Inhalt
Geht es auch ohne Medikamente?
Zwei Patienten – eine Diagnose
Noch einmal von vorn
Dr. Danny Norden startet durch
Noch hatte der Wecker nicht geläutet. Danny musste erst in ein paar Minuten aufstehen. Er träumte gerade von der Floßfahrt auf der Isar, die er am Tag zuvor mit Freunden unternommen hatte, als er plötzlich ein lautes Brummen wahrnahm, das er zunächst in seinen Traum einbaute, bis ihn etwas Haariges an seinem Gesicht berührte und er erschrocken hochfuhr.
»Guten Morgen, Doc, nichts passiert.«
»Wer bist du, und wie bist du hier hereingekommen?« Danny setzte sich sofort auf, als er das Mädchen am Fußende seines Bettes stehen sah, das soeben mit ihm gesprochen hatte. Es hatte langes rotes Haar, trug ein moosgrünes Kleid zu schwarzen Leggins und war höchstens dreizehn oder vierzehn Jahre alt.
»Ich bin Ophelia, Ophelia Mai, ich wohne seit einer Woche im Haus nebenan, schön, dass wir uns endlich kennenlernen.« Sie kam um das Bett herum, setzte sich auf die Bettkante und reichte ihm die Hand. »Hereingekommen bin ich über den Balkon. Die Tür stand offen, und das Rankgitter an der Hauswand ist eine perfekte Aufstiegshilfe. Die allerdings auch von einem Einbrecher genutzt werden könnte. Nur mal so als kleiner Hinweis.«
»Danke, ich werde darüber nachdenken, es zu entfernen.«
»Warum gleich so radikal? Sie könnten auch dornige Rosen daran hochziehen. Das verhindert das Klettern und verschönert die Hauswand. Das Zimmer ist noch ein bisschen kahl, finden Sie nicht?« Ophelia ließ ihren Blick durch den großen Raum mit den schneeweiß gestrichenen Wänden gleiten.
Die Einrichtung beschränkte sich auf das blaue Boxspringbett, einen weißen Kleiderschrank und eine Fächerpalme im blauen Porzellankübel.
»Mag sein, dass noch etwas fehlt, aber findest du es nicht ein wenig unpassend, einen fremden Mann am frühen Morgen in seinem Schlafzimmer aufzusuchen?«, fragte Danny, der seine Beine angezogen hatte und darauf achtete, dass die Bettdecke nicht verrutschte.
»Darin sehe ich in diesem Fall kein Problem. Ich habe bisher nur Gutes über Sie gehört, Doc«, antwortete sie mit einem aufrichtigen Lächeln.
»Du weißt aber schon, dass man nicht alles glauben darf, was man so hört.«
»Die Informationen über Sie erschienen mir zuverlässig. Aber gut, überprüfen wir sie. Ich sage Ihnen, was ich über Sie gehört habe, und Sie sagen mir, ob es stimmt«, schlug Ophelia vor.
»Meinetwegen, was hast du gehört?«, fragte Danny.
»Es heißt, dass Sie dieses Haus von Fanny Moosinger geerbt haben, einer alten Dame, die vor Kurzem gestorben ist. Sie hatte keine Kinder und auch sonst keine Verwandten. Sie hat Sie als Erben bestimmt, weil Sie ihr vor fünf Jahren das Leben gerettet haben. Richtig oder falsch?«
»Ich habe ihr geholfen, als sie in Not war.«
»Also, richtig. Sie waren damals in demselben Restaurant wie Fanny zum Abendessen, als die arme Frau einen allergischen Schock erlitt. Sie drohte zu ersticken, was Sie mit einem Luftröhrenschnitt verhindert haben. Richtig oder falsch?«
»Richtig.«
»Fanny war derart von Ihnen beeindruckt, dass sie Sie in den letzten Jahren jedes Mal an diesem Tag ihrer Rettung, ihrem zweiten Geburtstag, wie sie sagte, in dieses Restaurant zum Essen einlud. Richtig oder falsch?«
»Richtig.«
»Ich habe auch gehört, dass dies schon ihre zweite Praxis ist. Die erste haben Sie aufgegeben, weil sie nach einer großen Enttäuschung einen Neuanfang brauchten. Richtig oder falsch?«
»Richtig, aber jetzt habe ich genug gehört.« Danny hatte keine Lust, an eine Zeit erinnert zu werden, die er vergessen wollte.
»Meine Mutter sagt, dass es sogar oft vorkommt, dass jemand seine Jugendliebe wiedersieht und sich aus seinem aktuellen Leben verabschiedet. Der einzig richtige Weg für den, der zurückbleibt, ist der komplette Neuanfang. Sie haben also erst einmal alles richtig gemacht. Meine Mutter würde Ihnen raten, das Neue größer als das Alte zu gestalten, dann werden Sie den Schmerz besiegen. Meine Mutter ist Psychologin. Sie kennt sich mit diesen Dingen aus.«
»Sicher tut sie das. Danke für die nützlichen Gartentipps und die Lebensberatung. Mich interessiert aber trotzdem der Grund, warum du in mein Schlafzimmer eingestiegen bist. Was ist das?!« Er sprang entsetzt aus dem Bett, als er in diesem Moment etwas Großes, Pelziges an seinen Beinen spürte.
»Da haben Sie Ihre Antwort. Das ist der Grund, warum ich hier bin«, entgegnete Ophelia kichernd, als eine rotgetigerte Katze unter der Bettdecke hervorkroch. »Das ist Ortrud. Sie fühlt sich von offenen Fenstern und Balkontüren magisch angezogen. Ich habe gesehen, wie sie über Ihren Balkon geklettert ist, und bin ihr gefolgt, damit sie bei Ihnen keinen Schaden anrichtet.«
Das war also das haarige Etwas, das ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Dieses Brummen, das er wahrgenommen hatte, war vermutlich das Schnurren der Katze gewesen. »Du hättest einfach an der Haustür klingeln können«, sagte er.
»Stimmt, aber so bleibt unsere erste Begegnung unvergesslich. Richtig oder falsch?«, fragte Ophelia und nahm Ortrud auf ihre Arme.
»An Selbstbewusstsein mangelt es dir offensichtlich nicht«, stellte Danny schmunzelnd fest.
»Richtig«, antwortete Ophelia. »Sie sehen übrigens wirklich gut aus, Doc«, sagte sie und richtete ihren Blick auf Danny, der mit verwuscheltem Haar und nacktem Oberkörper, nur mit einer weinroten langen Schlafhose bekleidet, vor ihr stand.
»Willst du mich in Verlegenheit bringen?«
»Aber nein, Doc, ich habe nur eine objektive Beobachtung in Worte gefasst. Bleiben Sie locker.«
»Ich gebe mir Mühe«, sagte Danny, und auf einmal mussten sie beide laut auflachen.
»Sehen Sie, jetzt haben wir uns beide locker gemacht. Wir werden gute Nachbarn werden, Doc, da bin ich absolut sicher. Wir sehen uns«, verabschiedete sich Ophelia, als Dannys Wecker läutete. »Einen schönen Tag noch.«
»Danke, dir auch, und nimm dieses Mal die Haustür«, bat er sie.
»Geht klar, Doc«, sagte das Mädchen und verließ mit Ortrud auf den Armen das Schlafzimmer.
Sie