Massimo Carlotto

Die Frau am Dienstag


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      MASSIMO CARLOTTO

      DIE FRAU AM DIENSTAG

      ROMAN

      Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler

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      Für Franco Mazzetto

      Inhalt

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Epilog

       Danksagung

      … und wir sind es, die den Mond leuchten lassen,

       mit unserem Leben, das unter

      Lumpen und Glasscherben verborgen ist.

      Dieses Leben, gegen das sich die anderen verwahren,

      als wäre es eine Beleidigung,

       oder eine lästige Spinne …

       Claudio Lolli

       1.

      Er kam immer als Letzter zu den Probeaufnahmen. Das war er sich schuldig. Ein alter Recke wie er, der sich von ganz unten hochgearbeitet hatte, musste nichts mehr beweisen. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er alles dafür getan hatte, als Erster am Set zu sein und die Hosen runterzulassen. So funktionierte das eben im Pornogeschäft: Zuerst zeigte man, was man zu bieten hatte, und dann sah man weiter.

      Heute behielt er die Hose an. Inzwischen wusste jeder, wie er bestückt war, doch wie viele Filme er in jungen Jahren schon gedreht hatte, das wusste nicht einmal er selbst, nur dass er meist der Hauptdarsteller gewesen war. Mit der Zeit hatte er begonnen, sich auf weniger akrobatische, komplexere und anspruchsvollere Rollen zu verlegen, in denen der Sprechanteil größer war.

      Heute zum Beispiel sprach er für die Rolle eines Priesters vor, der die Intimität des Beichtstuhls dazu nutzte, eine junge, gelangweilte Hausfrau zu verführen, die ihm in ihrer Naivität gerade ihre fleischlichen Sünden gebeichtet hatte. Statt ihr nach ein paar Ave Maria auf den Knien die Absolution zu erteilen, stürzte er sie in die Abgründe der Wollust. Unterstützt wurde er dabei von seiner Haushälterin, einer hochgewachsenen russischen Blondine.

      Die Handlung war ein Klassiker, er kannte den Text in- und auswendig.

      „Was suchst du am frühen Morgen bereits hier, mein Kind? Noch dazu mit diesem sehnsuchtsvollen und beinahe lüsternen Blick?“

      „Ich muss beichten, Vater. Als mein Mann aufstand, um zur Arbeit zu gehen, wurde ich in Gedanken und Taten in Versuchung geführt.“

      „Und du hast dieser Versuchung nicht widerstehen können?“

      „So ist es, Vater. Ich habe mich unsittlich berührt.“

      „Zeig mir, wie.“

      Vom Beichtstuhl ging es ins Pfarrhaus, wo kurze Zeit später auch der eifersüchtige Ehemann auftauchte, der wiederum den Reizen der Haushälterin erlag. Eine Geschichte, in der Kirche und Ehe die Hauptrolle spielten, ein Genre, das vor allem in katholischen Ländern wie Italien und Polen gut ankam und in den USA immer beliebter wurde, wo das von der römisch-katholischen Kirche verordnete schlechte Gewissen seit jeher für sündige Fantasien sorgte.

      Für bestimmte Konstellationen war er einfach gut, man könnte sogar sagen, er war der Beste und wusste genau, dass er die Rolle bekommen würde. Deshalb ging er es ruhig an, setzte sich in eine Bar und beobachtete den Hauseingang gegenüber, um seine Konkurrenten in Augenschein zu nehmen. Einige von ihnen kannte er, andere nicht. Sie waren jung und neu im Geschäft. Solche Typen nutzten jede Chance, sich zu präsentieren.

      Auf die Frage: „Was kannst du?“ antworteten sie meist: „Alles.“

      Falsche Antwort. Im Pornogeschäft musste man sehr präzise sein und seine Fähigkeiten und Kompetenzen genau umreißen können.

      Er war immer wählerisch gewesen. Von manchen Rollen hatte er sich möglichst ferngehalten, selbst wenn ihm dadurch eine ganze Reihe von Filmangeboten entgangen war.

      Allerdings stellte die Sicherheit, die Rolle in der Tasche zu haben, nicht den einzigen Grund für sein spätes Kommen dar. Er wollte in Ruhe mit Martucci, dem Produzenten, sprechen, und zwar allein, ohne neugierige Zuhörer. Im Filmgeschäft waren Klatsch und Tratsch an der Tagesordnung, vor allem wenn es darum ging, einen direkten Konkurrenten schlecht aussehen zu lassen.

      Ihm lag daran, etwas zu erklären, was sich bei den Dreharbeiten zu Italian Sex Sunday zugetragen hatte und falsch interpretiert werden könnte.

      Der Film war wie viele andere die Wiederauflage eines Klassikers: Fünf Paare, darunter zwei lesbische, feiern am Pool einer Villa eine Orgie. Er hatte die Hände fest um die Arschbacken einer slowenischen Darstellerin gelegt, mit der er schon oft gearbeitet hatte, als ein Sonnenstrahl auf ihre kupferroten Haare gefallen und er Zeuge eines herrlichen Lichtspiels geworden war.

      Gerührt hatte er zuerst aufgeschluchzt, war dann in Tränen ausgebrochen und außerstande gewesen, irgendetwas dagegen zu tun. Und das, obwohl er sie weiter gevögelt hatte, ohne den Rhythmus zu verlangsamen. Dank Papaverin hatte sich sein Schwanz nicht weiter um seine Tränen geschert. Nur den Technikern und den anderen Darstellern war es aufgefallen, wie ihm ihre verblüfften Blicke bewiesen. Später hatte er sich bei allen, noch immer von Schluchzern geschüttelt, entschuldigt.

      Die unerfahrene junge Regisseurin, die in ihrer Naivität annahm, dass das Drehen von Pornos in ihrer Biografie lediglich ein winziges Detail bleiben würde, hatte einen Nervenzusammenbruch wie aus dem Lehrbuch hingelegt. Er selbst, der in seiner langen Karriere inzwischen alles gesehen hatte und den nichts mehr überraschte, hatte seine Erektion betrachtet und gewusst, dass er noch mindestens eine Viertelstunde durchhalten würde, und den Kameramann angewiesen, die Szene zusätzlich aus einem anderen Blickwinkel zu filmen, der seine Tränen und seine Gefühlsausbrüche verbarg.

      In der Pause war er von den anderen neugierig gefragt worden, was mit ihm los gewesen sei. Da er nicht die Wahrheit sagen konnte, hatte er die Geschichte eines an AIDS erkrankten Freundes erfunden, der nach jahrelangem, heroischem Kampf gegen das Virus am Vorabend gestorben sei. Damit war die Sache erledigt. Das Wort AIDS in den Mund zu nehmen hatte gereicht, um alle weiteren Nachfragen im Keim zu ersticken.

      Doch jetzt musste er dem Produzenten versichern, dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederholen werde, denn sonst musste er mit Konsequenzen rechnen.

      Mit einundvierzig war die Konkurrenz immerhin groß, und er musste sich behaupten. Zum Glück wurden in solchen auf Ehe und Kirche basierenden Geschichten keine Rollen mit Schwarzen besetzt, die ansonsten immer häufiger