Friederike von Buchner

Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman


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bestiegen, sondern einen Gipfel im Himalaja.«

      »Ja, das stimmt!« lachte Tina jetzt auch.

      »Du bist zum ersten Mal in den Bergen?«

      »Ja und das mehr oder weniger zufällig!«

      Anna schaute überrascht.

      »Magst du einen Kaffee? Setz dich, wenn du magst. Dann können wir ein wenig plaudern. Ich bin nämlich auch in den Bergen gelandet, ohne daß ich jemals die Absicht hatte, die Berge zu betreten. Ich habe mich so gewehrt. Aber meine Freundin Susanne, sie wird Sue gerufen, ließ mir keine Wahl. Sie hatte mich überlistet. Ich bin ihr jeden Tag dankbar dafür. Ich habe hier mein Glück und die Liebe gefunden.«

      Anna legte das Kartoffelmesser zur Seite und schenkte Tina einen süßen Milchkaffee ein. Tina setzte sich.

      »Schön, daß du so glücklich bist, Anna! Mit dem Glück ist es bei mir im Augenblick nicht zum Besten bestellt.«

      »Klingt, als hättest du Kummer?«

      Anna schälte weiter Kartoffeln.

      »Kummer? Wirklichen Kummer habe ich nicht. Sorgen habe ich! Habe viel Pech gehabt!«

      Anna schaute Tina freundlich an.

      »Tina, Pech gibt es nicht! Das habe ich gelernt. Es gibt gelegentlich Ereignisse, die nicht so ablaufen, wie wir Menschen es erwartet haben. Da muß man einfach Vertrauen in das Leben und – wenn du willst – in die himmlischen Mächte haben, daß es so besser war. Ich will dich mit meinen Worten nicht tadeln. Ganz im Gegenteil! Ich will dir Mut machen.«

      »Ich habe dich schon verstanden, Anna!«

      Tina lächelte und nippte an ihrem Kaffee.

      »Tina, du sagtest vorhin, du wärst zufällig in den Bergen?«

      »Ja! Ich bekam die Reise geschenkt!«

      »Dann ist es doch kein Zufall!«

      »Doch! Wenn es eine Reise ans Meer gewesen wäre, dann wäre ich jetzt am Meer.«

      »Wie kam es dazu?«

      Tina holte tief Luft. Anna flößte ihr Vertrauen ein.

      »Da muß ich weiter ausholen. Aber ich will dich nicht mit meiner Geschichte langweilen. Außerdem ist sie wirklich nicht berauschend.«

      »Ich höre dir gerne zu. Kartoffeln zu schälen ist nicht sehr unterhaltend.«

      Tina nahm all ihren Mut zusammen. Nach und nach erfuhr Anna mehr über Tina. Am Anfang erzählte Tina nur stockend. Doch dann sprudelte alles aus ihr heraus, was ihr auf der Seele lag.

      Tina, war die Abkürzung von Faustina. Diesen etwas altmodisch klingenden Namen verdankte Tina ihrer Großtante, einer Schwester ihrer Großmutter.

      »Faustina heißt übersetzt die ›Glückliche‹. Aber wenn ich mich so ansehe, dann denke ich, daß der Name ein völliger Fehlgriff war. Das Glück geht immer an mir vorbei. Vielleicht denkt es, daß ich es nicht benötige, weil ich diesen Namen trage«, sagte Tina mit Bitternis in der Stimme.

      Nach und nach erzählte Tina Anna aus ihrem Leben.

      Tina war die Älteste von vier Geschwistern. Nach einem schweren Verkehrsunfall konnten ihre Eltern nur eingeschränkt arbeiten. Tina war damals sechzehn Jahre alt und ging noch zur Schule. Sie brach die Schule ab und fing an, in einer Fabrik zu arbeiten. Den Schichtdienst konnte sie gut mit den übernommenen häuslichen Pflichten vereinbaren. Die Eltern waren oft in Kur oder im Krankenhaus. So waren die nächsten Jahre vergangen. Als Tina zwanzig war, schloß die Fabrik. Sie suchte sich eine Arbeit als Verkäuferin. Doch auch diese Arbeitstelle war nicht von Dauer. Das Geschäft wurde verkauft und ein Teil des Personals entlassen.

      »Ich war bei denen, die zuletzt angefangen hatten, also gehörte ich zu der Gruppe, die zuerst gehen mußte!«

      Anna nickte und hörte weiter zu. Danach fand Tina erst einmal keine feste Arbeit. Sie jobbte als Bedienung, ging putzen und führte Hunde aus.

