Max Geißler

Der Heidekönig


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      Max Geißler

      Der Heidekönig

      Roman

      Saga

      Der Heidekönig

      © 1919 Max Geißler

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711467657

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      In diesem Buch wird von Matheis Maris erzählt, der ein niederländischer Maler war von bedeutendem Ruf. Manch äusseres und inneres Geschehnis ist seinem, Leben entnommen; aber es ist nicht viel von Malerei die Rede oder gar davon, wie diese Kunst zu handhaben sei. Es kommt darauf nicht an. Jener Matheis Maris könnte ebensogut ein Dichter sein oder sonst einer, dem die Gnade des Schöpfers ein Kleinod in die Brust gelegt hat, welchem in Demut zu dienen ist. Es wird gehandelt von dem Einsatze des Äussersten zur Vollendung, von der Sehnsucht eines Ausserordentlichen unter den Menschen, von der Abseitigkeit ohne Sinn für Ruhm und Vergnügen: von dem Triebe des Genius. — Dieses Buch ist nicht die Geschichte eines Malers. Es ist die Geschichte einer Menschwerdung.

      1.

      Lehrjahre

      Das kleine Haus, in dem Matheis Maris geboren war, stand draussen am Rand eines holländischen Moores. Als Knabe schritt er in wuchtigen Holzschuhen über den braunen federnden Grund, sah den Enten zu, die auf den vielen geraden Wassergassen mit ihren Kindern spazierenschwammen, oder er schoss mit einem ungefährlichen Jungenpfeil nach dem Reiher, der sich des Morgens aus den Goldnebeln über der weiten heimatlichen Ebene herausschlug mit königlichem Schwingenschlage.

      Er hatte noch zwei jüngere Brüder — Jakob und Willem —, die auch zur Kunstmalerei gelangten, aber zu einer wesentlich anderen Weltauffassung als er. Was an seiner Erstgeburt lag; denn Matheis, als der älteste, war in jenen Knabenjahren auf sich selbst gestellt, in denen das Licht in der Seele angeht, nach welchem der Mensch wandern muss sein Lebtag. Ja, so war das mit Matheis Maris. Menschen, die in jenen bedeutsamen Kinderjahren mit Einsamkeit und Natur hantieren, werden gemeinhin die besten und tüchtigsten; ihrer viele werden schöpferisch; aber sie bleiben von einer Feinfühligkeit — dies Wort trifft nicht; es muss heissen: Sensibilität —, mit welcher sie fremd unter Menschen gehen. Alle und ausnahmslos.

      Matheis Maris war ein Träumer von Kind an. Nicht ein krankhafter, romantischer, tatenloser Träumer, sondern einer, wie sich ihn die Weisheit der Natur bildet in heilig befruchtender Kraft.

      Einmal an einem zweiten Weihnachtsfeiertag, an dem die holländische Heide recht funkelblank und frosteinsam war, stapfte der Jungmann Matheis Maris über das gefrorene Moor. Da kam Nele Greefs des Wegs. „Ah, sieh mal einer an — der Matheis!“ — „Und wo willst du denn hin, Nele Greefs?“ Hurrjeh, was für ein Frühling blühte aus diesem Mädel! Aus den Augen, aus den Lippen, aus den Wangen, aus dem sonnenhellen Haar und unter der hellblauen Strickjacke, die sie zu Weihnachten bekommen hatte. Hurrjeh!

      Nele Greefs lachte dem wippenden Jan van Moor mitten ins Herz. „Wo soll ich denn hinwollen? Ist nicht Tanz bei euch im Dorfe? Unsereinen von der Heidekante holt keiner dazu! So muss ich mir einen suchen. Na, Matheis Maris, wie ist das — möchtest du mich nicht zum Tanze führen?“ Sie schob ihm auch gleich den runden Arm unter den Knochen, der ihm von der Schulter baumelte wie Flegelholz, und blitzte ein paar Augen voller Frühling durch ihn hindurch. Jan van Moor meinte: jetzt, die Welt ist mit einem Sprunge hineingehüpft in den ersten Mai!

      Und weil er das Mädel so von innen heraus anlachte, besann sie sich und sagte, just wegen seiner sei sie diesen Weg gekommen, der an des alten Stijn Maris Heidehause vorüberführte. An dem kleinen Giebelfenster hätte sie mit ihren Fingern den Matheis Maris herausrufen wollen zum Tanze.

