hämmerte rhythmisch an einen toten Baumstamm. Und im Wipfel einer Fichte knusperte ein Eichhörnchen an einem Zapfen. Barro horchte auf, blickte sich neugierig um. Doch der Nebel verhüllte alles.
Erst als die drei Bären an den Rand des Birkenwaldes kamen, wurde die Sicht etwas klarer. Nebelfetzen trieben zwischen krummwüchsigen Birken. Grell stand die Sonne über zerfaserndem Weiß. Und zwischen kahlem Gezweig hing ein tauglitzerndes Spinnennetz.
Das interessierte Barro. Er stellte sich auf die Hintertatzen, schob seine kleine Schnauze in das feinmaschige Gewebe. Und es zerriß. Lose Fäden klebten auf seiner Nase. Unbeholfen versuchte er, sie mit der Pfote wegzuwischen. Nur half das nicht viel. Überall in seinem zotteligen Fell hingen die Fäden. Und mit seinen Ohren spielte der Wind.
Auch die Bärin schnupperte in die rauhe Luft. Und sie führte die Kleinen in den Windschatten einer flachen Mulde. Hier am Südrand des Hochplateaus war es geschützter. Und als die Sonne durch zerwehende Nebelschwaden brach, wurde es warm. Nun konnten die Jungen trocknen.
Zufrieden wälzte Barro sich am Boden, schnüffelte an Moos und Rentierflechte und spielte eine Weile mit den Zehen seiner Hinterpfoten. Am blaßblauen Himmel sah er ein paar Kraniche ziehen. Doch das grelle Licht tat seinen Augen weh. Und er spürte die Müdigkeit nach der langen Wanderung. Schläfrig schloß er seine Lider.
Plötzlich schreckte er auf. In der Luft ertönte ein seltsames Brummen: gar nicht wie von einem Bären. Es klang viel lauter, viel metallischer. Und es kam schnell näher.
Furchtsam blinzelte Barro nach oben. Über der öden Hochfläche flog etwas heran, glitzernd im Sonnenlicht. Das Brummen wurde zum Dröhnen, unheimlich laut. Dann glitt ein Schatten über das kahle Fjäll, streifte über Barro hinweg und verschwand mit leiser werdendem Gebrumm hinter den fernen Höhenzügen.
Barro hatte sein erstes Flugzeug gesehen. Und es machte ihm angst. Schutzsuchend krabbelte er hinüber zu seiner Mutter. Und sie barg ihre Kinder tröstend an ihrem weichen Fell.
Hungriger Wolf
Ein heller Morgen wölbte sich über dem Tal. Hoch oben in durchsichtiger Bläue trieben zwei Kolkraben ihre kreisenden Spiele. Der Wiesenhang leuchtete blütenbunt. Schmetterlinge gaukelten zwischen Kratzdisteln und Eisenhut. Insekten summten aufdringlich. Und irgendwo am dichtbewachsenen Bachufer quakte ein verspäteter Frosch.
Die Bärin zog mit ihren Kindern bachabwärts. Aber sie ließ sich Zeit, stopfte sich den Bauch voll mit schmackhaften Gräsern und Kräutern. Und die Kleinen tobten spielend zwischen Dickicht und Uferrand.
Hier am Unterlauf weitete sich die Talsohle, übersät mit angespültem Geröll. Vom Hochwasser zerzaustes Weidengebüsch wucherte bis dicht ans Wasser. Dahinter am Berghang begann der Fichtenwald. Das Gelände war unübersichtlich, verbarg die zurückgebliebene Bärin.
Barro kümmerte sich nicht darum. Er hörte Burri hinter sich, das genügte ihm. Am Boden zwischen dem Grün entdeckte er eine Spur: eine frische Spur. Und die roch fremdartig. Das machte ihn neugierig. Unbefangen tappte er der Spur nach, streifte geräuschvoll durchs Gestrüpp.
Mit einemmal stutzte er. Etwas kleines Pelziges flitzte vor ihm durchs Gras und verschwand hinter einem moosbedeckten Fels. Und das reizte Barro. Zwar war er noch ein Milchkind und wollte nicht jagen, aber er wollte spielen. So sauste er mit drolligen Sprüngen hinterher. Doch das kleine Pelztier bekam er nicht. Der Waldlemming war schneller als er.
Dafür stand Barro hinter dem Fels plötzlich etwas viel Größerem gegenüber. Und das roch genau wie die Spur: ein grauhaariges, hochbeiniges Tier. Es war ein Wolf, ein alter einsamer Wolf, den sein Rudel ausgestoßen hatte und der hier im wärmeren Süden unterhalb des Polarkreises allein zurückgeblieben war. Für den altersschwachen Wolf blieb nur noch die Jagd auf kleinere Beute. Schon von weitem hatte er die Bärenkinder gewittert. Geifer troff von seinen Lefzen. Und aus seiner Kehle drang ein tiefes Knurren.
