschaffen zur Arbeit und für die Würde, die sie uns als Menschen gibt (egal, mit welchem Status und welcher Bezahlung dies verbunden ist). Dieses Prinzip hat weitreichende Folgen für unser Leben. Wir haben die Freiheit, Arbeit zu suchen, die unseren Gaben und Leidenschaften entspricht. Wir können für andere Tätigkeiten offen sein, wenn die Wirtschaft kriselt und der Arbeitsmarkt schwächelt. Wir haben keinen Grund mehr, herabzuschauen auf andere oder uns als etwas „Besseres“ zu fühlen – und auch nicht, neidisch zu sein oder uns minderwertig zu fühlen. Und jeder Christ sollte fähig sein, mit ehrlicher Überzeugung und Befriedigung zu sagen, auf welche Weise er mit seiner Arbeit an Gottes schöpferischer Kreativität und der Kultivierung der Erde teilnimmt. Aber dazu müssen wir uns dem biblischen Verständnis von Kultur zuwenden.

      Kapitel 3

      Arbeit und Kultur

       Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“ (1. Mose 1,28 LU)

       Dann legte Gott, der Herr, einen Garten im Osten an, in der Landschaft Eden, und brachte den Menschen, den er geformt hatte, dorthin. Viele verschiedene Bäume ließ er im Garten wachsen. Sie sahen prachtvoll aus und trugen köstliche Früchte … Gott, der Herr, setzte den Menschen in den Garten von Eden. Er gab ihm die Aufgabe, den Garten zu bearbeiten und zu schützen. Dann schärfte er ihm ein: „Von allen Bäumen im Garten darfst du essen, nur nicht von dem Baum, der dich Gut und Böse erkennen lässt. Sobald du davon isst, musst du sterben!“ Gott, der Herr, dachte sich: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein lebt. Er soll eine Gefährtin bekommen, die zu ihm passt!“ Er formte aus dem Erdboden die Landtiere und die Vögel und brachte sie zu dem Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde. Genauso sollten sie dann heißen. Der Mensch betrachtete die Tiere und benannte sie. Für sich selbst aber fand er niemanden, mit dem er leben konnte und der zu ihm passte. Da ließ Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf über ihn kommen, entnahm ihm eine Rippe und verschloss die Stelle wieder mit Fleisch. Aus der Rippe formte er eine Frau und brachte sie zu dem Menschen. (1. Mose 2,8-9.15-22)

      „Füllt die Erde und macht sie euch untertan“

      Wir sind als arbeitende Wesen geschaffen, und diese Aufgabe gibt uns unsere Würde. Sie ist auch eine Methode, Gott durch Kreativität zu dienen, vor allem, indem wir Kultur schaffen.

      Gott setzte die Menschen in einen Garten. Der Alttestamentler Derek Kidner führt aus, dass unter den Freuden in diesem Garten die Arbeit eine der größten war. „Das irdische Paradies … ist ein Modell der elterlichen Fürsorge. Der junge Mensch wird behütet, aber nicht erdrückt: Von allen Seiten erwarten ihn Entdeckungen und Begegnungen, die seinen Verstand und seine Entscheidungsfähigkeit schärfen, und es gibt reichlich Nahrung für seinen ästhetischen, physischen und geistlichen Hunger, ja, vor ihm liegt ein Menschenwerk an Arbeit für Körper und Geist (V. 15.19).“49 Für unser geistliches Wachstum gab es ein Wort Gottes, dem es zu gehorchen galt (V. 16-17). Für unsere kulturelle und schöpferische Entwicklung gab es die körperliche Arbeit der Sorge für den Garten (V. 15), und Geist und Erkenntnis wurden durch das Benennen der Tiere (V. 19) geschult. Und schließlich legt Gott mit der Erschaffung Evas und der Stiftung der Ehe den Grund für die Herausbildung einer ganzen Gesellschaft (V. 19-24). Und all dies war eine Präzisierung der allgemeinen „Arbeitsanweisung“ in 1. Mose 1,28-29: „Füllt die Erde und macht sie auch untertan.“ Man hat dieses Gebot Gottes auch das „Kulturmandat“ genannt. Was bedeutet das?

      Erstens sollen wir die Erde „füllen“, also uns vermehren. Während das Vermehren auch für die Pflanzen und Tiere gilt (vgl. 1. Mose 1,11.20.22.24), erhalten die Menschen nicht nur ausdrücklich den Befehl zum aktiven Sichvermehren (V. 28a), sondern danach einen detaillierten Arbeitsauftrag (V. 28b-29). Mit anderen Worten: Nur für die Menschen ist das Sichvermehren ein Auftrag, der ganz bewusst erfüllt werden will. Aber warum ein Auftrag? Ist Fortpflanzung nicht etwas ganz Natürliches, das quasi von alleine geht? Nicht ganz. Wenn die Menschen „die Erde füllen“, ist dies etwas anderes, als wenn die Pflanzen und Tiere dies tun. Es bedeutet nicht nur Fortpflanzung, sondern auch Kultur. Gott will nicht bloß mehr Individuen der menschlichen Spezies haben, er möchte eine menschliche Gesellschaft. Er hätte mit einem Wort auf der Stelle Millionen von Menschen in Tausenden von Siedlungen erschaffen können, aber das tat er nicht, sondern er erklärte den Bau dieser Gesellschaft zu unserer Sache.

      Zweitens ruft Gott uns auf, über den Rest der Schöpfung zu „herrschen“, ja sie uns „untertan“ zu machen. Was bedeutet das? Der Ausdruck „untertan machen“(andere Übersetzungen: „in Besitz nehmen“, „unterwerfen“) könnte zu dem Schluss verleiten, dass die Naturkräfte Feinde sind, die es zu besiegen gilt. Manche Ausleger sehen in diesem Text eine Lizenz zur rücksichtlosen Ausbeutung der Natur, aber das sagt der Text nicht.50 Man bedenke, dass dieses Mandat dem Menschen vor dem Sündenfall gegeben wird, also bevor die Natur der Vergänglichkeit unterworfen wurde (Römer 8,17-27) und neben Früchten auch Dornen trug (1. Mose 3,17-19). Es besteht noch eine Ur-Harmonie in der Schöpfung, die nach dem Sündenfall so nicht mehr existiert. Wenn der Mensch sich die Erde „untertan machen“ soll, dann hat das nichts „Gewalttätiges“ an sich, sondern wenn er als Gottes Ebenbild über die Erde herrscht, übt er das Amt eines Verwalters oder Treuhänders aus. Der Eigentümer der Welt ist Gott, aber er hat sie uns anvertraut, um sie zu pflegen und zu kultivieren. Es handelt sich definitiv nicht um ein Mandat, die Welt und ihre Ressourcen als unser persönliches Eigentum zu betrachten und nach Belieben zu nutzen, auszubeuten und wegzuwerfen.

      Doch das mit „untertan machen“ übersetzte hebräische Wort ist ein starkes Wort,