      »Das Problem ist, daß ich nichts gelernt habe. Ohne einen richtigen Beruf hast du kaum Chancen. Also sagte ich mir, dann bemühe ich mich jetzt darum, etwas zu lernen. Aber bald mußte ich einsehen, daß das nicht so einfach war. Ich war fast zehn Jahre älter als die anderen Bewerber und Bewerberinnen.«

      Zur Überbrückung nahm Tina jede Arbeit an, die ihr eine gewerbliche Arbeitsvermittlung anbot.

      »Doch die macht jetzt auch zu! Wenn mein Jahresurlaub vorbei ist, dann ist sie schon zu! Mein Gehalt bekomme ich noch. Ich habe bei vielen Firmen gearbeitet, aber keine will feste Kräfte einstellen. Ich war völlig verzweifelt. Ich wollte den Urlaub bei der Großtante verbringen. Aber die ersten Tage habe ich nur gejammert. Ich muß die Tante ganz schön genervt haben, die liebe Tante. Freitag abend bin ich bei ihr angekommen. Am Montag schenkte sie mir die Reise nach Waldkogel und den Aufenthalt auf der Berghütte. Sie hat alles über ein Tourismusbüro gebucht. Meine Tante hätte nie mehr ein Wort mit mir gesprochen, wenn ich die Reise nicht angenommen hätte. Sie kann sehr eigen sein. Vielleicht verstehst du mich jetzt! Es ist wunderschön hier bei euch auf der Berghütte. Die Landschaft ist ein Traum. Mir gefällt es wirklich sehr, sehr gut, Anna! Aber ich muß immer daran denken, daß ich ohne eine Arbeit bin, wenn mein Urlaub zu Ende ist. Ich muß Bewerbungen schreiben, mich vorstellen. Meine Tante sagte, das sollte ich erst mal sein lassen. So traurig wie ich jetzt wäre, würde das doch nicht klappen. Ich sollte erst einmal Kräfte sammeln und wieder Freude am Leben finden. Doch so einfach ist das nicht!«

      Anna war voller Mitleid.

      »Du würdest auch in einem Trachten- und Andenkenladen arbeiten? Vielleicht gibt es eine Möglichkeit. Es ist allerdings nur ein Aushilfsjob! Nicht für lange! Doch vielleicht wird ja mehr daraus.«

      »Das ist mir gleich, Anna! Richtig freuen an meinem schönen Aufenthalt hier in den Bergen kann ich mich nicht. Mein Selbstbewußtsein ist im Keller. Ich fühle mich als Versager. Ich frage mich, warum mir niemand eine Arbeit geben will. Ich habe mir immer Mühe gegeben, bestimmt!«

      »Tina, das glaube ich dir!«

      Anna stand auf und rief nach Toni. Er kam sofort.

      »Anna, was gibt’s?«

      »Sag mal, Toni, weißt du, ob die Bollers noch eine Aushilfsverkäuferin suchen?«

      »Soviel ich weiß, ja! Die Diagnose bei der Veronika hat jetzt doch ergeben, daß sie eine verschleppte Lungenentzündung hat und dazu kam noch eine schwere Bronchitis. Sie muß sich noch länger schonen, auch wenn sie wieder gesund ist. Der Franz wird darauf achten. Er macht sich große Vorwürfe, daß er die Veronika hat gewähren lassen. Aber du kennst sie ja, ohne ihren Laden ist sie nur ein halber Mensch. Warum willst des wissen, Anna?«

      »Die Tina ist arbeitslos! Deshalb kann sie sich auch über den schönen Aufenthalt hier nicht so richtig freuen. Da dachte ich mir, vielleicht…«

      »Anna! Des ist eine gute Idee!« unterbrach Toni seine Frau. »Einen Augenblick!«

      Toni ging zum alten Alois und bat ihn, für kurze Zeit die Arbeit hinter dem Tresen zu übernehmen. Dann kam er in die Küche zurück. Anna erzählte ihrem Mann in kurzen Worten, was sie von Tina erfahren hatte.

      »Also, ich kann mir vorstellen, daß der Franz Boller begeistert sein wird. Vor allen Dingen, weil du schon einmal im Verkauf gearbeitet hast.«

      »In einem Geschäft für Trachtenmoden und Andenken habe ich noch nicht gearbeitet. Es war ein Laden für Getränke!«

      »Da mache dir mal keine Sorgen, Tina! Wenn du willst, dann kannst du gleich morgen früh mit mir runter nach Waldkogel kommen. Ich bringe die Kinder in die Schule. Anschließend gehen wir beide dann zum Franz Boller.«

      »Vielleicht sollte ich erst einen Lebenslauf schreiben und mir von daheim meine Unterlagen… Zeugnisse und so… schicken lassen.«

      Tinas Stimme klang unsicher.

      »Naa, des ist net nötig!