Volker Klimpel

Chirurginnen


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      Volker Klimpel

      Chirurginnen

      Dr. Reinhard Kaden Verlag Heidelberg

      Geleitwort

      Es ist bekannt, dass Rollenvorbilder Entscheidungen beeinflussen können und unter diesem Aspekt erfüllt das Buch eine wichtige Funktion. Es zeigt sowohl Biographien unter medizinhistorischen Aspekten, als auch die aktuelle berufliche Aktivität vieler chirurgisch tätiger Kolleginnen auf.

      Das Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit bei der Erwähnung der chirurgisch tätigen Kolleginnen, sondern zeigt vielmehr die Facetten­vielfalt des beruflichen Engagements in den verschiedenen Disziplinen und macht Kolleginnen und damit Rollenvorbilder sichtbar. Die kurzen biographischen Vorstellungen lassen in zahlreichen Fällen die vorhandenen Schwierigkeiten auf dem beruflichen Weg erahnen. Sie verdeutlichen aber auch, dass es den Kolleginnen gelungen ist, ihren beruflichen Weg in dem gewählten Fach zu gehen.

      Ich hoffe, dass auch angehende Medizinerinnen dieses Buch entdecken und es sie bei der Entscheidung unterstützt, in diesem faszinierenden Beruf eine Facharztweiterbildung zu absolvieren.

      Prof. Dr. med. Doris Henne-Bruns, Ulm

      1 Ansorg JU (2010) Nachwuchsmangel und Nachwuchsförderung in der Chirurgie. <QI1>

      Vorwort

      Gibt es in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts noch eine „Frauenfrage“? Zweifellos ist das der Fall, wie ein Blick in die Nachrichten und täglichen Diskussionen zeigt. Es ist aber längst nicht mehr die sozial determinierte „Arbeiter- und Frauenfrage“ vom Beginn des Kampfes um die Gleichberechtigung im ausgehenden 19. Jahrhundert.

      In der Chirurgie stellen wir fest, dass die Chirurginnen unaufhaltsam auf dem Vormarsch sind, dass ihre Entwicklung zu dem festen Platz hin, den sie heute in der Gesellschaft einnehmen, aber ein weißer Fleck geblieben ist auf dem Tableau der Geschichte der Chirurgie. So sahen Autor und Verlag die Zeit für gekommen, sich diesem Thema zuzuwenden, zumal Anzahl und Ansehen der Chirurginnen kontinuierlich steigen. Es sind Assistenzärztinnen, Fachärztinnen, Oberärztinnen, Chefärztinnen, Leiterinnen von Spezialabteilungen, Dozentinnen, Professorinnen und Ordinariae, die sich oft schon während des Studiums für die operativen Fächer begeisterten und sich durch nichts und niemanden davon abhalten ließen, diesen schweren, mit viel Stress verbundenen und mit so mancher Einschränkung im Privatleben einhergehenden Beruf zu ergreifen. Der viel zitierten Aussage, dass die Geschichte im Allgemeinen und die eines Fachgebietes im Besonderen immer auch Personalgeschichte ist, kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Eine Auswahl unter den beeindruckenden Persönlichkeiten zu treffen, stellte eine nicht unerhebliche Herausforderung dar; sie musste zwangsläufig subjektiv und unvollständig bleiben. Ob sich die im Folgenden erwähnten Chirurginnen selbst als „Superfrauen“ sehen, sei dahingestellt. In jedem Fall aber haben sie Außergewöhnliches geleistet, um in einem der schwierigsten und anspruchsvollsten ärztlichen Berufe zu bestehen und gar Spitzenpositionen einzunehmen, wobei die unzähligen, hier nicht genannten Chirurginnen in Klinik und Praxis nicht vergessen werden sollten.

      Der Verfasser bedankt sich sehr herzlich für das ihm vom Dr. Reinhard Kaden Verlag erwiesene Vertrauen und Entgegenkommen, allen voran Norbert Krämer, der als erfahrener Lektor aus seinem reichhaltigen Fundus schöpfen und viele Personalien ergänzen konnte; er hat das Werk in jeder nur erdenklichen Weise gefördert. Der Dank gilt auch dem Herstellungsleiter Christian Molter, der wie stets für eine gediegene Ausstattung und Druck­legung sorgte.

