Friederike von Buchner

Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman


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Briefen vom Willi Bernreither geschenkt hast, Alois«, stieß Basti hervor.

      Er rannte in sein Zimmer. Seine kleine Schwester Franzi folgte ihm.

      »Grüß Gott!« sagte Pfarrer Zandler atemlos. »Mei, haben die Kinder ein Tempo vorgelegt!«

      Der Geistliche schüttelte Toni, Anna und dem alten Alois die Hand. Bürgermeister Fellbacher war nicht ganz so atemlos, aber auch etwas abgekämpft. Toni und Anna boten den beiden sofort an, sich zu setzen. Gemeinsam betraten sie die Berghütte. Die wenigen Hüttengäste saßen auf der Terrasse in der Sonne. Im Wirtsraum der Berghütte war niemand. Toni brachte einen Krug mit kaltem Quellwasser. Fritz Fellbacher und Pfarrer Zandler tranken gleich zwei Gläser. Dann fühlten sie sich besser.

      Franzi und Basti kamen. Basti legte sein Briefmarkenalbum auf den Tisch. Er schlug eine bestimmte Seite auf.

      »Hier! Das sind die Briefmarken!« verkündete Basti stolz.

      Die Männer schauten sich die Marken an. Sie zeigten einen Frauenkopf im Profil. Die Schrift am Rand war nicht mehr zu lesen. Die Briefmarken waren alt, vergilbt und sehr verblaßt.

      »Des könnte des Profil der englischen Königin sein!« bemerkte der Geistliche. »Aber viele Staaten, die zum Empire gehören, haben solche Marken.«

      »Hast du die Briefe noch, Alois?«

      Wortlos stand der alte Alois auf und schlurfte in seine Kammer. Es war kein guter Tag für ihn. Er hatte Reißen in den Knochen, wie er sich ausdrückte. Die Beine und besonders die Knie schmerzten. Nach einer Weile kam er mit einigen Briefen zurück. Er legte sie vor dem Pfarrer auf den Tisch.

      »Mehr habe ich net! Der Willi war kein großer Briefschreiber und ich bin des auch net gewesen. Irgendwann ist dann keine Post mehr gekommen.«

      Pfarrer Zandler und Fritz Fellbacher besahen sich die Briefe. Mit Alois Erlaubnis durften sie sie lesen.

      Es waren nur fünf kurze Schreiben. Im ersten Brief stand, daß Willi eine Arbeit auf einer Viehfarm in Australien gefunden hatte. Er beschrieb seine Arbeit in dem weiten, weiten Land ohne Berge. Heimweh nach den Bergen stand unsichtbar zwischen den Zeilen geschrieben.

      »Was muß er gelitten haben!« sagte Pfarrer Zandler leise. »So allein in einem fremden Land ohne Berge. Es gibt dort auch Berge, aber nicht in der Gegend, in der Willi damals lebte.«

      Im nächsten Brief stand, daß er unter die Edelsteinsucher gegangen war. Das war auch ein hartes Leben in der Wüste von Australien. Offensichtlich war Willi bei der Suche erfolgreich gewesen. Denn im nächsten Brief schrieb er, er wollte selbst Land kaufen und Farmer werden. Er wollte ein Haus bauen, das wie der Bernreither Hof aussehen sollte.

      »Eine zweite Heimat! Eine Ersatzheimat!« flüsterte Fritz Fellbacher leise.

      Dann vergingen Jahre, bis Alois wieder Post bekam. Darin schrieb Willi, er sei verheiratet und habe eine Tochter, ein liebes Madl. Das Kind hieß Mary, das sei Englisch und bedeutete Maria.

      Bis zum nächsten Brief vergingen über zwanzig Jahre. Dann schrieb Willi, daß Mary geheiratet habe und Mutter eines Sohnes sei, der Kilian heißt.

      »Ja, des war der letzte Brief!« sagte Alois mit Traurigkeit in der Stimme. »Des ist jetzt schon lange her, mehr als zwanzig Jahre.«

      Auf allen Briefen standen weder Absender noch Adresse. Der einzige Hinweis war der Ort und das Datum auf dem letzten Brief. Darin schrieb er auch, daß seine Mary einen Burschen mit Namen Bill Morgan geheiratet hatte, einen großen, stämmigen hellblonden Burschen, der wie ein Bergler aussah und die Berge auch so liebte wie er.

      »Basti, hast du einen gute Atlas?«

      »Der Toni hat einen ganz guten! Der ist im Wohnzimmer. Den darf ich net mit in die Schule nehmen«, schmollte Basti.

