du gehörst zu den Tageswanderern da drüben.«
»Nein, danke! Tut mir leid, daß bei Ihnen dieser Eindruck entstanden ist. Wir sind nur zufällig auf dem Bergpfad hier herauf zusammengetroffen. Ich bin auch keine Tagesausflüglerin. Ich bleibe länger in den Bergen. Haben Sie eine freie Kammer, eine Einzelkammer?«
Toni rieb sich das Kinn.
»Des wird schwierig werden. Aber ich spreche mal mit meiner Anna. Da wird sich bestimmt was machen lassen. Was willst trinken? Einen Tee? Ein Glas schöne frische Milch? Klares Bergwasser?«
»Gibt es auch Kaffee? Einen richtig starken Kaffee mit viel Milch und Zucker, können Sie mir den bringen?«
»Des kann ich gern! Aber des mit dem ›Sie‹, des kannst lassen. Ich bin der Toni, der Hüttenwirt hier. Dann gibt es noch die Anna, des ist meine Frau. Dort drüben am Tisch, des ist der alte Alois. Dem hat früher die Berghütte gehört. Wir sind hier eine richtige Familie. In den Bergen sagt man unter Bergkameraden immer ›Du‹.«
Toni konnte ihren erstaunten Blick hinter der Sonnenbrille nur ahnen. Ein Lächeln umspielte ihren Mund.
»Gut! Wenn das hier in den Bergen so ist, dann ist es so. Dann bin ich die Tina!«
»Gut, Tina! Du bekommst einen starken Kaffee von mir!«
Toni ging hinein. Er sprach mit Anna. Sie fand eine Lösung, daß für Tina ein Kammer frei wurde.
»So, Tina, hier ist dein Kaffee! Und eine Kammer haben wir für dich auch. Wie lange willst du denn bleiben?«
Tina seufzte.
»Ich hatte vor, hier meinen Jahresurlaub zu verbringen. Ich gestehe, ich bin zum ersten Mal in den Bergen. Ich wollte vier Wochen bleiben. Doch in meinem Leben hat sich etwas geändert. Deshalb bleibe ich nur zwei Wochen. Ganz entschieden habe ich mich noch nicht.«
Tina nahm die Sonnenbrille ab. Toni sah in zwei schöne braune Augen. Doch der Blick war nicht glücklich, sondern traurig.
»Ich sage dir aber rechtzeitig, wie lange ich bleibe. Ich muß eine Entscheidung treffen. Doch das werde ich heute bestimmt noch nicht. Dazu bin ich viel zu müde. Ich habe heute nacht kaum geschlafen und dann noch der Aufstieg.«
»Es eilt net! Der Kaffee, der muntert dich ein bissel auf! Magst net auch was essen?«
Tina schüttelte den Kopf.
»Danke! Aber ich bekomme keinen Bissen herunter.«
Sie nippte an dem Kaffee.
»Schmeckt gut!«
Langsam trank sie schluckweise die Tasse aus. Toni sah ihr dabei zu.
»Magst noch einen Kaffee?«
Sie nickte und setzte ihre Sonnenbrille wieder auf.
Toni holte Tina einen zweiten Becher Kaffee.
»Wir haben die Kammer unten freigemacht! Soll ich dir schon mal deinen Rucksack hineinbringen?« fragte Toni.
»Danke, aber das mache ich später selbst!«
Toni spürte, daß es besser war, wenn er Tina jetzt allein ließ. Er ging zu Anna hinein.
»Des Madl draußen hat einen Kummer! Des spüre ich, Anna! Die schaut ganz und gar net glücklich aus. Ganz blaß ist des Madl! Und zur schönen Aussicht hat sie auch nix gesagt. Des beeindruckt sie net. Die nimmt des gar net wahr, Anna!«
»Vielleicht ist sie wirklich nur müde?«
»Möglich! Aber wenn man müde ist, dann hat man müde Augen. Sie hat aber traurige Augen. Des ist ein Unterschied. Außerdem hat sie angedeutet, daß sie über etwas nachdenken muß. Etwas hat ihre Urlaubspläne durcheinander gebracht.«
Anna lächelte Toni an.
