Will Berthold

Der Krieg der nie zu Ende ging


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      Will Berthold

      Der Krieg der nie zu Ende ging

      SAGA Egmont

      Der Krieg der nie zu Ende ging

      Getreu bis in den Tod (Die Schicksalsfahrt der Bismarck. Sieg und Untergang)

      Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

      Copyright © 2017 by Will Berthold Nachlass

      represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de).

      Originally published 1957 by Süddeutscher Verlag, Germany

      All rights reserved

      ISBN: 9788711727058

      1. Ebook-Auflage, 2017

      Format: EPUB 3.0

      Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      Ich war sein Verfolger, er machte es mir leicht. Unsere Partnerschaft war einseitig. Er hatte mich noch nie gesehen. Ich gehörte auch nicht zu seinem Verein, aber ich kannte sein Foto und sein persönliches Dossier auswendig. Normalerweise wäre für mich Metzlers unauffällige Beschattung ein Kinderspiel gewesen, aber das Terrain, auf dem ich operierte, war heiß.

      Das Regime nannte seinen Machtbereich den „ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat“ – im Westen sprach man in dieser Zeit noch immer von der sowjetischen Besatzungszone. Seit nunmehr elf Jahren führte das Land zwischen Ostsee und Thüringer Wald offiziell die Bezeichnung: Deutsche Demokratische Republik, abgekürzt DDR, was von den Ostdeutschen in verzweifeltem Humor mit D(er) D(ämliche) R(est) übersetzt wurde.

      Ich hätte mich – meinem Auftrag folgend – genausogut an Deschler oder Megede hängen können, aber die beiden gingen weisungsgemäß im Bezirk Neubrandenburg ihrem Erkundungsauftrag nach, während Metzler eine außerplanmäßige Tour nach Leipzig eingelegt hatte. Es war anzunehmen, daß er sich hier mit einem Vierten treffen würde, und diesen Unbekannten mußte ich mir genau ansehen.

      Die „Firma“, für die Metzler arbeitete – ich selbst hatte mit Pullach höchstens indirekt zu tun –, war in letzter Zeit durch eine Reihe von Pannen und Einbrüchen in die roten Zahlen gekommen, so daß ihr der Konkurs drohte, und so hatte man mich als heimlichen Revisor auf drei der „tätigen Agenten im Feind mit dem verdeckten Auftrag“ angesetzt. Alle drei waren wetterfeste, erfahrene Burschen, Top-Leute aus Pullach, über Berlin in die DDR eingeschleust, um auffällige Bewegungen an den Sektoren-Übergängen und im Grenzgebiet zu erkunden. Eine Reihe von Straßen waren umgeleitet worden, Lastwagen mit Drahtsperren und Spanischen Reitern bewegten sich auffällig seit Tagen in Richtung Grenze, wo die Republik-Flüchtlinge in einem bisher noch nie gesehenen Ausmaß in den Westen einströmten.

      Als ich erfahren hatte, daß sich Metzler in einem Hotelneubau am Rande des Messegeländes telefonisch ein Doppelzimmer reservieren ließ, war ich noch in Westberlin gewesen. Ohnedies befand ich mich erst seit vier Wochen wieder in Europa und seit vierzehn Tagen in meinem Geburtsland Old Germany. Es war alles bestens vorbereitet, ich konnte sofort starten. Ich fuhr mit der S-Bahn in den Ostsektor, ließ mich dann von einem Taxi zum ostdeutschen Regierungsflughafen Berlin-Schönefeld karren, und während der Fahrt verwandelte ich mich in den DDR-Bürger Fritz Stenglein, SED-Parteisekretär aus Hoyerswerda in der Lausitz.

      Meinen Namensgeber gab es tatsächlich; er machte zur Zeit verdienten Funktionärs-Urlaub an der Schwarzmeerküste des sozialistischen Bruderlandes Bulgarien. Meine Tarnung würde nur einer sehr oberflächlichen Prüfung standhalten, aber wenn ich mich im Hinterland des Gegners aufhielt, währte meine angenommene Identität selten länger als die Tagesunschuld einer Dirne.

      Ich hatte, pünktlich in Leipzig-Schkeuditz landend, Metzler überrundet und durchschritt ohne Schwierigkeiten die Polizei- und Gepäckkontrolle. Auf einem Parkplatz in der Nähe hatten unsichtbare Helfer einen verbeulten „Trabant“ für mich abgestellt. Als ich sicher war, daß mich niemand beobachtete, schlüpfte ich in den Wagen, fand unter dem Sitz den Zündschlüssel und die Wagenpapiere.