      »Mei, Basti! Der ist doch viel zu schwer und so groß, daß er net in deinen Schulranzen geht! Lauf und hole ihn.«

      Das ließ sich Sebastian nicht zweimal sagen.

      Sie suchten den Ort des letzten Briefes im Verzeichnis und schlugen die Seite auf.

      »Des ist aber net Australien, des ist Neuseeland!« sagte Fritz Fellbacher überrascht.

      »So, Neuseeland!« wiederholte Alois. »Doch, doch! Des könnte passen! Der Willi, der hat oft von Neuseeland gesprochen schon als junger Bub. Warum? Des weiß ich nimmer. Vielleicht hat er in Australien des Geld verdient, um sich dann in Neuseeland niederzulassen.«

      Sebastian hing mit der Nase fast auf dem Papier. Er sah sich die Karte genau an.

      »Mei! Schaut! Ist des lustig! Die Berge da! Da steht: Neuseeländische Alpen!«

      »Des war es! Diese ›Neuseeländischen Alpen‹, davon hat der Willi geredet. Da wollte er später immer mal hin und sehen, ob die Berge dort genauso sind, wie bei uns hier.«

      »Naa, die sind net so!« sagte Sebastian laut und deutlich. »Die sind net so hoch! Und so viele Berge wie hier in den Alpen gibt es auch net.«

      Toni stand auf und holte die Flasche mit dem Obstler. Er schenkte ein. Sie tranken.

      »Danke, Alois! Des bringt uns ein ganzes Stück weiter, hoffe ich!« sagte der Pfarrer.

      »Ja, des stimmt!«

      Bürgermeister Fritz Fellbacher faßte zusammen. Willis letzter Brief kam aus Neuseeland. Dort lebte er wohl in den Bergen. Er hatte geheiratet. Seine Tochter Maria, auf Englisch »Mary«, war mit einem Bill Morgan verheiratet und ihr erstes Kind war ein Bub mit Namen Kilian.

      »Jetzt muß sich etwas machen lassen!« bemerke der Bürgermeister Fellbacher.

      »Ihr müßt im Telefonbuch suchen. Im Internet steht vielleicht auch etwas drin. Leider haben wir hier keinen Computer und kein Internet«, bedauerte Sebastian, der bei seinem Freund, dem Sohn des Försters, oft vor dem Computer saß.

      »Des ist eben so auf einer Berghütte, Basti!« sagte Toni. »Dafür hast du hier andere Vorteile.«

      Bürgermeister Fritz Fellbacher machte sich Notizen.

      »Ja, dann sollten wir uns wieder runter ins Tal schaffen, Heiner!«

      Der Bürgermeister schaute auf die Uhr.

      »Vielleicht gelingt es uns heute noch, die Telefonnummer herauszubekommen. Dann könnten wir gleich anrufen.«

      »Des wird eine Überraschung sein für den Willi, wenn er noch lebt«, sagte der alte Alois. »Seid vorsichtig! Net, daß der Willi einen Herzkasper bekommt. Sagt ihm auf alle Fälle einen schönen Gruß von mir!«

      Sebastian lachte.

      »Also, des ist schon gut möglich, daß die da drunten einen Schock bekommen, wenn mitten in der Nacht das Telefon läutet und sie aus dem Schlaf geholt werden. Dort ist es Nacht, wenn es bei uns Tag ist!«

      »Mei, was bist du ein schlauer Bursche, Basti! An die Zeitverschiebung hat niemand von uns gedacht. Wie groß ist der Zeitunterschied?« fragte Toni.

      »Des kannst auf der Karte ablesen!«

      Sebastian blätterte eifrig in dem großen Weltatlas. Er schlug die Karte mit den Zeitzonen auf.

      »Hier! Da kannst des sehen. Bei denen ist es jetzt schon Nacht. Die schlafen alle! Wenn hier die Sonne aufgeht, dann haben die dort den Tag schon hinter sich. Wenn hier Nacht ist, ist dort schon wieder der neue Tag angebrochen.«

      »Na, da haben wir genügend Zeit, eine Telefonnummer herauszubekommen, wenn es eine gibt. Wir warten eben bis Mitternacht und rufen dann an, Heiner! Was meinst du?«

      »Ja, außerdem kommt es jetzt auf einige Stunden nicht an. Wir müssen auch genau überlegen, wie wir vorgehen, was wir sagen und wie wir es sagen, Fritz! Der Himmel stehe uns bei und beschütze den Willi, wenn er noch lebt. Wie wird er es nach all den Jahren aufnehmen, etwas aus seiner alten Heimat zu hören?« sagte Pfarrer Zandler ernst.

      Sie standen auf. Für den Weg hinunter nach