Anselm Grün

Friede, Freude, Frust?


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Grün

      Fried, Freude, Frust?

      Was für ein gutes Zusammenleben wichtig ist

      Vier-Türme-Verlag

      Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      Printausgabe

      © Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2020

      ISBN 978-3-7365-0320-5

      E-Book-Ausgabe

      © Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2020

      ISBN 978-3-7365-0342-7

      Alle Rechte vorbehalten

      E-Book-Erstellung: Dr. Matthias E. Gahr

      Lektorat: Marlene Fritsch

      Covergestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart

      Covermotiv: Ljupco Smokovksi / shutterstock.com

      www.vier-tuerme-verlag.de

      Inhalt

       Einleitung – Sehnsucht nach Gemeinschaft und Individualismus

       Realitätssinn statt Idealisierung

       Aushalten und Ertragen

       Den anderen sein lassen

       Die Verschiedenheit annehmen

       Konzentration auf das Wesentliche

       Respektvoller Umgang mit den Dingen

       Vergeben und Verzeihen

       Einssein

       Schlussgedanken

       Literatur

      Wir leben in einer Zeit der Umbrüche. Auf der einen Seite sehen wir, dass viele alten Modelle von Gemeinschaft nicht mehr funktionieren: Kirchen und Parteien verlieren Mitglieder, aber auch viele Vereine, in denen sich früher viele Menschen zusammengeschlossen haben, um bestimmte gemeinsame Interessen zu verfolgen und Gemeinschaft zu erleben, haben heute Probleme, neue Mitglieder zu finden, während die alte Generation nach und nach wegstirbt. Offensichtlich interessieren sich junge Menschen nicht mehr für diese Art von Gemeinschaft. Sie finden hier nicht die Art des Miteinanders, nach der sie sich sehnen.

      Auf der anderen Seite gibt es dennoch eine große Sehnsucht nach Gemeinschaft. Vielleicht war die Sehnsucht auch noch zu keiner Zeit größer. Sicher ist es heute durch das Internet viel leichter, miteinander in Kontakt zu treten und zunächst virtuelle Gemeinschaften aufzubauen. In diesen Interessensgruppen auf verschiedensten Plattformen erlebt man Zugehörigkeit, wenn auch auf ganz andere Weise als früher in einem Verein. Zudem gibt es neue Formen von Gemeinschaft, zum Beispiel Bürgerinitiativen oder andere, auf ein bestimmtes Ziel gerichtete Zusammenkünfte. Oft sind es nur Bündnisse auf Zeit. Aber auch diese Gemeinschaften haben es nicht leicht. Häufig gibt es Konflikte, wenn man näher zusammenwächst. Dann werden die Meinungsverschiedenheiten schnell deutlich und nicht immer auf gute Weise ausgetragen. Oft stehen die zu hohen Erwartungen an die Gemeinschaft dabei im Wege. Wenn man zu viel erwartet, wird man umso mehr enttäuscht von der Realität.

      Ein Hindernis, das bei der Bildung von Gemeinschaft heute im Wege steht, ist der zunehmende Individualismus: Menschen achten auf ihre Freiheit und auf die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse. Es fällt ihnen schwer, sich auf andere und auf die Gemeinschaft einzulassen und sich in ihrer Freiheit zu beschränken. Auf der einen Seite ist der Individualismus eine Chance, dass die Gemeinschaft die Einzelnen nicht vereinnahmt, sondern sie freilässt. Auf der anderen Seite tun sich Individualisten schwer, sich an eine Gemeinschaft zu binden und sich ihren Strukturen unterzuordnen. Aber auch in einer Gemeinschaft von Individualisten braucht es Haltungen, die ein gutes Miteinander ermöglichen.

