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Nataly von Eschstruth
Von Gottes Gnaden II
Roman
Mit Illustrationen von A. Mandlick.
Saga
Von Gottes Gnaden - Band II
German
© 1894 Nataly von Eschstruth
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711448175
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com
XIII
Wundersame Nacht! — Es dunkelt so früh, — die Wolken jagen wie phantastische Spukgebilde über den fahlen Himmel, und grell, unvermittelt, wie von Geisterhänden launisch geworfen, zucken blasse Mondstrahlen über die stille Welt, wenn die Dunstmassen sich teilen oder gleich flatternden Schleiern zerreissen.
Der Sturm saust daher, wirbelt welkes Laub auf und treibt es dem einsam schreitenden Mann ins Gesicht; kühl, regenfeucht.
Still ringsum, — totenstill, nur in den Bäumen rauscht und ächzt es, und das Hofthor schmettert ins Schloss.
Von Mensch und Tier kein Laut.
Nur dort naht eine dunkle, schattenhafte Gestalt. Der Schritt verklingt in dem weichen Erdreich, kein Mantel flattert und klatscht im Wind, Wigand verschmäht ihn bei seinem abendlichen Rundgang. Langsam, gedankenvoll schreitet er dahin, ahnungslos, dass auf der Veranda, im Dunkel des Pfeilers eine schlanke Mädchengestalt lehut, welche mit vorgeneigtem Köpfchen auf ihn nieder schaut.
Erika.
Ihr Blick umfasst die Gestalt des jungen Mannes, als schaue sie ihn zum erstenmal. Und just, als wolle er ihr liebevoll helfen, schiebt der Mond sein freundlich Gesicht durch die Wolken und verklärt den einsamen Wandrer mit Silberlicht.
Erika sieht ihn vor sich, in der verspotteten Düffeljoppe, in den mächtigen Stiefeln, welche sie sonst so unschön und lächerlich gefunden.
Heute kam ihr kein ähnlicher Gedanke. Sie hat nur noch das Empfinden, eine hohe, markige Männergestalt zu sehen, so fest und eisern, dass alle Versuchung und alle Anfechtung der Welt sie nicht ins Wanken zu bringen vermögen.
Und dann schaut sie in sein Angesicht.
Das Mondlicht umgibt es mit einem Glorienschein — oder liegt es nur an dem Auge der Lauschenden, dass es ihr deucht, von dem ruhigen, treuen Antlitz gehe ein Strahlen aus, ebenso rein, ebenso makellos hell, wie die Seele, welche hinter dieser Stirn wohnt? —
Er sieht nicht glücklich, nicht heiter aus, im Gegenteil, eine stille Resignation, ein fremder Schmerzenszug liegt in dem sonst so liebenswürdigen Gesicht. Und jetzt hebt er das Haupt und blickt zu ihrem Fenster empor, — bleibt zögernd stehen und wartet, ob nicht vielleicht ihr Schatten an der hellen Scheibe vorüber gleitet.
Und der Mond leuchtet noch heller denn zuvor, und Erika sieht mehr, viel mehr, wie sie eigentlich sehen wollte, sie sieht, wie schwer es Wigand heute geworden ist, sich zum Anwalt ihres Glückes zu machen. —
Ein Windstoss pfeift um das Haus, Wolken jagen verhüllend über den Himmel, und Landen schrickt empor wie aus tiefem Traum und schreitet hastig weiter.
Erika aber wickelt sich fester in ihren Shawl und huscht die Treppe hinab, denselben Weg entlang zu eilen welchen Wigand soeben gekommen.
Sie muss hinaus in die frische, stürmische Nacht, sie muss allein sein mit ihren Gedanken!
Noch nie im Leben hat ihr etwas einen so tiefen, nachhaltigen Eindruck gemacht, wie Wigands Fürsprache bei ihrer Mutter.
Noch nie ist sie derart überrascht, beschämt und verwirrt gewesen, als wie in diesem Augenblick. Ihr ruhiges Gleichgewicht hat einen Stoss erhalten, der sie auf völlig neue Bahnen drängt. —
Ein Gefühl tiefer, unaussprechlicher Bewunderung erfüllt sie. Sie bewundert plötzlich einen Mann, den sie ehedem nur in Freundschaft achtete, den sie mehr noch voll Übermut und Engherzigkeit belächelt, weil er zu sparsam und vernünftig war, hier in der Einsamkeit einen thörichten Kleiderluxus zu treiben.
