Britta Laubvogel

Wenn die Liebe Trauer trägt


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Sie müssen „vollzogen werden, damit das Gleichgewicht zurückkehrt und der Trauerprozess zum Abschluss gelangt“, sagt der amerikanische Arzt und Trauerforscher J. William Worden.1

      Im Raum des Schmerzes fühle ich die Wunden des Verlustes, empfinde Ohnmacht angesichts des Todes. Ich bin traurig und tief erschüttert.

      Diese Gefühle können mit Macht aufbrechen und mich überfluten. Vielleicht reiße ich dann einfach die Vorhänge herunter, öffne die Fenster und lasse meinen Schmerz laut heraus. Ich klage und schreie. Im Raum des Schmerzes stört es niemanden.

      Im Raum der Erinnerung hängen viele Bilder, die an das Leben mit dem Verstorbenen erinnern. Ich gehe in Gedanken durch die Zeit, lasse alte Bilder wieder aufsteigen, grabe in den Erinnerungen, sehne mich zurück, suche gemeinsam erlebte Orte auf. Ich halte helle Momente fest und lasse dunkle los.

      Der Raum der Liebe ist ein sehr persönlicher Raum. Er erscheint lichtdurchflutet. Nur ich habe den Schlüssel.

      Hier suche ich nach einem Weg, meiner Liebe Ausdruck zu geben. Ich entdecke, dass die Trauer auch eine kreative Kraft ist und dass Liebe nicht mit dem Tod endet. Ich suche nach einem sicheren Ort in meinem Herzen für den verstorbenen Menschen.

      Gelungene Trauer führt schließlich zu einem tief greifenden Prozess der Veränderung. Ich betrete den Raum der Wandlung. Zukunft tritt wieder in den Blick. Ich richte den Blick nach vorne, setze mir neue Ziele und mache Pläne.

      Jede Konfrontation mit dem Tod wirft Fragen auf nach dem, was danach kommt, weckt die Sehnsucht nach Ewigkeit. Auf was darf ich hoffen, was kann ich glauben? Werden wir uns wiedersehen?

      Im Bild gesprochen: Das Haus der Trauer ist umgeben vom Garten der Sehnsucht.

      Wo auch immer ich mich befinde im Haus der Trauer, es ist ein Schreiten durch Räume, kein Parcours, der auf einer Zielgeraden endet, mit dem Erfolgsstempel: Trauer gut bewältigt.

      Ich merke, auch in Gesprächen mit anderen, die trauern: Jeder Mensch hat dabei sein eigenes Tempo. Da gibt es kein Maß, kein richtig und falsch.

      Es gibt allerdings kritische Momente, in denen Menschen sich in Räumen verirren und dort hängen bleiben, den Ausweg oder auch den Zugang zu ihren Gefühlen nicht oder nicht mehr finden: Manche halten z. B. im Raum der Erinnerung so stark an alten Bildern fest, dass es ihnen nicht gelingt weiterzukommen. Blockaden und Sackgassen sind zu bewältigen. Diese Situationen erfordern besondere Unterstützung. Gut, dass es die gibt.

      Was ist uns sonst noch wichtig, vorweg zu sagen?

      Eine Besinnung über eine biblische Geschichte rundet jedes Kapitel ab.

      Außerdem haben wir praktische Anregungen und Tipps zusammengestellt, die wir hilfreich finden. Die Gedichte stammen, soweit nicht anders vermerkt, alle von Britta Laubvogel.

      Danken möchten wir:

      Luitgardis Parasie, die unser Manuskript mit journalistischem Blick überarbeitet und leicht lesbar gemacht hat.

      Unserer Lektorin Petra Hahn-Lütjen für die aufmerksame und kritische Begleitung und viele wertvolle Tipps.

      Wulf-Ingo und Gabriele Prange, denen es nicht leicht gefallen ist, über ihre Trauer nach dem plötzlichen Unfalltod ihres Sohnes zu schreiben.

      Spannend fanden wir die Erfahrung von Ellen Zierott, die davon berichtet, wie ihr nach dem Tod ihres Mannes das Pilgern geholfen hat, sich „freizulaufen“.

      Ich, Britta, danke meiner Familie, meinen Kindern Anna, Sarah, Markus, Lena, meinen Schwiegersöhnen Markus und Paul und allen meinen Freunden, die mich so liebevoll und achtsam unterstützt und begleitet haben.

      Den Menschen, die uns erlaubt haben, ihre Erfahrungen hier zu veröffentlichen, gilt unser besonderer Dank.

      Die in diesem Buch dargestellten Fallbeispiele haben wir bewusst verfremdet. Namen, Alter und äußere Umstände wurden so verändert, dass niemand erkennbar ist und die ärztliche und seelsorgerliche Schweigepflicht geschützt werden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.