      Trotz allem gibt es weiterhin die Sehnsucht nach Gemeinschaft. Das wird besonders deutlich in einer Krise, wie jüngst in der ersten Zeit nach dem Ausbruch des Coronavirus zu beobachten war. Dann entsteht plötzlich ein neues Miteinander, eine Solidarität mit den Betroffenen. Da bieten zum Beispiel Hausgemeinschaften den alten Mitbewohnern Hilfe an beim Einkaufen. Es ist also durchaus ein Gespür für das Miteinander da. Natürlich gibt es auch in der Krise Menschen, die nur an sich denken, ohne Rücksicht auf die anderen. Aber wir sehen eben immer beide Tendenzen: die Sehnsucht, Probleme gemeinsam zu meistern und Solidarität füreinander zu zeigen, und die Tendenz, nur für sich zu sorgen, ohne Rücksicht auf die Gemeinschaft oder die Gesellschaft.

      Was von den verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Gesellschaft gilt, das gilt auch für die Familien. Auch hier fällt es den Partnern oft schwer, Konflikte durchzustehen und miteinander um eine gute Gemeinschaft zu ringen. Die Erwartungen an den anderen sind häufig so hoch, dass man sich enttäuscht abwendet, wenn die Liebe einmal nicht mehr so stark ist. Man verwechselt die Liebe zu sehr mit einem Gefühl. Werte wie Treue und Durchhalten spielen für viele keine Rolle mehr.

      Wenn ich bei Kursen Einzelgespräche anbiete, dann kreisen die meisten inhaltlich um Beziehungsschwierigkeiten, um Probleme in der Partnerschaft, in der Familie, oder Konflikte im Unternehmen, in Vereinen oder Pfarrgemeinden. Offensichtlich ist es heute nicht mehr so leicht, Konflikte in der Partnerschaft durchzustehen oder mit Konflikten in den Vereinen und Firmen umzugehen. Auf jeden Fall suchen viele nach Hilfen, wie sie gut miteinander leben können.

      Seit 1500 Jahren leben benediktinische Gemeinschaften zusammen. Hier findet man ganz sicher auch keine »heile Welt«. Aber sie halten es miteinander aus. Trotz der verschiedenen Charaktere vermögen sie offensichtlich, in einer guten Weise miteinander auszukommen. In der langen Tradition der benediktinischen Gemeinschaften haben sich Regeln und Haltungen herausgebildet, die das Gelingen des Miteinanders möglich machen. Vor allem aber verdanken die benediktinischen Gemeinschaften ihr jahrhundertelanges Bestehen der Weisheit der Regel, die der heilige Benedikt von Nursia für seine Mönche im 6. Jahrhundert geschrieben hat.

      Daher möchte ich in diesem Buch Anregungen aus der Regel Benedikts und Erfahrungen aus meiner 55-jährigen Zugehörigkeit zu einer benediktinischen Gemeinschaft aufgreifen, die uns heute helfen könnten, miteinander zu leben und nicht gegeneinander. Die alten Weisheiten der Regel Benedikts könnten wie eine Zukunftsvision für uns sein, wie Gesellschaft heute funktionieren könnte, wie ein Miteinander in den verschiedenen Gruppierungen der Gesellschaft möglich wird. Dabei möchte ich in acht Punkten Aspekte eines gelingenden Miteinanders meditieren. Acht ist die Zahl der Transzendenz. Eine Gemeinschaft genügt nie sich nur selbst. Sie ist immer offen für etwas, das sie übersteigt, für etwas, was ihr Sinn verleiht, aber auch für das Geheimnis Gottes.

      Am Beginn der benediktinischen Gemeinschaften standen sicher auch ideale Vorstellungen. Die Kirchenväter begründeten das Mönchtum als Gemeinschaft vor allem auf dem Vers aus Psalm 133,1: »Seht doch, wie gut es ist und wie schön, wenn Brüder beieinander wohnen in Eintracht.« Augustinus meint zu diesem Psalmvers: »Hat doch dieser Psalmtext, dieser süße Klang, diese sowohl für das Ohr wie für das Verständnis so liebliche Melodie auch die Klöster gegründet. Dieser Klang weckte Brüder, die den Wunsch hatten, miteinander zu wohnen« (Enarrationes in psalmos 132,2, zitiert in der Beuroner Ausgabe der RB, 16).

      Ursprünglich waren die Mönche Einsiedler. Lukas beschreibt in der Apostelgeschichte ein idealisiertes Bild der Urkirche, aber gerade diese weckte in den Mönchen die Sehnsucht nach brüderlicher Gemeinschaft.