      Dresden, im Herbst 2020

      Volker Klimpel

      Die „Verdrossenheit, sich mit Geschichte zu befassen, ist weitverbreitet, und die Meinung, es lohne sich nicht, die Zeit aufzuwenden, um sich Erkenntnisse der Vergangenheit anzueignen, wird kräftig kolportiert“ (Bruno Mariacher [3], S. 3–4). Hier soll nun, dies konterkarierend, versucht werden, einen ganz speziellen Teil der Kultur- und Menschheitsgeschichte sichtbar zu machen: Die Kunst und Wissenschaft der Chirurgie, ausgeübt von Frauen. Während es über den langen und dornenreichen Weg der Frauenemanzipation im Allgemeinen eine Fülle von Literatur gibt, trifft dies auf das Spezialgebiet der sogenannten weiblichen Chirurgie nicht zu. Ein zeitgenössischer Arzt und Publizist hat es mit folgenden Worten auf den Punkt gebracht: „Die Folianten der Chirurgiegeschichte künden überwiegend von männlichem Wirken, nur vereinzelt treten Frauen ins Rampenlicht. Und wenn sie Außerordentliches leisteten, fanden sie nur selten Chronisten, die von ihrer Tätigkeit in gebührendem Maße kündeten“ [36]. Man nehme eine Vielzahl medizinischer Lexika, Enzyklopädien oder Handbücher zur Hand und suche nach Chirurginnen – vergeblich [25, 27, 28, 43, 56, 92, 111, 120 u. v. a.]. Allenfalls stößt man auf Hildegard von Bingen, Justine Siegmundin, Dorothea Erx­leben, Regina Siebold, Rahel Hirsch, Lydia Rabinowitsch-Kempner oder die Curies, alles nachgewiesenermaßen keine Chirurginnen. So ist es schon nicht mehr erstaunlich, sondern eher typisch, wenn man selbst die eben Genannten in einem ansonsten tiefschürfenden Werk vermisst: Kein Sterbenswörtchen über Frauen in der Medizin in der breitangelegten zweibändigen „Geschichte der Medizin“ des schweizerdeutschen Medizinhistorikers Charles Lichten­thaeler (1915–1993)! [79]. Und in der viel benutzten, aber dringend nach einer Überarbeitung heischenden zweiten Auflage von Hans Killians „Meister der Chirurgie“ findet man unter den knapp 200 Namen des Personenregisters nur zwei Frauen: Ursula Schmidt-Tintemann (s. u.) und Ilse Teubl, ehemalige Oberärztin des Departments Bluttransfusion und Serologie an der Chirurgischen Universitätsklinik Graz (S. 473–492 [56]). In dem aktuellen Wikipedia-Artikel über „Berühmte Chirurgen“ werden 42 Männer vorgestellt und keine einzige Frau! <QI2>

      Dorothea Erxleben nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als sie die erste promovierte Ärztin in Deutschland war und schon 1742 in ihrer Dissertation mit dem Titel „Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten. Darin deren Unerheblichkeit gezeiget, und wie möglich, nötig und nützlich es sei, dass dieses Geschlecht der Gelahrtheit sich befleissige“ die hier zur Debatte stehende Problematik umriss. Erxleben damals: „Ich beschloss daher ernstlich, mich durch nichts vom Studium abhalten zu lassen und zu versuchen, wie weit ich in der Arzneygelahrtheit es bringen könnte. Zwar wusste ich wohl, dass es an solchen nicht fehle, die das Studieren des Frauenzimmers nicht nur tadeln, sondern auch auf eine recht niederträchtige und Gelehrten schlecht anstehende Weise durchziehen … ihr Gewäsche wird mich niemals verleiten, mir mein Studium gereuen zu lassen“. Es finden sich einige Ärztinnen unter den Erfinderinnen und Nobelpreisträgerinnen, aber Chirurginnen? Fehlanzeige! [31, 115]. Etwas ergiebiger sind da die US-Amerikaner Albert S. Lyons und Joseph Petrucelli mit ihrer 1980 ins Deutsche übersetzten „Geschichte der Medizin im Spiegel der Kunst“ [81] sowie der Chirurg und Medizinhistoriker Ira M. Rutkow in seinem großangelegten Werk „Surgery. An illustrated history“, das 1993 bei Mosby in St. Louis erschienen ist <QI3>.

      Ganz anders heute. In der seit dem Jahre 2000 im Kaden Verlag Heidel­berg, in dem auch dieses Buch herauskommt, erscheinenden Chirurgischen Allgemeinen Zeitung (CHAZ) sind in der Rubrik „Personalia“ weit über 100 Chirurginnen, vorwiegend in Führungspositionen, erwähnt, und diese Zahl nimmt ständig zu. In der gleichnamigen Rubrik der BDC-DGCH-Mitgliederzeitschrift Passion Chirurgie sind fast monatlich Chirurginnen zu finden. Nun ist es aber nicht so, dass man annehmen könnte, Frauen in der Chirurgie seien etwas ganz Neues. Schon der große Altvordere Abulkasim meinte um 1000 n. Chr., dass sich Frauen, die an Blasen- und Harnsteinen litten, vorzugsweise