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Friedrich Schiller
Die Verschwörung des Fiesco zu Genua
Ein republikanisches Trauerspiel.
1783.
Nam id facinus inprimis ego memorabile
existimo sceleris atque periculi novitate.
Sallust vom Catilina.
Saga
Die Verschwörung des Fiesco zu GenuaCoverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 1783, 2020 Friedrich Schiller und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726544879
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 2.0
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Vorrede.
Die Geschichte dieser Verschwörung habe ich vorzüglich aus des Kardinals von Retz Conjuration du Comte Jean Louis de Fiesque, der Histoire des Conjurations, der Histoire de Gènes und Robertsons. Geschichte Karls V. — dem dritten Teil — gezogen. — Freiheiten, welche ich mir mit den Begebenheiten herausnahm, wird der Hamburgische Dramaturgist entschuldigen, wenn sie mir geglückt sind; sind sie das nicht, so will ich doch lieber meine Phantasien als Fakta verdorben haben. Die wahre Katastrophe des Komplotts, worin der Graf durch einen unglücklichen Zufall am Ziel seiner Wünsche zugrunde geht, musste durchaus verändert werden, denn die Natur des Dramas duldet den Finger des Ohngefährs oder der unmittelbaren Vorsehung nicht. Es sollte mich sehr wundern, warum noch kein tragischer Dichter in diesem Stoffe gearbeitet hat, wenn ich nicht Grund genug in eben dieser undramatischen Wendung fände. Höhere Geister sehen die zarten Spinneweben einer Tat durch die ganze Dehnung des Weltsystems laufen und vielleicht an die entlegensten Grenzen der Zukunft und Vergangenheit anhängen — wo der Mensch nichts, als das in freien Lüsten schwebende Faktum sieht. Aber der Künstler wählt für das kurze Gesicht der Menschheit, die er belehren will, nicht für die scharfsichtige Allmacht, von der er lernt.
Ich habe in meinen Räubern das Opfer einer ausschweifenden Empfindung zum Vorwurf genommen. — Hier versuche ich das Gegenteil, ein Opfer der Kunst und Kabale. Aber so merkwürdig sich auch das unglückliche Projekt des Fiesco in der Geschichte gemacht hat, so leicht kann es doch diese Wirkung auf dem Schauplatz verfehlen. Wenn es wahr ist, dass nur Empfindung Empfindung weckt, so müsste, deucht mich, der politische Held in eben dem Grade kein Subjekt für die Bühne sein, in welchem er den Menschen hintenansetzen muss, um der politische Held zu sein. Es stand daher nicht bei mir, meiner Fabel jene lebendige Glut einzuhauchen, welche durch das lautere Produkt der Begeisterung herrscht; aber die kalte, unfruchtbare Staatsaktion aus dem menschlichen Herzen herauszuspinnen und eben dadurch an das menschliche Herz wieder anzuknüpfen — den Mann durch den staatsklugen Kopf zu verwickeln — und von der erfindrischen Intrige Situationen für die Menschheit zu entlehnen — das stand bei mir. Mein Verhältnis mit der bürgerlichen Welt machte mich auch mit dem Herzen bekannter, als dem Kabinett, und vielleicht ist eben diese politische Schwäche zu einer politischen Tugend geworden.
Personen des Stücks.