Vor Schreck wagte Barro kein Glied zu rühren. Er stand wie gelähmt, starrte auf die gefährlich spitzen Reißzähne des Wolfes. Da raschelte es vernehmlich hinter dem Felsblock. Der Wolf horchte auf, abgelenkt durch das Geräusch, und blickte in die andere Richtung.
Diesen Moment nutzte Barro. Wie gehetzt rannte er seitlich ins Gebüsch. Zweige und Äste peitschten sein Fell. Und einer traf seine Nase. Doch er achtete nicht darauf, stieß um ein Haar gegen den Stamm einer Birke. Und hinter sich hörte er das Hecheln des Wolfes.
Instinktiv umkrallte Barro den Baumstamm, zog sich nach oben. Doch so schnell er auch kletterte, der Wolf war fast im gleichen Augenblick heran. Mit einem gewaltigen Satz sprang er am Stamm hoch. Seine Kiefer schlugen zusammen, gerade als Barro seine rechte Hintertatze nachzog.
Aber Barro hatte Glück. Nur ein Fetzen von seinem Fell blieb zwischen den Wolfszähnen. Und Klettern konnte der Wolf nicht. Dann war Barro außer Reichweite. Von einem Seitenast blickte er angstvoll nach unten.
Der Wolf verharrte unschlüssig. Barro sah sein gesträubtes Fell, seine hochgezogenen Lefzen. Und er sah noch etwas anderes. Burri hatte ihren Bruder oben auf dem Seitenast im Wipfel der Birke entdeckt. Und nichtsahnend kam sie direkt auf den Wolf zu, den sie durch das wuchernde Gestrüpp am Boden nicht erkennen konnte.
Jetzt witterte der Wolf die neue Beute, hörte den tapsigen Bärentrott der kleinen Burri. Und ein lauernder Ausdruck glimmte in seinen Augen.
In diesem Augenblick übertönte ein anderes Geräusch Burris Tappen. Gar nicht weit entfernt brach ein mächtiger Körper durchs Gebüsch, Äste krachten, Steine polterten. Und es wurde lauter, kam näher. Dazwischen erklang ein tiefes Brummen, untermischt mit wütendem Fauchen.
Sekundenlang zögerte der Wolf, dann schoß er auf Burri los, deren pelziger Kopf eben zwischen niedrigem Gezweig auftauchte. Und schon war der Wolf mit einem Sprung über ihr. Doch er kam nicht zum Zubeißen.
Die Bärin hatte den Wolf gewittert, mit ihrem scharfen Gehör seine Stimme erkannt. Und sie hatte Barros Flucht auf den Birkenwipfel gesehen. Dröhnend preschte sie heran.
Der Wolf fuhr herum. Doch bevor er ausweichen konnte, traf ihn ein gewaltiger Prankenschlag der Bärin. Meterweit flog er durch die Luft, krachte dicht bei einem Baumstumpf zu Boden und blieb regungslos liegen.
Burri flüchtete erschrocken zu ihrer Mutter. Liebevoll leckte die Bärin ihrem verängstigten Kind übers Gesicht, immer wieder. Und es dauerte noch eine ganze Weile, bis Barro sich von seinem Baumwipfel herunterwagte.
Honig mit Bienen
An diesem Abend kehrte die Bärin mit ihren Kindern nicht zur Höhle zurück. Bis weit in die Dämmerung streifte sie durch das Tal. Ein lauer Wind wehte von Südwesten, trieb faserige Wolkenfetzen vor die Mondsichel. Von irgendwoher erklang ein Eulenruf. Und als die Bärin spürte, daß ihre Kinder müde wurden, suchte sie im weichen Moos unter überhängendem Fels einen ruhigen Schlafplatz.
Barro kuschelte sich dicht an den warmen pelzigen Bauch seiner Mutter. Hier fühlte er sich geborgen. Nur war es anders als in der alten Höhle.
Die Geräusche der Nacht klangen deutlicher. Und es war heller. Sterne funkelten kalt am nachtschwarzen Himmel. Und manchmal wehte der Wind von fern die Schritte eines nächtlichen Tieres zu den Schläfern herüber.
Die Bärin schnarchte mit tiefem grollendem Ton. Das war ein vertrautes Geräusch. Barro lag auf der Seite, hatte seinen Kopf auf seine kleinen Tatzen gelegt und schlief. Und er schlief tief und fest, bis ein schräg einfallender Sonnenstrahl ihm die Nase wärmte.
Verdutzt blinzelte Barro in das helle Licht. Eine dicke Fliege summte an seinem Ohr, übertönte das Schnarchen seiner Mutter. Burri wälzte sich unruhig im Schlaf. Und draußen im Wald begann ein Specht zu hämmern.
Jetzt wurde auch die Bärin munter. Behutsam schob sie ihre Kinder zur Seite und setzte sich auf, schnupperte die frische Morgenluft. Und sie horchte aufmerksam auf die Geräusche. Doch außer den morgendlichen Vogelstimmen und dem Knuspern eines Eichhörnchens in einer nahen Fichte war nichts zu hören. Aber sie sah etwas, sah unter dem Felsvorsprung hervor unweit einen Fuchs