Dass er eine treue, opfermutige Seele war, hatte sie nach des Vaters Tod schon zu ihrer eigenen Beschämung erfahren, dass er aber so edel, so selbstlos sein eigen Wollen und Wünschen unter die Füsse trat, um nur sie glücklich zu machen, das hatte sie nicht erwartet, und das traf sie voll erschütternder Gewalt.
Der Gedanke, von ihm geliebt zu sein, peinigte und quälte sie und erfüllte sie dennoch wieder mit einem Gefühl stolzer Freude, in diesem vortrefflichsten aller Herzen so fest und innig beschlossen zu sein!
Und zwischendurch drängen sich ihr unaufhaltsam stets neue Vergleiche zwischen ihm und Joël auf. All ihre phantastisch verblendete Neigung, welche lediglich auf der Schönheit ihres Ideals basiert, kann es nicht verhindern, dass stets neue Schatten auf das strahlende Bild des „Gottbegnadeten“ fallen.
„Nimmt man ihm seine Schönheit, was bleibt noch liebenswertes an ihm?“
Erika presst die Hände vor die Augen; sie will es nicht sehen. Sie klammert sich an die Illusion, dass er ein hochtalentierter Mann, einer jener nervösen, leidenschaftlich gereizten Musiker ist, wie es nun einmal das Schaffen und Arbeiten dieser beklagenswerten Glücklichen mit sich bringt.
Unliebenswürdig! Welch ein berühmter Musiker ist liebenswürdig, welcher ist geduldig, ruhig, kaltblütig wie andere Sterbliche gewesen? — Keiner.
War es aber auch ein Glück für die betreffende Gattin, ihr ganzes Sein und Wesen unter den Ausbrüchen solcher Feuerseele in ein Nichts zusammenschrumpfen zu sehen?
Warum ist es eine eigenartige Thatsache, dass im seltensten Fall die Ehe eines bedeutenden Musikgenies von Bestand ist? Von wie viel geschiedenen und getrennten Ehen kann unser modernes Kunstleben auf dem Gebiet der Musik erzählen, wie wenig dauerhaftes Glück hat es zu verzeichnen!
Erika fröstelt bei diesem Gedanken.
Joël ist schon jetzt rücksichtslos, gereizt und von nervöser Unliebenswürdigkeit, wie soll das mit den Jahren werden, wenn sein aufreibender Beruf an ihm zehrt, wenn ihn Erfolge noch anspruchsvoller, Misserfolge noch verbitterter und grillenhafter machen?
Und doch, kann nicht auch ein grosser, glänzender Erfolg alles zum besten wenden und eine Krise in seinem Charakter herbeiführen, welche den Missmutigen, so lange Zeit durch den Willen des Vaters Unterdrückten und Gequälten, jählings an Leib und Seele gesunden lässt?
Das junge Mädchen möchte sich gern in die Überzeugung hineinleben, aber stets kommt ihr von neuem der Gedanke, dass Joëls Wesen nicht von momentanen Widerwärtigkeiten beeinflusst, sondern stets von unliebenswürdigen Eigenschaften durchsetzt gewesen ist.
Hat Wigand nicht unvergleichlich mehr des Harten und Traurigen durchgemacht? Ist er, der früh Verwaiste, nicht von Kindesbeinen an ein Stiefkind des Glückes gewesen? Hat er nicht stets von ferne stehen müssen, wenn Joël sich im Vollgenuss des Lebens freute, hat er nicht in saurer Arbeit um seine Existenz ringen müssen, viel schwerer und bitterer, als Joël in den drei Monaten seiner „Verbannung“, wo er die Hände im Schoss, wie ein Prinz gelebt und dennoch ununterbrochen gemurrt und getobt hatte?
Angesichts jenes Kampfes um Sein und Nichtsein, wie Wigand ihn zeitlebens geführt, erscheint das kurze Ringen Joëls wie ein Tropfen gegen Meeresflut. Hat Wigand jemals ein Wort der Erbitterung über sein freudloses Dasein laut werden lassen? — Nein! Er dankte voll kindlicher