Andreas Doria, Doge von Genua. Ehrwürdiger Greis von 80 Jahren. Spuren von Feuer. Ein Hauptzug: Gewicht und strenge befehlende Kürze. | Zenturione, Missvergnügte. Zibo, Missvergnügte. Asserato, Missvergnügte. Romano, Maler. Frei, einfach und stolz. |
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Gianettino Doria, Neffe des Vorigen. Prätendent. Mann von26 Jahren. Rauh und anstössig in Sprache, Gang und Manieren. Bäurisch-stolz. Die Bildung zerrissen. (Beide Doria tragen Scharlach.) | Muley Hassan, Mohr von Tunis. Ein konfiszierter Mohrenkopf. Die Physiognomie eine originelle Mischung von Spitzbüberei und Laune. Deutscherd. herzoglichen Leibwache. Ehrliche Einfalt. Handfeste Tapferkeit. |
Fiesco, Graf von Lavagna. Haupt der Verschwörung. Junger, schlanker, blühendschöner Mann von 23 Jahren — stolz mit Anstand — freundlich mit Majestät — höfischgeschmeidig, und eben so tückisch. (Alle Nobili gehen schwarz. Die Tracht ist durchaus altdeutsch.) | Drei aufrührerische Bürger. Leonore, Fiescos Gemahlin. Dame von 18 Jahren. Blass und schmächtig. Fein und empfindsam. Sehr anziehend, aber weniger blendend. Im Gesicht schwärmerische Melancholie. Schwarze Kleidung. |
Verrina, verschworner Republikaner. Mann von 60 Jahren. Schwer, ernst und düster. Tiefe Züge. Bourgognino, Verschworner. Jüngling von 20 Jahren. Edel und angenehm. Stolz, rasch und natürlich | Julia, Gräfin Witwe Imperiali, Dorias Schwester. Dame von 25 Jahren. Gross und voll. Stolze Kokette. Schönheit, verdorben durch Bizarrerie. Blendend und nicht gefallend. Im Gesicht ein böser mokanter Charakter. Schwarze Kleidung. |
Calcagno, Verschworner. Hagrer Wollüstling. 30 Jahre. Bildung gefällig und unternehmend. | Bertha, Verrinas Tochter. Unschuldiges Mädchen. |
Sacco, Verschworner. Mann von 45 Jahren. Gewöhnlicher Mensch. | Mehrere Nobili, Bürger. Rosa, Arabella. Leonorens Kammermädchen. |
Lomellino, Gianettinos Vertrauter. Ein ausgetrockneter Hofmann. | Deutsche, Soldaten, Bediente, Diebe. |
Der Schauplatz Genua. — Die Zeit 1547.
Erster Aufzug.
Saal bei Fiesco. Man hört in der Ferne Tanzmusik und den Tumult eines Balls.
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Erster Auftritt.
Leonore maskiert. Rosa, Arabella fliehen zerstört auf die Bühne.
Leonore(reisst die Maske ab) . Nichts mehr! Kein Wort mehr! Es ist am Tag. (Sie wirft sich in einen Sessel.) Das wirft mich nieder.
Arabella. Gnädige Frau —
Leonore(aufstehend). Vor meinen Augen! eine stadtkundige Kokette! im Angesicht des ganzen Adels von Genua! (Wehmütig.) Rosa! Bella! und vor meinen weinenden Augen.
Rosa. Nehmen Sie die Sache für das, was sie wirklich war — eine Galanterie —
Leonore. Galanterie? — und das emsige Wechselspiel ihrer Augen? das ängstliche Lauern auf ihre Spuren? der lange verweilende Kuss auf ihren entblössten Arm, dass noch die Spur seiner Zähne im flammroten Fleck zurückblieb? Ha! und die starre tiefe Betäubung, worein er, gleich dem gemalten Entzücken, versunken sass, als wär’ um ihn her die Welt weggeblasen und er allein mit dieser Julia im ewigen Leeren? Galanterie? — gutes Ding, das noch nie geliebt hat, streite mir nicht über Galanterie und Liebe.
Rosa. Desto besser, Madonna. Einen Gemahl verlieren heisst zehn Cicisbeo Profit machen.
Leonore. Verlieren? — ein kleiner aussetzender Puls der Empfindung und Fiesco verloren? Geh’, giftige Schwätzerin — komm’ mir nie wieder vor die Augen! — Eine unschuldige Neckerei — vielleicht eine Galanterie? Ist es nicht so, meine empfindende Bella?
Arabella. O ja! ganz zuverlässig so!
Leonore(in Tiefsinn versunten). Dass sie darum in seinem Herzen sich wüsste? — dass hinter jedem seiner Gedanken ihr Name im Hinterhalt läge? — ihn anspräche in jeder Fussstapfe der Natur? — Was ist das? wo gerat’ ich hin? Dass ihm die schöne majestätische Welt nichts wäre, als der prächtige Demant, worauf nur ihr Bild — nur ihr Bild gestochen ist? — dass er sie liebte? — Julien! O deinen Arm her — halte mich, Bella!
(Pause.