»Schlimm kann es nicht sein, sonst hätte sie den weiten Weg herauf auf die Berghütte nicht auf sich genommen, Toni.«
»Des stimmt auch wieder!«
»Weißt, Toni, wenn sie ihren ganzen Jahresurlaub genommen hat, dann bedeutet das doch, daß sie schon lange keinen Urlaub mehr hatte. Sie wird einfach urlaubsreif sein, wie man sagt. Dazu die Anreise, der Aufstieg hier herauf und die klare Bergluft, das kann schon anstrengen. Auch der plötzliche Wechsel von einem stressigen Berufsalltag zur Urlaubsmuse muß erst einmal verkraftet werden.«
Toni nahm seine Anna in den Arm.
»Bist schon eine tolle Frau, Anna. An was du alles denkst! Recht hast du! Warten wir’s ab! Ich kenne niemanden, der nicht am ersten Abend in den Bergen dem Zauber der Bergwelt erlegen ist.«
Toni gab Anna einen Kuß.
»Toni, wenn ich hier mit dem Kartoffelschälen fertig bin, dann zeige ich ihr die Kammer. Vielleicht hat sie sich gerade von ihrem Freund getrennt und redet deshalb eher mit mir als mit dir.«
»Ja, des ist gut möglich! Ich wollte ihr den Rucksack reintragen, aber sie wollt’ des net.«
Das Gespräch zwischen Toni und Anna wurde unterbrochen. Der alte Alois kam herein.
»Toni, da kommt schon wieder eine Gruppe Bergwanderer herauf. Es wird richtig voll heute!«
»Ja, Alois! Das wird es! Unsere Berghütte wird immer beliebter. Es spricht sich unter Bergfreunden herum, wie schön es hier oben ist.«
»Des ist net alles! Schön war es schon immer, Toni. Es tut sich auch rumsprechen, wie gut du und die Anna die Berghütte führen tut. Ja, ja, des muß ich auch sagen. Ihr beide macht des wirklich gut. Besonders die Anna, die ja net aus den Bergen stammt, die ist zur richtigen Berglerin geworden.«
»Soll des ein Lob sein, Alois?« fragte Toni augenzwinkernd.
»Red’ net so ein Schmarrn, Toni! Du weißt, daß des ein ganz besonderes Lob ist! Ich wollte es nur noch mal deutlich gesagt haben. Bessere Nachfolger für meine geliebte Berghütte hätte ich net finden können.«
»Danke, Alois! Des hast du lieb gesagt!« lächelte Anna ihm zu. »Aber du hilfst uns ja immer noch! Ohne dich würden wir das nicht so schaffen. Wir sind sehr glücklich, daß du hier bei uns lebst, auch wenn du unten in Waldkogel noch dein Häuschen hast. Ohne dich würde es uns nur halb so viel Freude machen.«
Der alte Alois strahlte.
»Na, ganz so viel kann ich nimmer machen. Ich bin eben nimmer so jung. Aber Freude macht es mir noch, wenn ich was tun kann. Dann komme ich mir net unnütz vor.«
»Schmarrn, Alois! Du bist net unnütz, und des weißt du auch. Du bist hier der Großvater und die gute Seele der Berghütte.«
Der alte Alois grinste. Ihm wurde es warm ums Herz. Er schätzte und liebte Toni und Anna, wie auch die Kinder Sebastian und Franziska, als gehörten sie alle zu seiner Familie. Besonders die beiden Kinder, die Toni und Anna als Ersatzeltern aufgenommen hatten, waren dem alten Alois wie eigene Enkelkinder ans Herz gewachsen.
In der nächsten halben Stunde hatten Toni und Anna viel zu tun. Die Terrasse der Berghütte war jetzt fast bis auf den letzten Platz besetzt. Alle wollten etwas trinken. Die meisten bestellten auch eine herzhafte Brotzeit. Toni eilte zwischen Küche und Terrasse hin und her.
Dabei sah er, daß sich Tina auf einen Liegestuhl gelegt hatte. Schlief sie? Toni holte eine Wolldecke und deckte sie zu. Dabei sah er die Tränenspuren in ihrem Gesicht.
Da hat mich mein Gefühl doch nicht getrogen, dachte Toni. Des Madl hat einen Kummer.
*
Toni parkte seinen Geländewagen auf dem Hof neben dem Haus seiner Eltern. Durch die offenen Fenster der Wirtsstube drang Lärm. Es war kurz nach Mittag.
Antonius Baumberger, seit seiner frühsten Kindheit nur Toni gerufen, entschloß sich, die Hintertür zu nehmen. Augenblicke später betrat er die Küche des Wirtshauses Baumberger mit der kleinen Pension. Seine Mutter, Meta Baumberger, saß am Küchentisch und trank einen Kaffee.
»Grüß