       Britta Laubvogel und Jost Wetter-Parasie, im Frühjahr 2012

       Eintritt ins Haus der Trauer – Die Realität des Todes anerkennen

       Britta:

      Auch wenn wir um die schwere Krebserkrankung von Matthias wussten, die niederschmetternde Prognose kannten und innerlich auf den Abschied vorbereitet waren, so hat mich doch sein Tod mit ganzer Macht getroffen. „Bis zur Pforte des Himmels gehe ich mit dir“, hatte ich Matthias oft gesagt. Jetzt hat er die Schwelle überschritten, ist heimgekehrt zu seinem himmlischen Vater – und ich?

      Ich stürze, wie ein Planet, der seine Umlaufbahn verloren hat, taumelnd, haltlos im All, ich stürze mit rasender Geschwindigkeit in eine fremde Welt und fühle mich verletzt, verwundet, betäubt, allein. Ich spüre die gewaltige Macht des Todes. Die Zeit steht still und doch tickt die Uhr von Sekunde zu Sekunde weiter. Eine neue Zeitrechnung beginnt. Ab jetzt wird alles anders sein. Fremd und unwirklich fühlt sich das an. Der Tod ist eine schwere Zäsur in meinem Leben. Es wird noch ein weiter Weg sein, bis ich das Ausmaß meines Verlustes begreifen werde.

      Ich bin so dankbar, dass ich in diesen ersten Tagen Yvonne an meiner Seite habe. Sie ist Krankenschwester und eine Freundin, die uns schon seit vielen Jahren nahesteht. Zu Weihnachten ist sie angereist, wir haben gemeinsam den Jahreswechsel erlebt und sie hat uns durch die letzten Tage von Matthias’ Krankheit und sein Sterben begleitet. Nun gibt es so viel zu erledigen: Gänge zu den Ämtern, die Beerdigung muss organisiert werden, viele Dinge müssen bedacht und entschieden werden. Da ist sie mir eine große Hilfe. In diesen ersten Tagen habe ich überhaupt keine Energie, irgendetwas zu kochen oder auch nur an Essen zu denken. Yvonne packt an und sorgt dafür, dass wir alle etwas in den Magen bekommen.

      Eines Morgens steht meine Freundin Anse mit einem großen Einkaufskorb vor der Tür: „Ich weiß, dass du dich jetzt nicht um Einkäufe kümmern magst und kannst. Hier sind schon mal die Grundnahrungsmittel.“

      Meine Freundin Inge ruft an und fragt: „Du musst doch sicher schwarze Kleidung für die Beerdigung kaufen. Wann gehst du? Ich begleite dich.“ Ich bin so dankbar, jetzt Freunde zu haben, die ganz praktisch helfen, ohne mich dabei zu entmündigen. Sie wissen, was zu tun ist und handeln. Unterstützen mich.

      Gemeinsam mit der Familie entwerfen wir die Todesanzeige. Wir machen uns Gedanken über die Gestaltung der Trauerfeier und denken darüber nach, welche Lieder gesungen werden sollen, wen wir um Liedbeiträge bitten können und zu welchem Bibelwort die Ansprache gehalten werden soll.

      Dabei kreisen die Gedanken ganz um Matthias. Was entspricht seinem Leben, seinem Naturell? Welche Lieder hat er besonders geliebt? Welche Texte haben ihm etwas bedeutet? Christof ist angereist, er ist ein guter Freund und kreativ. Er gestaltet ein Liedblatt für die Trauerfeier mit dem Schmetterling, der aufbricht zu seinem Flug. Passend zu Matthias’ Lied: Ich bin ’ne Raupe mit Schmetterlingsflügeln.

      In der ersten Zeit ist so viel zu erledigen und zu bedenken, dass ich abgelenkt bin. Das hilft mir diese Tage zu überstehen. Für Trauer ist noch kein Platz.

       Abschied nehmen

      12. Januar, der Tag der Beerdigung. Die Glocken läuten, alle Plätze in der Kirche sind besetzt. Da viele Menschen erwartet werden, wird die Trauerfeier mit einem Lautsprecher nach draußen übertragen. Ich sitze mit meinen Kindern in der Kirchenbank, höre die vertrauten Bibelworte und kann ihnen nicht folgen. Wie durch einen Schleier sehe ich den Sarg, nehme die vielen Kränze und Blumen wahr. Ich versuche die Lieder mitzusingen, auch wenn mir die Kehle wie zugeschnürt ist. Meine aufgewühlte Seele klammert sich Halt suchend an die vertrauten Symbole im