Hans Leip

Des Kaisers Reeder


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Gesicht der Dame ist durch einen violett-grauen Schleier verhüllt. Die Stimme klingt wie verstellt darunter hervor: „Wie ich schon betonte, erwarte ich kein Billett in das Paradies der Freiheit, sondern in das der Unfreiheit.“ Hinter Ballins Stirn blitzt für einen Moment die Frage auf, wer nun eigentlich verrückt sei: er, der am hellichten Tage Träumende, oder die exaltierte Weibsperson hinter dem Tresen. Er tastet sich vorsichtig weiter: „Meinen Sie vielleicht Rußland? Dahin haben wir zur Zeit noch keine Verbindungen.“

      Auf einmal aber geht ihm auf, wer sich hinter dem Schleier verbirgt, aber er verrät sich nicht.

      Und da sagt Marianne ganz leise, so daß es kein anderes Ohr mehr erreicht als das seine: „Ach nein, ich meine eine ganz private Unfreiheit.“

      Mit einem Schlage ist er hellwach, aber seine Beine sind wie aus Gummi. Er schickt den Kommis in den Lagerraum. Dann erwidert er mit gespieltem Ernst: „Madame, Sie verlangen Unmögliches von unserer Reederei; wir treiben keinen Sklavenhandel.“

      Die Dame genießt es, ihn so beherrscht zu finden, dann lüftet sie den Tüll und lacht hell. Sie beugt sich über die dunkle, glattgewetzte Passageschranke. Der Stoff ihres Sommermantels berührt seine Hände. Und durch die Zähne flüstert sie ihm zu: „Und wenn ich lauter schwarzlockige Jungs mit Schnurrbärten kriege – ich heirate dich doch.“

      *

      Herr Wuttke, der geschmeidige junge Prokurist des Juweliers an der Ecke vom Neuen Wall und dem Jungfernstieg, hält eine erbsengroße Perle unter die goldgefaßte Lupe. Er hebt die Augenbrauen und zieht bedenkliche Stirnfalten. „Außer Frage, Herr Ballin – echt ist sie“, sagt er verbindlich und wiegt das leichte Etwas in der Hand. „Aber das Stück ist höchst geschickt aus zwei Hälften zusammengesetzt und offenbar hohl, wahrscheinlich mit einer Art Flüssigkeit gefüllt.“

      „Also doch. Kann man nicht trotzdem eine Nadel daran befestigen?“

      Wuttke untersucht abermals, er nimmt ein Mikroskop zur Hilfe, das Ergebnis ist befriedigend. Die Höhlung scheint nicht gleichmäßig, ein Teil der Wandung ist somit hinreichend dick, um ein feines Bohrloch aufnehmen zu können.

      „Das Übrige ist höchst zerbrechlich, Herr Ballin. Die Ausgabe lohnt sich kaum.“

      „Es ist ein Andenken, Herr Wuttke.“

      „Dann ist es eo ipso teuer und berechtigt zu allem Weiteren. Außerdem, wirklich, der Glanz hat sich auffallend gut erhalten, wenn man bedenkt, daß diese Perle einige hundert Jahre alt sein dürfte.“

      „Es soll eine Indianerperle sein.“

      Wuttke nickt. Er ist ein Mann von Erfahrung. Gleichwohl lockt ihn noch immer das Abenteuerliche an dem Handel mit Pretiosen. „Das dachte ich gleich“, erwidert er prüfenden Seitenblicks auf den kleinen dunklen Herrn, der ihn, den Kopf lauschend geneigt, aus funkelnden Pincenezgläsern beobachtet. „Eine Majaperle, Herr Ballin. Wissen Sie auch, daß der Inhalt lebensgefährlich sein könnte? Ich würde vorschlagen, ihn bei der Montage vorsichtig zu entfernen.“

      „Gerade das möchte ich vermieden sehen und bitte, die Nadel nur in meiner Anwesenheit einzufügen.“

      Wuttke verbeugt sich. Der Kunde ist überall König. Und er bittet Herrn Ballin in die Werkstatt.

      Während der kleinen Prozedur weiß er fesselnd zu plaudern. „Sehen Sie, vor Jahren – ich war noch Lehrling – kommt eines Tages ein statiöser Herr, Haziendenbesitzer vom Scheitel bis zur Sohle, in den Laden und bringt genau so eine Perle, um sie fassen zu lassen. Er hatte einen Hund mit, eine Dogge, grau-gelb, dänisch, hoch wie ein Flußpferd. Der Chef untersucht die Perle und zuckt die Achseln: Tut mir leid, damit möchte ich nichts zu tun haben. Der Grande, erstaunt, bittet, den Wert zu schätzen. Aber der Prinzipal schüttelt den Kopf. Nichts wert? braust der Señor auf. – Liebhaberwerte entziehen sich der Notierung, entgegnet der Chef verbindlich und reicht das Stück zurück. – Da, friß! ruft der Haziendero verächtlich. Und ehe man ihn hindern kann, wirft er die Perle seinem Hunde in den vertrauensvoll aufgesperrten Rachen. Was soll ich Ihnen sagen, Herr Ballin? Ehe noch der Kunde, sich kaum verabschiedend, die Ladenschwelle überschritten hat, fällt das riesige Hundevieh plötzlich um, ohne jeden Laut, streckt alle viere von sich und ist mausetot!“