      Ich fuhr los, betont langsam und vorschriftsmäßig. In der DDR kommen auf den Kopf der Bevölkerung doppelt so viele Polizisten wie in Westdeutschland, und die Vopos kontrollieren die Einhaltung der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit nicht weniger stramm als die politische Gesinnung. Leipzigs Stadtplan hatte ich im Kopf, aber ich verfuhr mich ein paarmal, und so bekam ich gratis einige Sehenswürdigkeiten der im Krieg fast zu einem Viertel zerstörten, aber in ihrem Weichbild historisch getreu wieder restaurierten Stadt, mit: das alte Rathaus und die Thomaskirche, Auerbachs Keller und den größten Personenbahnhof Europas. Das Kroch-Hochhaus stand noch, ebenso wie die Alte Waage, der Barthelshof und die Nikolaikirche.

      Viele Straßen waren der herrschenden Klasse angepaßt worden und trugen nun die Namen Klara Zetkin, Georgij Dimitroff, Rosa Luxemburg und natürlich Marx und vor allem Lenin. Der Erfinder des Bolschewismus hatte in Leipzig 1912 seine erste illegale Zeitung herausgebracht, und so feierten die roten Epigonen ihren kahlen Stammvater an allen Ecken und Enden. Lenin, wohin man sah – Luther, Lessing und Leibniz, Goethe, Schiller, Bach, Klopstock und Jean Paul, die einst in der Stadt gelebt hatten, die nach Meinung des deutschen Dichterfürsten ein „Klein-Paris“ war, galten offensichtlich als zweite Wahl, Leipziger Allerlei.

      Als ich das 91 Meter hohe Denkmal der Völkerschlacht sah, fand ich mich wieder zurecht. Es war jetzt 18 Uhr 34, und mit einigem Glück würde ich noch vor Metzler im Messehotel eintreffen. Vor dem Gebäude waren noch Parkplätze frei, aber ich stellte sicherheitshalber meinen „Trabant“, diesen Lärm- und Gestank-Produzenten, in einigen hundert Metern Entfernung ab.

      Ich achtete peinlich darauf, daß er vorschriftsmäßig geparkt war und auch während der Nacht von einer Laterne ausreichend beleuchtet wurde. Wenn kein Verrat im Spiel ist, sind es ja immer die kleinen Dinge, die uns an der unsichtbaren Front das Bein stellen.

      Ich schlenderte gemächlich zum Hotel. Erst als ich sicher war, keinen „Schwanz“ zu haben, betrat ich die Halle und nahm an einem Tisch in der Nähe der Rezeption Platz. Der Raum war zu groß, seine Decke zu niedrig, die Einrichtung einfach, aber geschmacklos, berieselt von lauter Marschmusik.

      Die Halle war nur mit wenigen Gästen besetzt, aber ich hätte die üppige Dreißigerin wohl auch bei Massenbetrieb nicht übersehen. Ein Blickfang. Eine Augenweide: brandrote Haare, moosgrünes Schneiderkostüm, große, provokante Augen. Sie war geschickt zurechtgemacht, vielleicht eine Spur zu aufgedonnert, zumindest in der zweitgrößten Stadt der Werktätigen. Fraglos hatte sie einen leichten Stich ins Vulgäre, den viele schätzen; jedenfalls war sie ein Typ, bei dem sich dem Betrachter eine ziemlich eindeutige und reichlich männliche Vorstellung aufdrängt.

      „Süßer Racker“, sagte der Kellner, der an meinen Tisch herangetreten und meinen Augen gefolgt war, er lächelte plumpvertraulich. „Die hat vielleicht Musike unter’m Rock.“

      Der Ober, offensichtlich aus Berlin nach Sachsen verschlagen, sprach so laut, daß es die Rotgrüne hören mußte, aber sie rührte gleichmütig in ihrem Kaffee. Neben der Tasse lag der Schlüssel, dessen übergroßer Anhänger auswies, daß sie das Hotelzimmer 705 bewohnte.

      „Aber bei dieser Dame ham’wa wohl beide den Arsch zu tief unten, Kumpel.“ Der Kellner lächelte entsagend. „Wat woll’n se eigentlich, Mann?“ wurde er endlich berufstätig.

      „Eine Tasse Kaffee und ’nen kleinen Cognac“, entgegnete ich.

      Er schnupperte an meinem Zigarettenrauch, betrachtete anzüglich mein Parteiabzeichen am Revers, den stilisierten Händedruck, den die Ostdeutschen mit dem Slogan untermalten: „Eine Hand wäscht die andere!“ „Das Kraut, das Sie rauchen, ist wohl ooch nicht auf unser’m volksdemokratischen Mist jewachsen“, sagte er anzüglich.