      Dem biederen Jan van Moor, dem es sehr merkwürdig in dem steckensteif herabhängenden Arme zuckte — dem biederen Jan van Moor fiel bei der Erzählung von den klopfenden Fingern gleich ein schönes Bild ein von der Sonne, die um die Ostern mit ihren goldenen Händen die ganze Auferstehungsmusik aus der Erde läutet. Verschwiegen sann er diesem Bild ein bisschen nach. Verschwiegen. Denn Mädel von der Heidekante haben zwar helle Augen — aber über die Zäune jener Gärten, in denen die Träume wachsen von der Auferstehungsmusik der Erde, können sie nicht gucken.

      Nele Greefs wusste: Matheis Maris hatte Einfälle wie ein Buch, und er konnte reden wie die Bibel. Einmal an einem Regentage, an dem das Wasser nur so niederklackerte, war er mit dem gelben Postwagen über Land gefahren, bloss um seinen wunderlichen Gedanken nachzuhängen; denn an diesem Tage benutzte die Landpost kein Mensch. Matheis Maris aber fand es sehr schön, in dem gelben Wagen zu sitzen, der so mühselig die Sandstrassen lang mahlte. Die Fenster klapperten gemütlich, der Regen klopfte aufs Dach und die Nebel wälzten sich draussen im Sturm herum. — Ja, so etwas fand Matheis Maris schön.

      Nele Greefs legte gleich ein spitzes Wort auf den roten Flitzbogen ihres Mundes. Aber sie liess es nicht fliegen; denn sie dachte: es ist ein niederträchtiges Gefühl für ein Mädel, allein zum Tanze gehen zu müssen. Und Matheis Maris hätte sie sicherlich stehen lassen, wenn sie ihn jetzt ärgerte. So sagte sie: „Es ist gar nicht ritterlich von dir, dass du dir das so lange überlegst. Bin ich dir nicht hübsch und blank genug?“

      Da sah er sie an — sie wusste genau, wie ungeheuer hübsch und blank sie war. Aber dass sie einen Notnagel aus ihm machte für diesen Tag, das erkannte er nicht. „Nele Greefs — mit einem feinen Mädchen wie du geh ich gerne. Also komm.“ Da gingen sie miteinander.

      Als sie für die Leute in den Häusern in Sehweite kamen, nahm sie ihren Arm aus dem seinen und legte zwei Schritt Weg zwischen sich und ihn. Aber ihre Frühlingsaugen und ihr Lachen flatterten noch um ihn wie Sommervögel um erste Blumen. — Dem Matheis Maris gefiel das sehr.

      Dann kamen sie auf den Tanzboden. Die Geiger und Bläser waren schon alle da. Die Tänzer und Tänzerinnen auch. Deshalb wurden Nele Greefs und ihr Begleiter gleich von hundert Paar Augen aufgefangen. Es war, als hätten diese vielen Augen schon immerzu nach Nele gesucht. Das verschaffte ihr eine grosse Genugtuung; denn sie hatte sich den ungelenken und nachdenklichen Jungen nur angehängt, damit sich etliche andere ärgern sollten. Nun sah sie die Neugier und fühlte sich erst recht umworben. Bald lachte sie sich denn auch mit anderen an Matheis Maris vorüber, als hätte sie diesen Menschen ihr Lebtag nicht gekannt.

      Maris aber hatte auf der gefrorenen Heide gerade Zeit gehabt, sich in Nele Greefs über und über zu verlieben. — Das heisst: eigentlich war das schon so gewesen, so lang er denken konnte! Bereits damals, als sie den gemeinsamen Schulweg miteinander hatten. Aus der Schultür heraus flogen die Kinder wie ein Schwarm schreiender Staren. Auf dem Wege verlor sich eins nach dem anderen. Und zuletzt, zuletzt stapften nur noch Matheis Maris und Nele Greefs weit, weit draussen gegen den Rand der Erde und waren aus dem Lande der Menschen anzusehen wie zwei Käfer, die hinkrabbelten in die blühende Welt.

      Hm. Nun lehnte Matheis Maris an einer Säule aus dunklem Eichenholz mit machtvoll geschnitztem Gewinde. Und es fiel ihm ein: seine Liebe zu Nele Greefs wäre achtzehntausend Kilometer lang; denn er rechnete, er wäre acht Schuljahre mit Nele gewandert, in jedem Jahr an zweihundertfünfzig Tagen acht Kilometer, macht achtzehntausend Kilometer — etliche musste er noch zulegen; denn er hatte darüber hinaus manche Gelegenheit wahrgenommen, das hellichte Heidemädel nicht allein gehen zu lassen ...

      Auf Grund dieser Statistik hätte Matheis Maris offenbar ein Anrecht gehabt auf ein liebenswürdigeres Behaben von Nele Greefs ... Aber auch das war ihm nicht neu. Und da er ein Philosoph und kein weltschmerzlicher Träumer war, fand er sich würdig mit diesem Weihnachtsbegebnis ab.