      „Interessant“, sagt Ballin leichthin. „Man kann nie wissen, ob man das eines Tages nicht mal brauchen kann.“

      „Mein Prinzipal hatte bewußt vermieden, zu betonen, daß eine Firma unseres Ranges niemals Hilfestellung leisten sollte bei dem Spiel mit dem Gedanken an Mord oder Selbstmord.“ Der Juwelier hat eine Uhrmacherlupe ins Auge geklemmt und betrachtet seinen Kunden durch dieses drohende Magierauge.

      Ballin lächelt: „Sie vergessen, Herr Wuttke, daß jede Art von Schmuck Anreiz zum Verbrechen in sich trägt und daß – Hundemord gegebenenfalls eine höchst wohltätige, jedenfalls aber ganz und gar persönliche Angelegenheit sein kann, obschon derartiges weder für Sie noch für mich jemals in Betracht kommen dürfte.“

      „Selbstredend, Herr Ballin. Diese Majaperlen müssen übrigens äußerst geschickte Hersteller gehabt haben. Denn der ausgebohrte Hohlraum ist, wie die Forschung festgestellt hat, mit einem harzigen Lack unbekannter Herkunft aufs feinste ausgepinselt, so daß der Inhalt die Perlwandung keinesfalls angreifen kann. Kalziumkarbonat, als Kesselstein bekannt und für uns nur lästig, als Marmor begehrt, als Perle eine Kostbarkeit, hat das Zeug zu ebenso verblüffender Karriere wie Steinkohle und Ruß zum Diamanten. Derartiges soll auch bei Menschen Vorkommen. Die Struktur macht es und die Seltenheit. Die Perle ist meergeboren und sozusagen lebendig gezeugt, sie hat entschieden etwas Unheimlicheres als ein erdgeprägter Diamant. Man sagt gern: Perlen bedeuten Tränen. Als Juwelier darf ich freilich so etwas nicht nachsprechen.“

      „Es gibt auch Freudentränen, Herr Wuttke.“

      „Richtig! Möge auch Ihr Kleinod, Herr Ballin, nie von anderen feucht werden.“ Seine geschickten Finger hantieren mit winzigen Werkzeugen. Dann hebt er wieder den Blick. Die Uhrmacherlupe wie eine Pistolenöffnung auf sein Gegenüber gerichtet. Und als gälte es ein Geschäft auf Gegenseitigkeit in Gang zu bringen: „Ich habe eine Schwäche für alles Gefährliche. Ich bin Sportler. Die Riesenwelle am Reck ist mir ein besonderes Vergnügen, denn wenn man losläßt, kann man das Genick brechen. Ich sehe in dem Wasser dieser Perle, in ihrer seltsam durchstrahlten Taubheit, möchte ich sagen, den Schmelz einer jahrhundertelangen Verhinderung. Nicht wahr? Einer Aufgespartheit geradezu. Als die tote Dogge schon fast vergessen war, kam eines Tages ein gewisser Doktor Seler herein, der bekannte Mexikoforscher, eben im Begriff sich nach drüben einzuschiffen. Er kaufte ein Tafelbesteck, weil ihm das an Bord gebotene nicht zusagte.“

      „Bei der Hamburg-Amerika Linie?“

      „Ja, bei der Hapag, Westindiendienst.“

      „Muß besser werden“, murmelte Ballin.

      „Wie meinen?“

      „Fahrgäste sollten sich wie zu Hause und noch besser fühlen.“

      „Sie waren viel unterwegs?“

      „Ich bin von der Schiffahrt, Herr Wuttke.“

      „Das ist gut, wir würden das Bordsilber zu entsprechenden Bedingungen mit Vergnügen liefern. Ein Alpaka ungewöhnlicher Qualität und wirklich preiswürdig.“

      „Sie wollten von Dr. Seler erzählen, Herr Wuttke!“

      „Richtig. Der Doktor sagte, als unser Gespräch darauf kam, solche Majaperlen seien bevorzugten Opferjünglingen von Priesterhand heimlich in den Mund gegeben worden, ehe ihnen das Herz bei lebendigem Leibe aus der Brust gerissen wurde. Die so Ausgezeichneten konnten dann nach Belieben zögern, die tödliche Giftdosis zu schlucken, wenn es ihnen darauf ankam, gottgefälligerweise die schauderhafte Tortur wachen Sinnes ganz auszukosten.“

      „Schlucken allein dürfte wohl nicht genügt haben.“

      „Seler meinte, Versuche hätten ergeben, daß die Magensäure diese Sorte Perlen in Sekundenschnelle aufzulösen vermag. Der Tod träte fast augenblicklich ein. Schlagartige Lähmung des Kreislaufs. Aus. Wie bei der